von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 19.02.2024
Verändern Preise die Karriere?
Vor 40 Jahren begründete die Thurgauische Kunstgesellschaft den Adolf-Dietrich-Förderpreis für junge Künstler:innen. Wie hat der Preis die Karrieren der Preisträger:innen beeinflusst? Drei Künstler:innen erinnern sich. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Telefonate sind heutzutage selten geworden. Stattdessen schicken wir uns Sprach- und Textnachrichten, das direkte Gespräch ist rar. Was im Umkehrschluss bedeutet, wenn das Telefon dann doch mal läutet, dann muss es wichtig sein. Die Künstlerin Jana Kohler hat im vergangenen Jahr einen solch wichtigen Anruf erhalten. „Klar, ich hatte mich auf diesen Preis beworben, aber ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass ich ihn wirklich bekomme“, erinnert sich die 25-Jährige an diesen Anruf. Darin überbrachte ihr die Thurgauische Kunstgesellschaft die schöne Nachricht, dass sie den Adolf-Dietrich-Förderpreis gewonnen habe.
„Es war ein tolles Gefühl, ich habe mich sehr darüber gefreut“, erzählt Kohler. Eine Folge des Preises - die aus Frauenfeld stammende Künstlerin zeigt noch bis zum 23. Februar eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen. Diese Einzelausstellung ist Teil der Auszeichnung. Zusätzlich erhält sie ein Preisgeld von 15.000 Franken. Was ihr der Preis bedeutet? „Für mich ist es eine schöne Auszeichnung meines bisherigen Schaffens. Mit dem Preis bekommt man einen Fuss in die Tür der Thurgauer Kunstszenen, er hilft dabei Kontakte zu knüpfen“, sagt Jana Kohler. Und natürlich sei es eine grossartige Chance, eine professionelle Solo-Ausstellung realisieren zu dürfen.
„Es ging darum, junge Talente zu entdecken.“
Kaspar Stokar, Thurgauische Kunstgesellschaft
In der Geschichte des Preises ist Jana Kohler eine besondere Preisträgerin. Nicht nur, weil sie mit ihrem kollaborativ geprägten Arbeitsstil und der Lust, Geschichten im Raum zu erzählen, die Möglichkeiten im Kunstraum genussvoll auskostet. Sondern auch, weil sie die 20. Preisträgerin im 40. Jahr des Bestehens des Preises ist. Der Förderpreis wird alle zwei Jahre verliehen und richtet sich explizit an Nachwuchskünstler:innen - potenzielle Gewinner:innen dürfen höchstens 40 Jahre alt sein. „Bei der Gründung war es wichtig, junge Talente zu entdecken und ihnen eine erste Förderung zu bieten“, blickt Kaspar Stokar von der Thurgauischen Kunstgesellschaft zurück.
Wir treffen uns an einem verschneiten Freitagmorgen im Januar in einem Kreuzlinger Café. Ebenfalls mit am Tisch sitzt Markus Landert, kürzlich pensionierter Direktor des Kunstmuseum Thurgau, und seit Jahrzehnten beteiligt an der Auswahl der Adolf-Dietrich-Förderpreisträger:innen. „Das war für den Thurgau damals ziemlich innovativ, Förderung von zeitgenössischer Kunst im heutigen Sinne gab es damals kaum im Kanton“, sagt Landert. Die Thurgauische Kunstgesellschaft selbst gibt es schon deutlich länger, sie wurde 1934 gegründet. Damals mit dem Ziel „das Kunstinteresse und das Kunstschaffen zu fördern, namentlich die bildende Kunst sowie ihr verwandte Formen”, wie es in der Satzung heisst.
„Das war für den Thurgau damals ziemlich innovativ, Förderung von zeitgenössischer Kunst im heutigen Sinne gab es damals kaum im Kanton.“
Markus Landert, Vorstand Thurgauische Kunstgesellschaft
Die Einführung des Adolf-Dietrich-Förderpreises war vor 40 Jahren aber auch eine Reaktion auf Veränderungen im Thurgauer Kulturleben. 1983 wurde das kantonale Kunstmuseum in der Kartause Ittingen eröffnet, die Kunstgesellschaft sah sich zu einer Neupositionierung gezwungen. Beide Institutionen sollten sich künftig ergänzen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Die ersten Ausstellungen der frühen Preisträger:innen fanden noch im Kunstmuseum statt.
Erst seit 2005 hat der Kreuzlinger Kunstraum diese Aufgabe übernommen. Ab diesem Zeitpunkt sei auch die Vergabe des Preises professionalisiert worden, erklärt Kaspar Stokar. „Zuvor hatte der Vorstand unter sich entschieden, wem der Preis verliehen werden sollte. Aber dann wurde klar, dass eine Ausschreibung des Preises sinnvoll ist, um das Bewerber:innenfeld zu erweitern.“
Die Liste der Preisträger:innen liest sich heute wie ein Who is Who des Thurgauer Kunstschaffens. Richard Tisserand. Cecile Wick. Conrad Steiner. Ute Klein. Valentin Magaro. Olga Titus. Rhona Mühlebach. Und viele mehr. Wenn man diese Namen heute liest, wird deutlich, dass die Vergabe des Preises auch globale Entwicklungen in der Kunst spiegelt: Videokunst gewinnt an Bedeutung, klassische Malerei spielt kaum eine Rolle und es gilt immer häufiger: Raus aus dem Rahmen, rein in den Raum. Der Umgang mit dem Ausstellungsraum ist heute in vielen Fällen jedenfalls ein ganz anderer als 1984. Wenn man so will: Die Kunst erobert sich die dritte Dimension.
Raus aus dem Rahmen, rein in den Raum
Schon früh geriet Roland Dostal ins Blickfeld der Jury. Gemeinsam mit Günther Wizemann erhielt er 1987 die Auszeichnung. Damals wurde der Preis zum zweiten Mal vergeben. Heute ist der 57-Jährige noch immer als Künstler tätig. Wir telefonieren miteinander, während er gerade durch Andalusien reist. Ob er sich an die Vergabe des Adolf-Dietrich-Förderpreises noch erinnert? „Ja, klar. Ich war damals 21 Jahre alt. In dem Alter freut man sich logischerweise über eine solche Auszeichnung“, sagt Dostal.
Mit 18 habe er gewusst, dass er Künstler werden wolle, der Preis habe ihn in dem Entschluss nicht bestärkt. Aber sicher sei damit auch ein kantonaler Karriereschub verbunden gewesen: „Die mediale Aufmerksamkeit, die ich durch den Preis bekommen habe, hat ein wenig geholfen beim Start in die Kunstszene. Trotzdem sollte man den Preis auch nicht überbewerten», findet Roland Dostal: „Letztlich ist es ein regionaler Preis, der in der weiteren Kunstwelt keine Bedeutung hat."
Ein Preisträger, der mit dem Kunstbetrieb hadert
In den vergangenen Jahren sei er insgesamt kritischer geworden gegenüber dem gesamten Kunstbetrieb sowie der regionalen Kulturpolitik: «Ich empfinde die Entwicklung nicht als besonders positiv», sagt er. Dabei hatte er sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen gemacht als Künstler und zahlreiche Ausstellungen gezeigt. „Aber jetzt wird es immer schwieriger von Kunst und Kultur zu leben“, gibt er ehrlich zu.
Die Kulturförderung heute, so empfindet es Roland Dostal, setze falsche Schwerpunkte. „Es wird kaum langfristig in das Werk der Künstler:innen investiert, die Kulturpolitik versucht sich in ihren Massnahmen selbst zu bestätigen und abzusichern, Trends und Hypes werden bedient, aber immer weniger Kunst und Kultur an der Basis unterstützt.»
Und die Förderinstitutionen? „Die stellen sich in den Vordergrund, während wir Künstler:innen dankbar im Hintergrund sind." Dostal wünscht sich hier ein Umdenken: Dass regionale Förderinstitutionen im Kanton Thurgau neue Wege gehen, indem sie zum Beispiel Ateliers, Arbeits- und Produktionsmöglichkeiten gefördert oder Lagermöglichkeiten eröffnet werden. «Wieso beispielsweise nicht ein regionales Schauarchiv, Schaulager oder Kulturwerkstätte eröffnen, oder andere und neue Ideen entwickeln? Damit auch die Kulturschaffenden und unser Umfeld langfristig davon profitieren kann», erläutert der Künstler.
Wie die Preisträger:innen ausgewählt werden
Noch einmal zurück nach Kreuzlingen. An den Tisch mit Kaspar Stokar und Markus Landert von der Thurgauischen Kunstgesellschaft. Wie werden die Preisträger:innen eigentlich ausgewählt? „Das ist ein längerer Prozess“, erklärt Markus Landert. Bis zu 30 Dossiers würden auf jede Ausschreibung eingereicht, nach einer ersten Auswahl blieben meistens rund ein halbes Dutzend übrig. „Die schauen wir uns genauer an und fragen uns: Hat das jeweils Potenzial, eine spannende Ausstellung zu gestalten?“
Am Ende gehe es auch darum, das herauszufiltern, was wirklich gute Kunst sei, ergänzt Kaspar Stokar. Was das genau bedeutet? Stokar überlegt kurz und sagt dann: „Für mich gehört auf jeden Fall eine gewisse Relevanz dazu. Hat das Werk eine Bedeutung? Ist es authentisch? Und gelingt es dem Künstler einen geistigen Kosmos zu erschaffen?“
Einer Künstlerin verhalf der Preis zum Durchbruch
Nicht so wichtig bei der Auswahl sei, ob die Künstler:innen einen konkreten Bezug zum Werk von Adolf Dietrich nachweisen konnten. „Adolf Dietrich hat mit seiner Arbeit auf seine Zeit reagiert und das tun unsere Preisträger:innen heute auch“, nennt Kaspar Stokar eine für ihn wesentlichere Parallele. Ihm gefalle vielmehr der Gedanke, dass der Name Adolf Dietrich durch den Preis heute mit der Förderung von zeitgenössischer Kunst verbunden sei.
Da würde Joëlle Allet vermutlich zustimmen. Als die 44-Jährige 2013 den Förderpreis erhielt, sei sie mit Adolf Dietrichs Werk auch nicht sonderlich vertraut gewesen. Für den Preis ist sie aber heute noch dankbar: „Es war ein Durchbruch für mich hier im Thurgau. Dadurch bin ich in der Thurgauer Kulturlandschaft angekommen“, sagt die Künstlerin, die ursprünglich aus dem Wallis stammt.
Die Rolle des Preisgeldes
In dem Jahr, in dem sie den Dietrich-Preis erhielt, bekam sie auch den Zuschlag für ein Kunst-am-Bau-Projekt, das heute wahrscheinlich jeder im Kanton kennt: Die „fabelhafte Regierung“ aus sechs Bronzetieren (Löwe, Eule, Fuchs, Hase, Biber und Wildschwein) vor dem Regierungsgebäude in Frauenfeld. Welche Rolle der Adolf-Dietrich-Förderpreis bei der Vergabe gespielt habe, wisse sie nicht, aber die Auszeichnung sei „ein Qualitätssiegel“, das ihr in ihrer weiteren Karriere immer wieder geholfen habe.
Ganz konkret dadurch, dass ihr das Preisgeld Spielraum gegeben habe, ihren Weg als Künstlerin weiterzugehen und sie sich in der zum Preis zugehörigen Ausstellung im Kunstraum ausprobieren konnte. Aber auch dadurch, dass sich ein Netzwerk öffnete: „Mit dem Preis ist man ganz anders auf dem Radar bei entscheidenden Leuten im Kanton“, sagt sie. Zum Beispiel bei der Ankaufskommission des kantonalen Kunstmuseums. Zwei Werke von Joëlle Allet sind inzwischen in der Sammlung des Kantons. „Dass meinem Werk diese Wichtigkeit zugesprochen wurde, hat mich sehr gefreut“, sagt Allet.
Bezug zu Adolf Dietrich? Nicht immer gegeben
Wie sie es heute mit Adolf Dietrich hält? „Die Malerei von Dietrich berührt mich sehr. Man kann sie als kitschig empfinden, aber es gelingt ihm, die Betrachter mit seinen Bildern zu fesseln. Man kann an seinen Werken nicht vorbeigehen, ohne sie anzuschauen. Wenn ich das schaffe, solche Aufmerksamkeit mit meiner Arbeit zu erregen, bin ich sehr glücklich“, sagt Joëlle Allet.
Nicht alle Adolf-Dietrich-Preisträger:innen waren nach der Auszeichnung mit langfristiger Aufmerksamkeit gesegnet, nicht alle Preisträger:innen haben grosse Karrieren gemacht. Aber fast alle von ihnen sind nach wie vor in der Kunst tätig. Die Jury hatte offenbar ein gutes Auge. Und das ist für einen kleinen, regionalen Nachwuchs-Preis dann doch eine bemerkenswerte Leistung.
Video: arttv.ch über die Ausstellung von Jana Kohler
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