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Abschied vom Langzeit-Direktor

Abschied vom Langzeit-Direktor
Schluss nach 31 Jahren: Markus Landert, Direktor am Kunstmuseum Thurgau und dem Ittinger Museum, geht in Pension. Wie ist seine Leistung einzuschätzen? Das Bild zeigt Landert vor dem Auftragswerk „musique non stop" von Harald F. Müller. | © Inka Grabowsky

Fast 31 Jahre war Markus Landert Direktor des Kunstmuseum Thurgau. Jetzt geht er in Pension. Was bleibt von seiner Ära? Sechs Wegbegleiter:innen ziehen eine ehrliche Bilanz. (Lesedauer: ca. 10 Minuten)

Versetzen wir uns kurz zurück ins Jahr 1992. Tim Berners-Lee hat gerade das World Wide Web entwickelt, seit zwei Jahren dürfen Frauen auch im Kanton Appenzell Innerrhoden wählen, das erste iPhone ist noch 15 Jahre entfernt und in den USA wird Bill Clinton Präsident. Ja, es waren andere Zeiten. Und sie sind verdammt lang her. In jenem Jahr übernimmt auch Markus Landert, geboren 1958, die Direktion des Thurgauer Kunstmuseums. 

Er sei der Wunschkandidat seiner Vorgängerin Elisabeth Grossmann gewesen, heisst es. Dabei hatte der damals 34-Jährige noch nicht viel vorzuweisen: Landert hatte Kunstwissenschaft an der Universität Zürich studiert. Neben seiner Arbeit als Journalist war er zunächst auch als Direktionsassistent am Kunstmuseum Bern tätig. Im Dezember 1992 übernimmt Markus Landert die Direktion des Kunstmuseum Thurgau. Und gibt sie sehr lange nicht mehr ab. Wenn er am 30. Oktober nun in Pension geht, wird er sie fast 31 Jahre behalten haben.

Der Direktor will schweigen: Zum Abschied kein Interview

Wenn jemand also fast 31 Jahre Direktor eines Kunstmuseums war, dann hat er oder sie in der Regel einiges zu erzählen. Nicht so Markus Landert. Zumindest nicht öffentlich. „Ich habe mir vorgenommen, im Zusammenhang mit meiner Pensionierung keine Interviews zu geben. Ich hatte lange Zeit die Möglichkeit, meine Meinung und Ideen öffentlich zu äussern, was ich immer gerne getan habe. Ein Rückblick auf meine Arbeit als Museumsdirektor lege ich aber nun gerne in andere Hände“, schrieb mir Markus Landert im Juli auf meine Interview-Anfrage per Mail. 

Auch auf eine Abschiedsfeier zu seinen Ehren, ausgerichtet vom Kanton Thurgau, verzichtet er. Er habe sich sogar eher mit Händen und Füssen gegen eine solche Veranstaltung gewehrt, sagen Menschen, die das wissen müssen. Der oft so wortgewaltige Markus Landert zieht offenbar einen stillen Abschied vor. Warum das so ist, dazu möchte er nichts sagen. Aber ganz so leise kann man einen Menschen, der so viele Jahre das Kulturleben im Kanton geprägt hat, als Kulturmagazin natürlich nicht ziehen lassen. 

 

Markus Landert und Adolf Dietrich: Um den bekannten Thurgauer Maler hat sich der Museumsdirektor intensiv gekümmert. Bild: Inka Grabowsky

Mehr als 130 Ausstellungen hat Markus Landert gezeigt

In den vergangenen 31 Jahren verantwortete er mehr als 130 Ausstellungen. Seine erste Ausstellung 1993 lautete „Bankett und Statisten“ und stellte den Künstler Hannes Brunner vor. Landert sass in zahlreichen Wettbewerb-Jurys und beeinflusste das Thurgauer Kunstleben wie kein anderer Museumsdirektor vor ihm. Seinen Arbeitsnachweis kann man dem Museumsprogramm ablesen, über sein Privatleben ist wenig bekannt.

Markus Landert gilt als leidenschaftlicher Velofahrer und überzeugter Berlin-Fan. In der deutschen Hauptstadt unterhält er eine Wohnung. Dorthin zieht er sich zurück, wenn er an Texten für Ausstellungskatalog schreiben muss. Die Metropole inspiriert ihn. Es ist für ihn wohl auch ein Ausgleich zum eher ruhigen Leben im ländlichen Thurgau. 

 

„Seine Kollegialität und seine Liebe zur Kunst.“

Renate Flury, Künstlerin und frühere Kollegin von Markus Landert, über seine grössten Stärken. 

Die grosse Frage, die sich gerade viele stellen: Wie ist seine Leistung für das Kunstmuseum Thurgau einzuschätzen? Um das herauszufinden habe ich in den vergangenen Wochen mit vielen Wegbegleiter:innen von Markus Landert gesprochen. Mit Kolleg:innen, Kurator:innen, Künstler:innen und weiteren Kunst-Expert:innen. Mit Menschen, die Markus Landert in unterschiedlichen Kontexten und den verschiedenen Phasen seines Wirkens kennen gelernt haben. 

Zum Beispiel mit Renate Flury. Als Markus Landert im Dezember 1992 seinen Dienst als Direktor des Kunstmuseum Thurgau als Nachfolger von Elisabeth Grossmann antrat, war sie bereits da. Flury arbeitete im Technik-Team des Museums und erinnert sich gut an die Zusammenarbeit mit Markus Landert: „Markus kam relativ jung in die Position, er war gerade 34 Jahre alt, vielleicht war deswegen am Anfang noch relativ viel Show, später wurde er entspannter und weicher“, blickt die Weinfelder Künstlerin mit einem Lächeln zurück. 

Nicht zu allen Thurgauer Künstler:innen fand Landert einen Bezug

Es seien gute Jahre gewesen, sagt Renate Flury. Auch weil kluge Kuratorinnen im Team gewesen seien. Beatrix Ruf zum Beispiel. Sie leitete später unter anderem die Kunsthalle Zürich und das Stedelijk Museum Amsterdam. Was damals die grösste Stärke von Markus Landert gewesen sei? „Seine Kollegialität und seine Liebe zur Kunst“, sagt Flury. 

Insgesamt elf Jahre arbeitete sie an der Seite von Markus Landert, heute wirkt die Weinfelderin als freischaffende Künstlerin. Auch auf diesem Feld hatte sie mit dem Museumsdirektor zu tun, er kaufte zwei ihrer Werke für die Sammlung des Kunstmuseums. „Ich habe mich als Künstlerin von ihm gesehen und gefördert gefühlt“, sagt Flury. Sie sagt aber auch: „Es gab auch regionale Künstler, die Markus übersehen hat.“ 

Bei der Suche nach Gesprächspartner:innen über Markus Landerts Zeit im Kunstmuseum, landet man eher früher als später bei Hans Jörg Höhener. Kaum einer hat einen so weitreichenden und genauen Blick auf das Thurgauer Kulturgeschehen wie der Präsident der Kulturkommission des Kantons

 

Hans Jörg Höhener

„Er hat sich immer sehr für regionale Künstler eingesetzt, auch wenn andere die Nase gerümpft haben.“

Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission des Kantons Thurgau

Hans Jörg Höhener hat Landerts Weg bis heute sehr genau verfolgt. Auch über die jetzt überall mitschwingende Frage hat Höhener schon nachgedacht - sind fast 31 Jahre Amtszeit zu lang für einen Museumsdirektor? „Amtszeiten von zehn bis zwölf Jahren sind eigentlich besser, aber bei Markus habe ich in all der Zeit keine Abnutzungserscheinungen feststellen können“, sagt Höhener. 

Er findet, Landert habe einen guten Job gemacht unter dem Strich. Vor allem um den Maler Adolf Dietrich habe er sich verdient gemacht. „Dietrichs Werk wissenschaftlich zu erforschen, mit Ausstellungen und Publikationen zu würdigen und für den Thurgau zu erhalten, zählt sicher zu den grössten Leistungen von Markus Landert“, erklärt der Kulturkommissions-Präsident. Auch bei der Sicherung des Dietrich-Nachlasses für das Museum habe Landert eine zentrale Rolle gespielt. 

Überhaupt findet Hans Jörg Höhener, habe Markus Landert immer sehr viel Wohlwollen gegenüber Thurgauer Künstlerinnen und Künstlern ausgezeichnet: „Er hat sich immer sehr für regionale Künstler eingesetzt, auch wenn andere die Nase gerümpft haben“, blickt Höhener zurück. Einerseits.

Ist das Museum zu provinziell geworden?

Andererseits sei dadurch die Präsenz internationaler Kunst in Ittingen zurückgegangen. Grosse Namen wie Marina Abramovic (1995), Joseph Kosuth (1999) oder Janet Cardiff (2002) hat man zuletzt eher nicht mehr im Programm des Kunstmuseum gefunden. „Nicht ganz zu Unrecht wurde manchmal kritisiert, dass das Programm des Museums ein bisschen zu provinziell geworden ist“, meint der Präsident der Kulturkommission. In der Frage, wofür das Kunstmuseum zuständig sei, habe man sich zuletzt eher für die regionale Ausrichtung entschieden, konstatiert Höhener.

Ob das auch eine Folge des politischen Einflusses auf das Museum sei? Höhener überlegt kurz. „Zunächst mal war Markus sicher kein klassischer Verwaltungsangestellter. Er hatte viel Freiheiten und erhielt sehr oft Support für neue Ideen“, sagt Höhener. Aber klar, fügt er dann noch an, „das Museum ist Teil der Kulturverwaltung des Kantons. Innovation steht da nicht im Vordergrund, sondern Rechtssicherheit und Korrektheit. Das ist nicht immer gut für ein Museum.“

 

Kosuth
Markus Landert (re) befragt Joseph Kosuth - auf dessen „verstummter Bibliothek“ stehend. Bild: Archiv

„Das Museum ist Teil der Kulturverwaltung des Kantons. Innovation steht da nicht im Vordergrund, sondern Rechtssicherheit und Korrektheit. Das ist nicht immer gut für ein Museum.“

Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission des Kantons Thurgau

Die Spielräume seien zudem durch die Trägerschaft mit der Stiftung der Kartause Ittingen eingeschränkt gewesen: „Es war ein permanentes Austarieren der Interessen von Stiftung und Kunstmuseum. Vor allem im Aussenraum“, erklärt Höhener. 

Und dann war da ja auch noch die vor dem Bundesgericht gescheiterte Idee eines Neubaus. „Diese Debatte um den Bau hat Energie absorbiert, ich hatte aber nicht den Eindruck, das Markus danach resigniert hat.“ Freunde seien sie trotz der vielen gemeinsamen Erlebnisse aber nicht geworden, betont Höhener. „Markus war immer eine klare Trennung von Beruf und Privat wichtig. Deshalb blieb es auf einer kollegialen Ebene auf der wir uns gegenseitig schätzen.“ 

Über die Frage, was die grösste Stärke von Markus Landert sei, muss Höhener nicht lange nachdenken: „Er hat es verstanden auf verschiedenen Spielfeldern zu agieren, ohne diese gegeneinander auszuspielen. Er hatte immer Interesse an einem offenen Dialog. Und wenn er in manchem Atelier auch scharf argumentierte, wusste man immer, dass ein grundlegendes Interesse am Gegenüber dahinter liegt. Mein Eindruck war zudem, dass er im Alter milder in seinem Urteil wurde.“

 

Markus Landert, Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen
Markus Landert betrachtet ein Werk von Anton Bernhardsgrütter (2017). Bild: Michael Lünstroth

Wo Markus Landerts Urteil auch gefürchtet wurde

Dieses Urteil war in Teilen der Kunstszene aber auch gefürchtet. Bei Inge Abegglen zum Beispiel. Die Gründerin der Kunsthalle Arbon kennt Markus Landert ebenfalls schon sehr lange. Sie sagt: „Ich habe ihn immer sehr geschätzt, hatte aber auch immer ein bisschen Angst vor seiner Kritik“, bekennt sie im Gespräch mit thurgaukultur.ch 

Landert habe sich nie direkt über eine Ausstellung geäussert, aber sie habe das Gefühl gehabt, dass er nicht immer alles gut fand, was in Arbon zu sehen war. „Er war eben ein sehr kritischer, sehr genauer, Direktor“, sagt Inge Abegglen. Besonders beeindruckt habe sie die Phase, als hochkarätige, internationale Künstler:innen in Ittingen zu Gast waren. Janet Cardiffs „Ittingen Walk“ fasziniert sie noch heute.

Gleichzeitig habe Markus Landert auch nicht alle ihre Erwartungen erfüllt. „Ich fand das Programm vor allem in den letzten Jahren nicht mehr so spannend, da würde ich mir grundsätzlich mehr Mut von einer Direktion erwarten“, meint Inge Abegglen. „Wenn er sich mehr behauptet hätte gegenüber Politik und Kulturamt, hätte er vielleicht noch mehr aus dem Museum machen können“, sagt die frühere SP-Kantonsrätin. Von Landert-Nachfolger Peter Stohler wünscht sie sich, dass er auch mal was Neues wagt, anstatt regelmässig auf die grossen Namen Dietrich, Dahm und Roesch zu setzen. 

 

„Wenn er sich mehr behauptet hätte gegenüber Politik und Kulturamt, hätte er vielleicht noch mehr aus dem Museum machen können.“

Inge Abegglen, Gründerin der Kunsthalle Arbon

Sie trägt aber nichts nach, ganz im Gegenteil: „Wir können uns glücklich schätzen, dass wir ihn so lange hatten!“, befindet die Arbonerin Abegglen abschliessend.

Das sieht Judit Villiger kritischer. Die Künstlerin, Kuratorin und Gründerin des „Haus zur Glocke“ in Steckborn ist seit 2003 zurück im Thurgau und hatte seither in verschiedenen Bereichen mit Markus Landert zu tun. Sie sagt: „Ganz unabhängig von der persönlichen Leistung von Markus Landert, die ich in vielen Punkten schätze: Drei Dekaden sind einfach zu lang für einen solchen Posten.“ 

Ein Kernproblem, das sich daraus ergebe - die manchmal nicht für alle durchlässigen Netzwerke. „Markus hatte Künstler, die er spannend fand und förderte. Sich auch mit Leuten zu beschäftigen, zu deren Position er weniger Zugang hatte, ist er tendenziell ausgewichen.“ Mit anderen Worten: Bestimmte Lieblinge habe er gepflegt, andere Künstlerinnen und Künstler erhielten weniger Aufmerksamkeit. Sie selbst zählt sich aber eher zu jenen, die Unterstützung vom Museumsdirektor erhielten. 

 

„Ich habe ihn in Jurysitzungen oft als witzig, geistreich und inspiriert erlebt, in seinen Ausstellungen im Kunstmuseum habe ich davon vor allem in den letzten zehn Jahren zu wenig gespürt.“

Judit Villiger, Künstlerin, Kuratorin, Gründerin des Haus zur Glocke Steckborn

Zudem sei in den vergangenen zehn Jahren auch das Programm im Kunstmuseum schwächer geworden, findet Judit Villiger: „Ich hätte mir da mehr Mut zu Experimenten gewünscht, es war für mich zu oft weder innovativ noch inspirierend. Mein Eindruck war, dass nur noch Dinge gemacht werden, von denen man weiss, dass sie funktionieren.“

Ein Stück weit sei das Museum in seiner Entwicklung stehen geblieben. Ein Grund dafür: „Markus hat sich nie sonderlich für den Bereich der Kunstvermittlung interessiert, das hielt er für nicht notwendig. Ich konnte jedenfalls nicht erkennen, dass das Museum eine aktive Rolle im gesellschaftlichen Diskurs einnimmt. Aber genau das erwarte ich von einem Kunstmuseum!“

Dazu passt aus ihrer Sicht, dass sich das Kunstmuseum zu wenig für eine Fortsetzung oder einen Ersatz der von der Kulturstiftung gestrichenen Werkschau Thurgau eingesetzt habe. Genau solch ein Gefäss, das das zeitgenössische Kulturschaffen im Thurgau abbildet, fehle jetzt besonders. Auch das von Markus Landert entwickelte Ausstellungsformat „Konstellationen“, das Bestände der Sammlung mit aktuellem Kunstschaffen in den Dialog bringt, könne diese Aufgabe nicht erfüllen, da immer nur ein kleiner Ausschnitt gezeigt werde.

 

Anfang und Ende: Mit einer Ausstellung über Hannes Brunner eröffnete Museumsdirektor Markus Landert seine Amtszeit und nun hat er zum Ende eine weitere Ausstellung mit Brunner kuratiert. Bild: Inka Grabowsky 

Kunstvermittlung? Interessierte Landert nicht sonderlich

Dass sich angesichts dieser Lücke das Kunstmuseum auch nicht stärker in das kantonsüberschreitende Festival „Heimspiel“ eingebracht habe, versteht Villiger bis heute nicht. „Das wäre eigentlich eine ziemlich einfache Chance gewesen, die Lücke der Werkschau zu füllen“, ist Judit Villiger überzeugt. 

Landert hatte ein grösseres Engagement beim Heimspiel gegenüber thurgaukultur.ch 2021 mit diesen Überlegungen abgelehnt: „Aufgabe von Ausstellungsprojekten ist es, dass möglichst viele Menschen, möglichst viele der ausgestellten Werke sehen. Je grösser eine Ausstellung ist oder je weiter die Austragungsorte auseinanderliegen, desto schwieriger wird es dieses Ziel zu erreichen.“

Welchen Einfluss hatte das gescheiterte Neubauprojekt?

Ein möglicher Grund für diese Passivität, liegt für Judit Villiger in dem vor dem Bundesgericht gescheiterten Neubauprojekt des Museums: „Das hat ihn getroffen. Danach war er in seiner Programmation nur noch auf Absicherung bedacht“, sagt die Künstlerin.

Insgesamt blickt Judit Villiger gespalten auf das Wirken von Markus Landert: „Ich habe ihn in Jurysitzungen oft als witzig, geistreich und inspiriert erlebt, in seinen Ausstellungen im Kunstmuseum habe ich davon vor allem in den letzten zehn Jahren zu wenig gespürt.“  Von Peter Stohler, dem neuen Direktor des Kunstmuseum Thurgau, erhofft sie sich frischen Wind für das Haus in der Kartause: „Ich wünsche mir, dass er eine Vision hat, innovativ ist und seine Ideen dann auch durchzieht.“ 

 

„Markus Landert war ein Glücksfall für den Thurgau.“

Kurt Schmid, Philosoph und Medienpädagoge

In Kreuzlingen sitzt Kurt Schmid an seinem Schreibtisch und zieht seine Bilanz der Ära Landert am Kunstmuseum. Er ist einer der intimsten Kenner des Thurgauer Kulturlebens. Schmid war Mitinitiant der Kulturstiftung 1991 und des Kunstraums 1993. Der Philosoph und Medienpädagoge hat zudem Studien zu Adolf Dietrich und die Fotografie (1994)  sowie über Aby Warburg im Kreuzlinger Bellevue verfasst.

„Ich sehe mehr Licht als Schatten in den vergangenen 31 Jahren. Die Angriffspunkte, die Markus Landert geboten hat, liegen in der Struktur des Museums“, sagt Schmid. Eigentlich sei Landert „ein Glücksfall für den Thurgau“ gewesen, denn er habe zur konservativen Landschaft das Kantons einen Gegenpol gesetzt.  

Man dürfe nicht vergessen - die Aufgabe, die ihm übergeben wurde, war klar definiert. Die Schwerpunkte in der Aufarbeitung des Adolf-Dietrich-Nachlasses und die Fokussierung auf die Aussenseiterkunst seien schon von seiner Vorgängerin Elisabeth Grossmann gesetzt gewesen. Zwischen diesen Leitplanken habe sich Landert bewegen müssen. 

Vor allem zwei Dinge habe Markus Landert herausragend gemacht: „Er hat gezeigt, dass die Bildende Kunst genuine Antworten auf unsere Weltenlage geben kann. Und es ist ihm immer wieder gelungen, gute Mitarbeiter:innen zu finden. Er ist ein Profi, der auch andere Profis machen lassen kann.“ Als Beispiele nennt Schmid hier Beatrix Ruf, die internationale Künstler:innen nach Ittingen brachte, Dorothee Mesmer, die mit der Aufarbeitung des Dietrich-Werkes begonnen hatte, auch die aktuelle Kuratorin Stefanie Hoch lobt Kurt Schmid sehr. 

 

Kunstmuseum Thurgau 2020
Markus Landert in seinem Element: Er weist auf Vorgänger und Zeitgenossen von Adolf Dietrich hin. Bild: Inka Grabowsky

„Er hat gezeigt, dass die Bildende Kunst genuine Antworten auf unsere Weltenlage geben kann. Und es ist ihm immer wieder gelungen, gute Mitarbeiter:innen zu finden. Er ist ein Profi, der auch andere Profis machen lassen kann.“

Kurt Schmid, Philosoph und Medienpädagoge

 

Auf die Frage, ob es nicht ein Problem sei, wenn ein Mensch über so viele Jahre der Kunstszene seinen Stempel aufdrückt, antwortet Schmid: „Ich weiss nicht, eigentlich ist es doch toll, dass er sich für all diese Aufgaben auch jenseits seines Direktorenpostens zur Verfügung gestellt hat. Er hätte das ja nicht machen müssen.“ Aber klar, sagt Schmid dann noch, Markus hatte nicht den Blick für alle Kunstschaffenden und Kunstformen, aber wie könnte man das auch?“ Das Problem dabei sei: „Wenn man als Künstler oder Künstlerin nicht in diesem inneren Zirkel ist, dann ist die Grenze oft unüberwindbar.“

Im persönlichen Gespräch habe er Markus Landert aber nie festgefahren erlebt: „Man kann gut mit ihm diskutieren und streiten. Sein Engagement hat in all der Zeit auch nie nachgelassen“, meint Kurt Schmid. Wenn Landert eines verpasst haben sollte, dann sei es vielleicht diesen einen Satz noch stärker zu bedenken in seiner Arbeit: „Hier im Thurgau bist du nicht im Brennpunkt der Kunstszene, du musst selber der Brennpunkt sein!“

 

Markus Landert bei einer Veranstaltung im Kunstmuseum Thurgau 2020. Bild: Raffael Soppelsa

Wie eine junge Künstlerin Markus Landert erlebte

Als Markus Landert Direktor im Kunstmuseum wurde, feierte Sarah Hugentobler ihren 11. Geburtstag. Als Jugendliche besuchte sie danach regelmässig mit ihren Eltern das Kunstmuseum. Dass sie selbst hier mal eigene Arbeiten ausstellen würde kommt ihr da noch lange nicht in den Sinn.

In ihrer Erinnerung gehörten Markus Landert und das Kunstmuseum schon immer zusammen, sagt Hugentobler. Ihre erste bewusste und prägende Kunst-Erfahrung erlebte sie 2002. „Die Ausstellung von Janet Cardiff hat mich total fasziniert. Da wurde mir das erste Mal so richtig klar, was Kunst sein kann“, erinnert sich die Videokünstlerin im Gespräch mit thurgaukultur.ch 

2003 begann sie einen Vorkurs an der Hochschule für Gestaltung in Zürich, später studierte sie in Bern „Fine Arts“. Markus Landert fördert sie früh. Zunächst kauft er ein Werk an für die Sammlung des Kunstmuseums, 2013 stellt Sarah Hugentobler als eine von 59 bei der ersten Werkschau Thurgau aus. „Für mich als junge Künstlerin war das natürlich ein besonderer Moment. Ich habe mich gesehen gefühlt“, blickt Hugentobler zurück. Diese Unterstützung hielt an. Inzwischen sind weitere Werke von Sarah Hugentobler in der Sammlung des Kunstmuseums vertreten. 

 

 „Bei unseren Gesprächen war Markus Landert immer sehr klar in seiner Meinung, das fand ich gut. Ich hatte auch immer den Eindruck, dass er sich mit meiner Arbeit wirklich beschäftigt hat. Er hat sich darauf eingelassen, das gefiel mir.“

Sarah Hugentobler, Künstlerin

Vor jedem Ankauf besucht die zuständige Kommission die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler im Atelier. „Bei diesen Gesprächen war Markus Landert immer sehr klar in seiner Meinung, das fand ich gut. Ich hatte auch immer den Eindruck, dass er sich mit meiner Arbeit wirklich beschäftigt hat. Er hat sich darauf eingelassen, das gefiel mir“, erinnert sich die Künstlerin. 

Was bleibt also am Ende nach 31 Jahren Markus Landert im Kunstmuseum Thurgau? Die Recherche hat gezeigt - so ganz eindeutig ist das nicht. Es gibt Lob, es gibt Kritik und vor allem aber auch eine grundsätzliche Wertschätzung für die Lebensleistung von Markus Landert. Wenn es immer noch stimmt, was er mir mal in einem Interview im Februar 2022 gesagt hat, dann dürfte er mit den Reaktionen leben können. Damals sagte er: „Wer ins Museum kommt, darf anderer Meinung sein und diese auch äussern. Kritik ist Teil der lebendigen Auseinandersetzung über Kunst. Solange offen darüber diskutiert wird, was Kunst soll und was ein Museum leisten muss, bin ich an jeder Meinung interessiert.“

Und jetzt? Der Blick nach vorn

Markus Landert hatte die Absage eines Interviews über seine Zeit im Kunstmuseum Thurgau übrigens noch um einen bemerkenswerten Nachsatz ergänzt: „Spannender fände ich es überhaupt, wenn in die Zukunft geblickt würde und darüber nachgedacht wird, was anders und vielleicht auch besser gemacht werden kann. Auch dies scheint mir nicht meine Aufgabe zu sein.“ Stimmt. Sein Nachfolger Peter Stohler übernimmt zum 1. Oktober die Geschäfte.

 

Markus Landert ist von der Wirkung von Somms Technik fasziniert.
Markus Landert vor einem Werk von Peter Somm. Bild: Inka Grabowsky

 

Werte in der Kunst - ein Interview mit Markus Landert aus dem Jahr 2022

Irre Preise für NFTs (Non Fungible Token) und andere Merkwürdigkeiten des Kunstmarktes: Welche Werte zählen heute noch in der Kunst? Ein Interview mit Markus Landert, Direktor des Kunstmuseum Thurgau.

Herr Landert, bei Christie’s hat das digitale Bild „9 Crypto Punks“ 17 Millionen Euro eingebracht, der inzwischen weltberühmte Beeple hat sein NFT „Everydays“ für 69,3 Millionen US-Dollar verkauft und Damien Hirsts NFT-Projekt „The currency“ wird sogar auf 500 Millionen Dollar taxiert. Was sagen uns diese Zahlen über Werte in der Kunst?

Das sagt uns erst mal nur etwas über den Kunstmarkt. Man muss unterscheiden zwischen dem Finanzwert, der durch den Kunstmarkt definiert wird, und dem gesellschaftlichen, ästhetischen Wert eines Kunstwerkes. Der eine Wert bezeichnet die Summe, die für den Erwerb eines Werks bezahlt wird. Der andere Wert umschreibt die Bedeutung, die ein Kunstwerk in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen hat. Natürlich gibt es da einen Zusammenhang: wenn ein Objekt teuer bezahlt wird, dann wächst die Aufmerksamkeit und es wird ihm schnell eine gesellschaftliche Bedeutung unterstellt. Aber die von Ihnen genannten Beispiele haben mehr mit Mechanismen des Kunst- und Kapitalmarktes zu tun als mit der Kunst selbst. Solche Preise scheinen mir mehr eine spekulative Investition zu sein, eine Investition in ein Versprechen auf einen zukünftigen Gewinn. Es geht da weniger um den Kauf eines Kunstwerks das einen gesellschaftlichen, ästhetischen Wert hat.

Zum ganzen Interview geht es hier lang

 

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