von Inka Grabowsky, 02.03.2020
Wie ein Museum Asbest besiegte
Neun Monate Arbeit am kulturellen Erbe des Thurgau: Die Asbestsanierung von über 30.000 Objekten aus dem Depot des Historischen Museums Thurgau ist vorbildhaft gelungen.
„Den 200 Objekten, die wir im Historischen Museum Thurgau ausstellen, stehen 30.000 Objekte im Depot gegenüber. Die muss man hegen und pflegen.“ Das erklärte Museumsdirektorin Gabriele Keck den Besuchern des „Museumshäppli“ im voll besetzten Gerichtssaal im Frauenfelder Schloss, in dem einst eidgenössische Landvögte über Schuld und Unschuld entschieden.
„Im Depot bedienen sich Kuratoren, wenn sie eine Sonderausstellung planen. Hier forschen Wissenschaftler an Details. Dementsprechend muss es zugänglich sein.“ Über zwanzig Jahre hatte das Museum dafür Kellerräume in einem Gebäude an der Bahnhofstrasse gemietet.
Nachdem bei Sanierungsarbeiten im Sommer 2017 Asbest in der Luft und auf den Gegenständen gefunden worden war, begann die beispiellose Reinigungsaktion. „Es gab vor Jahren bereits einmal einen ähnlichen Fall im Smithsonian Museum in Washington“, sagt Karin von Lerber, die als Konservatorin und international tätige Museumsberaterin mit der Aufgabe betraut worden war. „Ich habe mich mit den Kollegen natürlich intensiv ausgetauscht.“
Nun berichtete sie von den neunmonatigen Reinigungsarbeiten, die sie gemeinsam mit dem Diagnostiker Stephan Baumann und dem Schadstoffsanierer Philipp Gilli geleitet hatte.
Blasen, pinseln, saugen
Zu Beginn der Aktion wurden im Erdgeschoss über dem Depot Räume als Arbeitsfläche vorbereitet. Sie wurden so abgedichtet, dass man einen Unterdruck etablieren konnte. Asbestfasern sollten auf keinen Fall unkontrolliert nach aussen gelangen. Über eine Schleuse wurden kontaminierte Gegenstände in den Arbeitsbereich gebracht, über eine zweite Schleuse wurden gereinigte Objekte für den Abtransport ins neue Depot bereitgestellt.
Ausgeklügelt war schon der Prozess in der Zugangsschleuse. Ein Mitarbeiter im Schutzanzug mit Atemschutzmaske stellte die Objekte hinein. Binnen rund zehn Minuten wurde die Luft in der Schleuse hundertfach ausgetauscht. Erst dann öffnete sich die zweite Tür und Restauratoren – wiederum unter Vollschutz – nahmen die Objekte für die Einzelreinigung entgehen.
Blasen, pinseln, und saugen hiess es dann für die Experten vor riesigen Abluftrohren. „Mehr kann man mit musealen Objekten nicht machen“, so von Lerber. Textilien, die in Kartons oder in Stoffsäcken aufbewahrt werden, waren erfreulicherweise nicht kontaminiert. Es genügte, ihre Schutzhüllen zu reinigen. „Wir haben aber auch Polstermöbel, Federkissen und Matratzen von Asbestfasern befreit.“
Bilderstrecke 1: Wie die Exponate gereinigt wurden
Alles sicher
Externe Experten kontrollierten im Anschluss, ob wirklich jede Faser erwischt wurde. Dazu mussten gemeinsam mit der SUVA extra neue Messverfahren entwickelt werden. Die bisherigen Methoden eigneten sich nur für die Raumluftmessung. „Wir mussten kein einziges Objekt entsorgen“, freut sich die Konservatorin.
Um sich und ihre Mitarbeiter habe sie sich nie gesorgt. „Ich habe noch nie so sicher gearbeitet wie in dieser Zeit“, sagt Karin von Lerber. Das erforderte allerdings auch Flexibilität. Die Fachkräfte mit ihren Anzügen und Masken arbeiteten jeweils in vier Stunden-Schichten, durften währenddessen nicht einmal aufs WC und mussten sich vor dem Verlassen des Arbeitsbereichs immer abduschen.
Eine logistische Meisterleistung
Damit bei der Reinigung und dem anschliessenden Transport in das neu eingerichtete Lager im Obergeschoss des Allmendcenters nicht alles durcheinandergeriet, war eine umfassende Dokumentation unabdingbar. Gegenstände, die zusammengehören, wurden nummeriert und farblich codiert, so dass Einzelteile eines Bettes oder eines Schrankes leicht wieder einander zugeordnet werden konnten.
Im Januar 2019 hatten die Vorarbeiten für die Sanierung begonnen. Anfang September - nach 10.179 Arbeitsstunden - war alles abgeschlossen. Gabriele Keck ist hochzufrieden mit der Arbeit des rund dreissig-köpfigen Teams aus Restauratoren und Handwerkern: „Im Rückblick hatte der Asbestfund auch etwas Gutes. Wir haben ein neues Depot bekommen, alle Objekte sind gründlichst abgestaubt, und wir haben nun eine bessere Ordnung.“ Für die Kosten der Reinigung ist die Eigentümerin der kontaminierten Immobilie aufgekommen, insofern hielten sich die Kosten für den Kanton in Grenzen.
Bilderstrecke 2: Einblicke in das neue Depot des Historischen Museums
Asbest ist von den sechziger Jahren bis zum Verbot in der Schweiz 1990 vielerorts eingesetzt worden. „Es war einfach praktisch“, sagt Karin von Lerber. „Aber die Stäube sind lungengängig und deshalb krebserregend. Deshalb rechne ich noch mit vielen solcher Sanierungs-Projekte in den nächsten Jahren.“ In einer privaten Sammlung in Winterthur ist die Konservatorin schon wieder im Einsatz.
Von Inka Grabowsky
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