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von Stefan Böker, 25.07.2024

Wasserrauschen im Ohrenkino

Wasserrauschen im Ohrenkino
Schotten dicht: Stefan Philippi vor der Tür zu seinem Ohrenkino. | © Stefan Böker

Seit sechs Wochen sind die Schotten dicht im Arboner Ohrenkino. Grund ist ein Wasserschaden, der nicht behoben sein wird mit ein bisschen Pumpen und Putzen. Die Geschichte eines eskalierten Konflikts. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Wer aus der Arboner Altstadt zum See läuft, kommt garantiert irgendwann mal am Schild auf dem Schlossplatz vorbei, das erklärt, was aus dem ehemaligen Werk 1 der legendären Firma Saurer geworden ist. Hier ist das ZIK-Areal entstanden, sprich: das «Zentrum für Innovation und Kunst», Eine «dynamische Symbiose zwischen Wohnen, Arbeiten, Wirtschaft, Kunst und Kultur».

Die Tafel stellt in überschwänglichen Worten vor, was auf dem Weg ins Büro, in die Wohnung oder zum Ufer anzutreffen ist. «Hier blüht bildende Kunst im öffentlichen Raum, um eine Kombination aus Ästhetik und Alltag zu schaffen (…) der Skulpturenpark ist ein Meisterwerk von hoher Qualität und beeindruckender Dimension (…)  ein Ort der Begegnung, der inspiriert und verbindet – ein wahrer Hafen der Kunst.» Der ganze Text wimmelt von Schlagworten wie Kunst, Kultur, Architektur, Inspiration, Begegnung, Möglichkeiten, Kreativität, und so weiter, und so fort  …

Viel Teer, viel Beton, wenig Grün

In Wahrheit läuft hier an einem hochsommerlichen Wochentag wenig. In einem Schaufenster wirbt die Immokanzlei um Kundinnen und Kunden. Im anderen, dem Schlossplatz zugewandten Laden, kann man SUP-Boards mieten. Immer noch prangt der Schriftzug «ZIK-Treff» an der Scheibe. Irgendwann wollten die Besitzer wohl einen Treffpunkt haben, der Inhaber versuchte es mit einem Restaurant. Irgendwas mit Elektrotherapie macht er auch. Und Staubsauger vermieten.

 

Rechts ein Parkdeck, links ein Innenhof – ein Ensemble, das in seiner Trostlosigkeit so in jedem Städtchen zu finden ist. Bild: Stefan Böker

 

Ein Pärchen in Businesskleidung eilt über den Platz, im Hintergrund eine meterhohe blaue Schraubzwinge; sie ist Teil des erwähnten Skulpturenparks. Die Sonne brennt auf den Betonsockel einer weiteren Skulptur und man kommt nicht umhin, sich die Frage zu stellen: Wer will sich hier hinsetzen und inspirieren lassen? Ausser man ist Immobilienverwalter, Immobilienentwickler, Immobilien-irgendwas…

Durchgang zum See

Sechs Gebäude bilden auf dem ehemaligen Betriebsgelände einen zusammenhängenden Komplex. Auf der ZIK-Homepage erfährt man, welche Wohnungen noch frei sind und wer dort, neben Privaten, bereits residiert: Das Bezirksgericht, die KESB, das medizinische Zentrum Arbon, das Sauer-Museum, der Verein «ZIKpunkt», eine Physiotherapeutin und eine Textilhandelsfirma etwa.

Künstlerisches sucht man, bis auf die Stickerei von Ursula Waldburger das Kulturförderprogramm «tada-residency», welches Kulturschaffenden Unterkunft bietet, vergebens. Nach einem Mietermix, mit dem man drauf und dran sei, Geschichte zu schreiben, wie die Immobilienfirma eines der drei Besitzer behauptet, sieht das jedenfalls nicht aus.

Nun ist es so, dass das Areal bereits 2002 durch die ZIK Immo AG gekauft wurde. Laut Selbstbeschreibung eine Gruppe von Menschen, die «Hingabe, Kreativität und Schaffenskraft» in reichem Masse verkörpert habe. Drei Namen stehen heute hinter der Firma: Heinz Nyffenegger, Konradin Fischer und Karl-Heinz Restle.

Video: So klang das Ohrenkino

ohrenkino_impression_1 from Modo GmbH on Vimeo.

Sound am ganzen Körper erleben

Von Anfang an gab es auch Mieter. Einer, der seit 19 Jahren dort werkelt, heisst Stefan Philippi. Philippi steht vor der Tür seines Ohrenkinos im Erdgeschoss an der Weitegasse. Links geht’s die Treppe hoch, da wohnt er. Rechts neben dem Eingang ist seine Werkstatt, und der hohe Kellerraum in der Mitte war der Öffentlichkeit zugänglich. Im Ohrenkino konnte das Publikum abgefahrene Installationen sehen und deren Sound am ganzen Körper erleben. Neben Besichtigungen und Führungen gab es auch Konzerte für Einzelpersonen und Gruppen. Wer wollte, durfte selbst musizieren oder Instrumente bauen.

Gegenüber befindet sich die ehemalige Kantine des Saurer-Werks, darin war jahrelang die Wunderbar. Ein (möglicherweise schützenswerter) Bau, der noch Seele besitzt mit dem ausgetretenen Dielenboden, dem Garten, der immer noch die Handschrift der ehemaligen Betreiberin trägt, und einer mächtigen Rotbuche. Eine Mutter hat es sich mit ihrer Tochter im Schatten des Baumes bequem gemacht, an den Tischen sitzen einige Gäste, man sieht bis zum See, wo Menschen in der Sonne baden – eine wunderbare Szene.

Auch wenn der Drive der alten Wunderbar fehlt: immer noch ein Ort, wo man sich gern dazu setzt und quatscht über Kunst und Kommerz.

 

«Sie lassen das Ohrenkino im wahrsten Sinne des Wortes absaufen»

Stefan Philippi, Klangkünstler

Philippi schwärmt von früher, vom Charme der alten Industriehallen, von der Freiheit, die anfänglich herrschte, von der Aufbruchstimmung. Für das, was aus der Vision des ZIK seit dem Baustart 2016 geworden ist, findet er hingegen keine guten Worte. Über seine Vermieter schimpft er regelrecht, da kommt der Künstler ins Rasen.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, ist ein Wasserschaden. Seit dem 4. Juni hat das Ohrenkino geschlossen – und Philippi fühlt sich von den Verantwortlichen alleingelassen. Mehr noch: Er denkt, das sie ihn loswerden wollen.

Ihn, den letzten Künstler des Areals, das mittlerweile zum reinen Schlaf- und Businesspark verkommen sei, erschaffen zum Geldscheffeln, unter dem Deckmantel von Kunst, Kultur und Kreativität. «Sie lassen das Ohrenkino im wahrsten Sinne des Wortes absaufen», sagt er desillusioniert beim Augenschein in den Räumen, die für ihn die Welt bedeuten.

Tinnitus im Ohrenkino

Seit dem Wassereinbruch hat das Ohrenkino Tinnitus. Wenn man das nervtötende Geräusch der Wasserpumpe denn so nennen möchte. Die Wände sind teilweise aufgerissen; der Fussboden auch. Es riecht modrig. Der Boden ist glitschig. Schimmel breitet sich auf dem Estrichbeton aus. Die grossen Installationen stehen noch; sie funktionieren ohne Strom nur teilweise. Kleinere Objekte – archaische Instrumente – hat Stefan Philippi in Sicherheit gebracht, nach oben, in seine Wohnung. Und mit der Flut stieg seine Wut.

Seitdem, so könnte man es vielleicht beschreiben, ist ein seit Jahren schwelender Streit völlig eskaliert. Männer, die sich duzten und – das ist belegt – zusammengearbeitet, zusammengesessen haben, siezen sich wieder. Werfen sich gegenseitig Beschimpfungen an den Kopf oder ignorieren Mails, verweigern den Kontakt.

Die einen, das sind plötzlich «Zahlenmenschen», Leute, die «von Kunst so viel verstehen wie ein Huhn vom Internet». Der andere ist nun ein «notorischer Nichtmietezahler», den man jahrelang durchgefüttert habe. Der froh sei könne, im Keller Kunst machen zu dürfen.

Nun trägt diese Eskalation nicht dazu bei, ein auf den ersten Blick alltägliches Problem zu lösen. Allerorten sind in der Region seit den ungewöhnlich starken Regenfällen ab Mitte Mai Keller vollgelaufen. Oft waren Kulturschaffende betroffen und mussten selbst zu Nassstaubsauger oder zumindest Wischmob greifen.

 

Das Ohrenkino säuft ab: Eine Wasserpumpe läuft, die Wände sind aufgerissen. Ein Loch im Boden ist voll mit Wasser. Bild: Stefan Böker

Künstler fühlt sich in die Ecke gedrängt 

Um die Wut von Stefan Philippi zu verstehen, muss man Dreierlei wissen: Das Ohrenkino, wie es sich zuletzt präsentierte, stellt für ihn sein Lebenswerk dar. «Die Summe meiner 30-jährigen Arbeit als Künstler», sagt der Klangforscher. Ein überraschender wie überwältigender Kulturort, schrieb «thurgaukultur.ch» im Februar.

Dazu kommt, dass er enorme Arbeit in das Projekt gesteckt hat. Seine Eigenleistung beim Innenausbau betrage den Wert von rund 160'000 Franken, versichert der versierte Schreiner. Er ist sich auch sicher, die Ursache des Wassereinbruchs zu kennen: Die Senkgrube, eine Art Wasserbecken, welche das Saurer-Gebäude jahrzehntelang vor Überschwemmungen schützte, sei bei der Sanierung und Platzgestaltung zerstört worden.

Das letzte Detail ist, dass er selbst vom eigenen Schaffen nicht weniger überzeugt ist als die Erbauer des ZIK von ihrem. «Schweizweit einzigartig», nennt er seine Kunst, «etwas total Neues». Dabei ist ihm kein Vergleich zu gross: «Die soziale Ebene in meiner Kunst spiele eine grosse Rolle, ähnlich wie bei Joseph Beuys. Nur viel leichter verständlich.»

Durch den Klang können Menschen mit jeglichem Material Kontakt aufnehmen – und es antwortet, hat Stefan Philippi mal über seine Kunst gesagt. Das ist das Verrückte an der Geschichte: Er, der Klang als soziale Komponente aller Dinge begreift – als Kommunikation – schlägt nach allen Seiten um sich, wütet und schimpft. Wer seine Strategie hinterfragt, wird selbst als «begriffsstutzig» abgestempelt. Der Wasserschaden im Ohrenkino ist in seinen Dimensionen und Auswirkungen für den Betroffenen tragisch, klar. Dennoch: Unlösbar scheint ein Wiederaufbau nicht.

 

Das Ohrenkino säuft ab: Eine Wasserpumpe läuft, die Wände sind aufgerissen. Bild: Stefan Böker

Dementi aus der Chefetage

Vor allem nicht, wenn man mit der Gegenseite redet. Während der Vorfall bei Philippi zu einem Unglück biblischen Ausmasses gerät, sieht man die Sache im Büro der ZIK Immo AG einige Etagen weiter oben nüchtern und professionell. Hier macht der Ton die Musik – und ein bisschen verschnupft ist man schon über die Entgleisungen des Klangkünstlers, das ist zu spüren.

Denn entgegen den Anschuldigungen von Stefan Philippi sei man intensiv in der Abklärung und Fehlersuche. Als Sprecher tritt Verwaltungsrat Konradin Fischer auf. «Es ist schon ein ‹riesen Seich›», sagt dieser. «Und es tut mir leid für Stefan Philippi.» Doch sei man bereits kurz davor, eine Lösung zu finden. Grundlagen von Architekten und Planern würden noch geliefert. Mit ziemlicher Sicherheit hänge der Wassereinbruch mit dem Hochwasser zusammen. Dass die Senkgrube schuld ist, sei nachweislich falsch, stellt Fischer klar. «Sie ist nicht die Ursache des Wasserproblems.»

Um die Ursache herauszufinden, hat die ZIK Immo AG eine Spezialfirma aus Gossau beauftragt. Unterlagen belegen, dass diese die Leckage noch nicht herausfinden konnte, doch weitere Schritte aufgezeigt hat. Weiterhin sei der Schaden der Versicherung gemeldet. Ein Protokoll der Handwerksarbeiten belegt, dass von Tag 1 des Wassereinbruchs sofort Fachleute im Ohrenkino waren und nach dem Rechten schauten. Sie belegen allerdings auch die wütenden Reaktionen des Ohrenkino-Betreibers.

«Uns liegt sehr daran, den Fehler zu finden und dem Ohrenkino eine Zukunft zu ermöglichen.» 

Konradin Fischer, ZIK Arbon

Was Bauingenieur Fischer, der ebenfalls ein Mann der ersten Stunde im ZIK ist, nicht will, das ist Symptombekämpfung. Denn dann stehe man beim nächsten Hochwasser wieder mit nassen Füssen da. Er versichert: «Uns liegt sehr daran, den Fehler zu finden und dem Ohrenkino eine Zukunft zu ermöglichen.» Dass danach der Fussboden samt Fussbodenheizung und Unterbau ersetzt werden muss, halte er für wahrscheinlich. Dem geplagten Künstler könne er darum nur den Rat geben, sich in Geduld zu üben.

Aber das ist eben leicht gesagt, wenn man selbst nicht bis zum Hals im Wasser steht.

Stefan Philippi selbst denkt darüber nach die Stadt zu verlassen und sein Ohrenkino an einem neuen Ort anzusiedeln. «Wenn ich hier nicht geschätzt werde, dann ziehe ich eben weiter», schliesst der Künstler aus der Misere.

 

Früher hatte er mehr Platz: Immer wieder musste Stefan Philippi mit seiner Werkstatt auf dem Gelände zügeln. Bild: Stefan Böker

 

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