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Was bleibt noch vom Leben, wenn wir vergessen?

Was bleibt noch vom Leben, wenn wir vergessen?
Vorfreude auf die Premiere am 10. Juli: Das Ensemble des See-Burgtheater 2025. | © Vera Holder

Darf man über Alzheimer lachen? Gehört Til Schweiger auf eine Theaterbühne? Das Kreuzlinger See-Burgtheater will seine Antworten darauf mit der diesjährigen Sommerproduktion „Honig im Kopf“ geben. Premiere ist am 10. Juli. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Zunächst die wichtigste Nachricht: Die Bühne wird bei der diesjährigen Produktion des See-Burgtheater dort stehen, wo sie nach überwältigender Mehrheit der allermeisten Besucher:innen zu stehen hat - direkt am Bodenseeufer. Anders als im vergangenen Jahr, als die Bühne bei „Prometheus“ eher seitlich zum See stand, wird man in diesem Jahr von der Publikumstribüne aus also direkt auf den Bodensee schauen können. Es soll Menschen geben, die vor allem deswegen das See-Burgtheater besuchen, um diesen Blick auf das plätschernde Wasser zu erhaschen. Was dann am Ende auf der Bühne gespielt wird, sei dann fast nebensächlich. 

Andererseits: Einer Theatertruppe, die mit der letzten Produktion einen so aussergewöhnlichen Hit gelandet hat - „Prometheus“ war sowohl bei Kritik als auch Zuschauer:innen extrem beliebt - ,der will man dann doch auch ganz gerne dabei zuschauen, was sie sonst noch so auf dem Kasten hat. 

Gespielt wird in diesem Jahr „Honig im Kopf“. Eine bittersüsse Komödie über die Krankheit Alzheimer. Ein Stoff, den der deutsche Regisseur und Schauspieler Til Schweiger höchst erfolgreich vor rund zehn Jahren fürs Kino produzierte. Eine, nun ja, interessante Wahl, die aber doch einer gewissen Logik folgt. Komödien und Sommertheater passen immer gut zusammen. Und gleichzeitig ist diese Wahl auch ein bewusstes Statement für Vielfalt im See-Burgtheater. 

 

Szene aus Honig im Kopf beim See-Burgtheater 2025. Bild: Vera Holder

Mehr als sieben Millionen Zuschauer:innen haben den Film gesehen

Nach der ambitionierten, politisch-philosophischen Revue „Prometheus“ nun ein eher konzentriertes kammerspielartiges Stück, das nicht versucht die ganze Welt zu erklären, sondern einen sehr persönlichen Einblick in ein sehr persönliches Thema geben will. Das ist auch ein Wagnis. Weil Til-Schweiger-Stoffe jetzt nicht unbedingt die Stoffe sind, nach denen die üblichen See-Burgtheater-Gänger:innen lechzen. 

Allerdings: Mehr als sieben Millionen Kinobesucher sind schon auch ein ganz gutes Argument für das Stück. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, weil wir die Breite des See-Burgtheaters zeigen wollen“, sagt Giuseppe Spina, einer von dreien aus dem immer noch recht neuen Leitungsteam und der diesjährige Regisseur. Es sei ohnehin immer einer Herausforderung, einen Stoff zu finden, „der über den Sommer bis zu 7000 Zuschauer berührt“, sagt Spina.

Nun also „Honig im Kopf“. Worum geht es in dem Stück? Es ist eine Geschichte über Demenz und Alzheimer. Vor allem ist es aber eine Geschichte über eine besondere Beziehung zwischen der elfjährigen Tilda und ihrem Grossvater Amandus.  Dessen zunehmende Vergesslichkeit und Hilflosigkeit stellen sich als Demenzerkrankung heraus, eine Betreuung im Pflegeheim scheint unausweichlich. Aber Tilda sieht dies anders und beschliesst, ihren Grossvater zu retten. Gemeinsam begeben sie sich auf eine letzte grosse Reise zu dem Ort, den Amandus nie vergessen konnte: Venedig.

Aktuell leben mehr als 4000 Betroffene im Thurgau

Liebe, Zuneigung, Verantwortung, Erinnerung, das Stück behandelt die grossen Themen des Lebens in einer sehr persönlichen Situation. Nachempfinden können das inzwischen immer mehr Menschen: Nach Angaben der Terz Stiftung wohnen in der Schweiz aktuell rund 144‘300 Menschen, die an einer Form von Demenz erkrankt sind. 

Davon leben circa 4‘225 Personen im Kanton Thurgau. Pro erkrankte Person sind eine bis drei Bezugspersonen mitbetroffen. Und es werden mehr: „Bis 2050 werden voraussichtlich in der Schweiz 315’400 Menschen erkranken, denn der grösste Risikofaktor ist das Alter. Umgerechnet auf den Kanton Thurgau würde sich die Zahl in Richtung 10‘000 Kranke entwickeln“, schreibt die Terz Stiftung auf ihrer Internetseite.

Einer der weiss, wie sich das anfühlt als Angehöriger die Krankheit zu erleben, ist Regisseur Giuseppe Spina. Sein Vater ist an Demenz erkrankt und lebt in einem Pflegeheim. „Insofern interessiert mich das Thema auch persönlich“, bekannte Spina bei der Medienkonferenz. Es sei angesichts der wachsenden Zahl der Betroffenen aber auch ein gesamtgesellschaftliches Thema. 

 

Hauptfiguren: Tilda und Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger. Bild: Mario Gaccioli

 

Alle Termine & Tickets im Überblick

Der Spielort: Das Theaterstück wird im Seeburgpark Kreuzlingen aufgeführt, direkt am Bodenseeufer. Die Zuschauertribüne ist überdacht, sodass die Aufführungen bei jeder Witterung stattfinden können, außer bei Dauerregen oder Sturm. 

Die Termine: Die Aufführungen finden vom 10. Juli bis 5. August 2025 statt, jeweils um 20:30 Uhr. Die genauen Termine sind: 
Juli: 10., 11., 12., 15., 16., 17., 18., 19., 22., 23., 24., 25., 26., 29., 30., 31.

August: 2., 3., 4., 5.
Die Aufführungen dauern ca. 2 Stunden.



Die Tickets: Tickets können online über die Website des Theaters erworben werden, inklusive Platzwahl.

Die Preise sind wie folgt:
Kategorie A (1.–8. Reihe): CHF 55.-

Kategorie B (9.–10. Reihe): CHF 49.–

Ermässigt (In Ausbildung, Kulturlegi, Bühnenschaffende): CHF 25.–

Für Gruppen ab 20 Personen gibt es eine 10-prozentige Ermässigung. Neu ist die Aktion „Vier gewinnt!“: U30-Jährige können für den Preis eines regulären Tickets bis zu vier Personen unter 30 Jahren mitbringen.

Was der Inszenierung des See-Burgtheaters neben der persönlichen Betroffenheit des Regisseurs eine originelle Note verleihen dürfte, ist die Tatsache, dass auch dieses Mal die Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger wieder dabei ist. 

Die Puppe wirkt lebendiger als mancher Schauspieler

Dieses Mal erweckt sie kein Tier zum Leben, sondern eine der Hauptfiguren - die elfjährige Enkelin Tilda. Gemeinsam mit der Schauspielerin Moira Albertalli steuert Rahel Wohlgensinger die Puppe durch das Stück. Tilda trägt altersgerecht Sneaker, Jeans und Kapuzenpulli. Ihr Haar ist durchsetzt von roten Strähnen und wie sie während der Medienkonferenz so zwischen dem Ensemble sitzt, wirkt sie mit ihren grossen, wachen Augen fast lebendiger als mancher Schauspieler. Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, dass sie das Stück ziemlich durchwirbeln wird.

Tildas Gegenüber wird in sehr vielen Fällen Luigi Prezioso sein. Der Schauspieler ist zum ersten Mal beim See-Burgtheater dabei, bringt aber reichlich Bühnenerfahrung mit. Er war am Opernhaus Zürich engagiert, spielte in Filmproduktionen mit und war zudem viele Jahre mit «Karl’s kühne Gassenschau» unterwegs. Trotzdem ist die Aufgabe jetzt auch für ihn eine besondere Rolle. Denn: Im Film spielte Didi Hallervorden ziemlich grandios den Amandus. 

Kann man sich mit Didi Hallervorden messen?

Wie er damit umgehen will, dass viele Zuschauer:innen Hallervorden vor ihrem geistigen Auge sehen werden? „Als ich das Rollenangebot bekam, hab ich erst gedacht, wie cool und dann im zweiten Moment ‚oh Fuck, das hat Didi gespielt im Film‘“, sagt Prezioso und lacht. Klar sei das eine Herausforderung, „aber ich werde mein Bestes geben, um meine ganz eigene Version von Amandus auf die Bühne zu stellen“, so Prezioso während der Medienkonferenz.

Mit einem ähnlich prominenten Namen muss sich der aus Konstanz bekannte Schauspieler Georg Melich messen. Er übernimmt im Stück die Rolle von Amandus’ Sohn Nick. Im Film spielte das Til Schweiger selbst. Das passt insofern ganz gut als Melich phänotypisch einerseits wie eine jüngere Version von Schweiger aussieht und der Konstanzer andererseits natürlich der bessere Schauspieler ist. „Ich freue mich sehr auf die Premiere und bemühe mich darum, deutlicher zu sprechen als die Filmversion meiner Rolle“, spielt Georg Melich auf die berüchtigte Nuschelei von Schweiger an.

 

Tilda, Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger und Schauspieler Georg Melich in der Kulisse des See-Burgtheater 2025. Bild: Vera Holder

Feuerwerk? Gibt es natürlich auch in diesem Jahr

Was können die Zuschauer:innen sonst erwarten? Ein sehr cooles Bühnenbild (Damian Hitz) mit riesigem Fernseher, Nachttischlampe und Kofferradio. Livemusik von einer Band (Jurij Drole, Amelie Lisa, Rafael Haldenwang und Simon Engeli), die passenderweise im überdimensionierten Kofferradio spielen wird und natürlich, wie könnte es anders sein, auch ein bisschen Feuerwerk. Das hatte schliesslich schon im vergangenen Jahr für einige besondere Knallmomente gesorgt.

Letzte Frage ans Ensemble: „Til Schweiger gilt als cholerischer Regisseur, der auf dem Set auch mal rumbrüllt. Wie viel Schweiger steckt im Regisseur Giuseppe Spina?" Erst ein Lachen, dann viel Kopfschütteln. „Ehrlich gesagt, gar nichts“, sagt die Schauspielerin Sabina Deutsch, „Giuseppe arbeitet sehr präzise und achtet auch auf viele Kleinigkeiten, aber genau das ist wichtig. Es ist toll mit ihm am Stück zu feilen und der Arbeitsplatz hier am See ist ohnehin ein Traum“, so Deutsch.

Das Publikum scheint das ähnlich zu sehen. Schon jetzt sind 70 Prozent der Vorstellungen nach Angaben des Theaters gebucht. Die Premiere ist am 10. Juli.

 

Macht was her: Das Bühnenbild (Damian Hitz) beim See-Burgtheater 2025. Bild: Vera Holder 

 

Im Rahmenprogramm: Spezielle Veranstaltungen über Demenz

Während der diesjährigen Spielzeit gibt es auch zwei Impuls-Matinées (im Gastrozelt des See-Burgtheaters), die sich mit der Krankheit Demenz beschäftigen. 


13. Juli 2025, 10:30 Uhr: Demenz bei jüngeren Erkrankten
Referenten: Irene Heggli und Bruno Lüscher von Alzheimer Thurgau
Dauer ca. 60 Minuten, Barbetrieb ab 10 Uhr und Austausch bis 12:30 Uhr
Eintritt frei, Kollekte zugunsten von Alzheimer Thurgau

 

Der gemeinnützige Verein Alzheimer Thurgau unterstützt die Thurgauer Bevölkerung seit 30 Jahren rund ums Thema Demenz. Der Präsident Bruno Lüscher und die Geschäftsleiterin Irene Heggli werden den Verein vorstellen und darüber informieren, dass Demenz keine Alterskrankheit ist, sondern jederzeit beginnen kann. Sie erklären, wie sich eine demenzielle Krankheit in jüngeren Jahren zeigen kann und wie man vorgehen kann, wenn man bei sich selbst oder im Umfeld entsprechende Symptome beobachtet.

 

3. August 2025, 10:30 Uhr: Die terz Stiftung im Gespräch mit Regisseur Giuseppe Spina
Dauer: ca. 60 Minuten, Barbetrieb ab 10 Uhr und Austausch bis 12:30 Uhr
Eintritt frei, Kollekte zugunsten der terzStiftung

 

terz ist eine schweizerische gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Stiftung in Berlingen. Sie engagiert sich für Menschen in der nachberuflichen Lebensphase und setzt sich für generationenverträgliche Lösungen ein.
An dieser Matinée wird die Stiftung sich und ihre Tätigkeiten vorstellen und in einem persönlichen Gespräch mit dem Regisseur Giuseppe Spina über Demenz aus der Sicht der Familienangehörigen sprechen.

 

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