von Maria Schorpp, 30.04.2019
Von Hasen und Menschen
Die Theaterwerkstatt Gleis 5 bringt mit dem Singspiel „Sängerkrieg der Heidehasen“ einen generationenübergreifenden Spass auf die Bühne. Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli überzeugen mit Puppenspiel und imaginären Hasenohren.
Die beiden Langohren tragen unverkennbar sehr menschliche Züge. Er ist sich seiner Talente bewusst, hält sich allen anderen gegenüber für ziemlich überlegen. Sich auf den Gesangswettbewerb vorbereiten? Wozu? Wozu andere Wochen brauchen, schafft er auf dem Weg dorthin, wo ihm der Sieg gewiss ist. Sie ist nicht minder selbstbewusst. Obendrein genervt von der Mittelmässigkeit um sie herum, vor allem der männlichen. Sie weiss, was sie will. Hilft aber nichts: Um gewisse Märchenkonventionen kommt gerade sie als Prinzessin nicht herum.
Zwei wahre Prachtexemplare aus der Familie der Hasen. Die Puppenbauer Melanie Sowa und Mario Hohmann haben ihnen den aktuellen trashigen Look auf den Puppenleib geschneidert. Lodengrün, so sein Name, kokettiert mit seinem jägergrünen Retrostyle und den hippen roten Sneakers. Sie, weiss wie Schneewittchen, könnte mit ihrem gepunkteten roten Kleid mit sichtbarem Spitzenpetticoat bei einer Schneiderin des britischen Königshauses arbeiten lassen. Ein bisschen blasiert wie die aus England ist sie schon. Das Hasenpublikum jubelt ihrem coolen Glamourgirl jedenfalls zu.
Alles drin in dem Stück: Liebe, Intrige, Dummheit und Wahrheit
Das Singspiel „Sängerkrieg der Heidehasen“, erschaffen in den schwarzweissen deutschen 1950er Jahren von James Krüss, obendrein noch mit Anspielungen an Richard Wagner versehen, ist rund sechs Jahrzehnte später immer noch ein wunderbarer Spass. Rahel Wohlgensinger, Simon Engeli und Giuseppe Spina haben die altehrwürdige Hasenkonstellation generationenübergreifend für das Heute aufpoliert und im Schweizerischen verortet. Die Themen sind ohnehin zeitlos: Liebe und Intrige, Dummheit und Wahrheit.
Dabei setzt die Produktion der Theaterwerkstatt Gleis 5, die sich im Innenhof des Frauenfelder Naturmuseums eingerichtet hat, konsequent darauf, sich hinter die Kulissen blicken zu lassen. Schon als Wanderschauspielende kommen Wohlgensinger und Engeli herein, was die Uhrzeit betrifft genauso verpeilt wie später Lodengrün. Was sie als Bühne mitgebracht haben ist ein wundersames multifunktionelles Gefährt, das aus der Werkstatt eines Mobilitätspioniers des 19. Jahrhunderts stammen könnte. Bühnenbauer Beat Fuhrimann hat auf kongeniale Weise Findigkeit mit Pragmatismus kombiniert. Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli zeigen auf, was damit alles möglich wird.
Die Bühne kombiniert Findigkeit mit Pragmatismus
Lodengrüns erstes Vorsingen ist jedenfalls superb. Rahel Wohlgensinger verschafft als Puppenspielerin ihrem Hasengeschöpf gleich einen grossen Auftritt. Wenig Gutes hingegen verheisst ihre Figur des Gesangsministers, den sie selbst verkörpert. Mit ihrer schwarzen Badekappe sieht sie ein wenig aus wie Mephisto, während Simon Engeli mit seinem bajuwarischen Direktor Dr. Wackelohr einen handfesten Dumpfbold gibt. Sein dicker Bauch sieht stark danach aus, als käme er vom vielen Weissbier. Dabei kommt er von einem Kissen unter der Joppe. Der Direktor möchte in diesem Jahr den vom Königshaus alljährlich ausgerichteten Gesangswettbewerb für sich entscheiden, und der korrupte Minister will ihm für 100.000 Hasentaler dabei behilflich sein. Diesmal nämlich erhält derjenige mit dem schönsten Lied auf die Prinzessin dieselbige als Siegesprämie.
Regisseur Giuseppe Spina hat mit den beiden Spielenden ein Gesamtwerk entwickelt, das Materie zum Leben zu erwecken vermag. Vor allem natürlich die beiden Puppen, die fast menschlicher daherkommen als die Vertreter aus Fleisch und Blut. Wenn der mephistophelische Minister und der dumpfbeutelige Direktor also beschliessen, Lodengrün auszutricksen, indem sie des nachts seine Uhr zurückdrehen, sodass er nicht mehr pünktlich zum Wettbewerb erscheinen kann, ist das ein bisschen Kasperletheater. Wenn Lodengrün und die Prinzessin sich in Szene setzen, dann sind zwei grosse Bühnenpersönlichkeiten zu bewundern.
Die Puppen wirken fast menschlicher als die Menschen auf der Bühne
Zwischenszenen am Rande nutzt die Inszenierung, um kleine theatrale Feuerwerke zu zünden. Etwa Hasennachbarin Karline, die bemerkt, wie sich Direktor Wackelohr ins Haus von Lodengrün stielt, um dessen Uhr zu verstellen. Rahel Wohlgensinger gibt die turboplaudernde Nervensäge, die sich jedoch als durchaus unkonventionell erweist, wenn es denn dem Guten dient. Simon Engeli nutzt indessen die Auftritte beim royalen Contest, um als Interpret zu glänzen, der es schafft, den Kleinen wie den Grossen als schüchterner Hyazinth Löffelstein und dezent schwuler Otto Lampe herzliche Lacher zu entlocken. Und natürlich als Direktor Wackelohr und dessen Ohrwurm „Schöne Häsin auf der Heide“.
Währenddessen thronen die Heideprinzessin und der väterliche König, neben ihr klein wie eine Maus, mit unterschiedlich grosser Begeisterung über allem. Lodengrün wird schliesslich doch noch im letzten Augenblick geweckt – ein schlimmer Lackaffe eigentlich, ein Ohrenbohrer, der es verdient gehabt hätte zu verpennen – und kann sein Lied, mit dem er alles aufdeckt, zum Besten geben. Selbstverständlich ist er der Sieger und bekommt die Prinzessin. Ende gut alles gut? Vermutlich werden schnell die Fetzen fliegen angesichts derart herausragender Hasenpersönlichkeiten.
Das sämtliche Altersklassen umfassende Premierenpublikum im Innenhof des Naturmuseums war vollauf begeistert. Das lag wohl auch daran, dass die beiden Schauspielenden am Ende mit der Multifunktionsbühne wegradeln. Unglaublich, das Ding lässt sich sogar lenken.
Weitere Aufführungen 12.Mai; 16./23.Juni; 18. und 25. August. Ticketreservation: https://www.theaterwerkstatt.ch/der-saengerkrieg-der-heidehasen
Bilderstrecke: Einblicke ins Stück (Fotos von einer Probe)
Video:Trailer zum Stück
Von Maria Schorpp
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