von Inka Grabowsky, 30.01.2025
Viele Brückenschläge in Diessenhofen
Das Museum «Kunst + Wissen» in Diessenhofen geht in diesem Jahr über Grenzen – über die Kantonsgrenze und auch über die Landesgrenze. Ausgestellt werden unter anderem Erwin Schatzmann aus Winterthur, Iris Dressler und Brigitte Enz aus Marthalen, sowie Monique Chevremont und Martin Becker aus Gailingen auf der anderen Rheinseite. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Wir sind eine seltsame Ecke des Kantons Thurgau», sagt die Museumsleiterin Lucia Angela Cavegn bei der Vorstellung des Jahresprogramms. «Man vergisst uns manchmal.» Mit aussergewöhnlichen Ausstellungen will die Tourismus-Beauftragte im Nebenamt die 4000-Einwohner-Gemeinde in die Erinnerung der Kulturinteressierten rufen.
Zunächst sind noch bis 16. März Skulpturen von Erwin Schatzmann zu sehen, die auf Werke von Johannes Diem, Rudolf Baumgartner und Willy Hartung antworten. Thema der Sonderausstellung ist «Kunst – Natur – Mystik». Ko-Kurator János Stefan Buchwardt erklärt: «Ausgegangen sind wir von der Blumenwiese von Diem – einem seiner Hauptwerke, das als Altarbild gedacht war. Nun wollten wir Naturmystik in anderen Kunstwerken finden.»
Eine Neuentdeckung im Alter von 80 Jahren
Rudolf Baumgartner, ein Künstlerfreund von Diem und Hartung, erwies sich dabei als eine Entdeckung. «Auch wenn er mit seinen über 80 Jahren kein Jungkünstler ist», wie Cavegn lächelnd sagt. Der Maler selbst meint zu seiner Reaktivierung: «Es kam überraschend.» Erwin Schatzmann, Holzbildhauer aus Winterthur, war beim Thema in seinem Element: «Ich verbinde Volkskunst aus aller Welt und Volksfrömmigkeit, und das mit Humor.»
Der 70-Jährige freut sich, wenn seine Kunst die Betrachtenden zum Schmunzeln bringt. «Ich bin mit Comics aufgewachsen. Auf dem Bauernhof meiner Eltern gab es sonst nicht viel Kultur. Das merkt man noch heute: Bierernst ist meine Lebenshaltung nicht.»
Ausstellung zeigt Funde aus dem Rhein
Vom 26. April bis 24. August ist der Fluss, der direkt vor dem Museum entlang fliesst, Material- und Ideengeber für die nächste Sonderausstellung unter dem Titel «RHEINREICH steinreich». «Iris Dressler und Brigitte Enz Woodtli widmen sich den vielen unerwarteten Dingen, die sie am Rhein entdeckt haben und die erst auf den zweiten Blick sichtbar sind», beschreibt Cavegn.
Iris Dressler ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Drechslerin, was der Museumsdirektorin sehr gefällt: «Ich mag den Bezug zum Handwerk im Museum Kunst + Wissen.» Das Untergeschoss ihres Hauses erinnert schliesslich an die Handwerkskunst der Rotfärberei. Brigitte Enz stellt nach eigenen Angaben das Thema Steine im Mittelpunkt. «Die Inspiration stammt von Steinen, die ich am Rheinufer gesammelt habe. Mit diesen Arbeiten möchte ich die verborgene Schönheit und Einzigartigkeit dieser natürlichen Objekte sichtbar machen.»
Ihr Ziel sei es, mit Hilfe der Kunst eine Brücke zwischen der natürlichen Welt und der menschlichen Wahrnehmung zu schlagen, den Blick für Details zu schärfen und Momente der Reflexion zu schaffen.
Ein melancholischer Grundton
Von 20. September bis zum 21. Dezember sind Werke eines Künstlerpaares aus unmittelbarer Nachbarschaft in Museum Kunst + Wissen zu sehen. Martin Guido Becker und Monique Chevremont wohnen und arbeiten im deutschen Gailingen. «Sie sind eng mit der Diessenhofer Kulturszene verbunden», so Lucia Angela Cavegn, «Deshalb nehme ich die Herausforderung an, ihre Werke zu verzollen, damit sie über den Rhein herüberkommen können.»
Auf den ersten Blick glaube man, die Kunstschaffenden seien gegensätzlich wie Tag und Nacht. So entstand der Titel der Ausstellung. «Doch beide vereint ein melancholischer Grundton. Martin stellt in seinen Nachtszenen häufig geisterhafte Häuser und mystische Landschaften dar, während Monique sich mit ihren Bildern die Sehnsucht nach einem verlorenen Goldenen Zeitalter weckt.»
Der Brückenschlag zu Gailingen
Einen besonderen Event plant Cavegn für den Nachmittag des 25. Mai. Die Teilnahme an «HochRheinKunst» soll an das Kriegsende vor achtzig Jahren erinnern. Hinter dem Projekt steht ein Verein, der das Gebiet zwischen Stein am Rhein und Rheinau in den nächsten Jahren entlang der Grenze mit Kunstwerken und Kunstaktionen beleben will.
Die Bevölkerung auf beiden Seiten des Rheins soll im Rahmen von kulturellen Anlässen mehr miteinander in Kontakt treten. In Diessenhofen gab es den ersten kulturellen Begegnungstag schon 2023. Die gedeckte Holzbrücke zwischen dem Städtchen und Gailingen war Schauplatz einer Performance von Regina Masuhr.
Die Brücke ist auch dieses Mal wieder das Zentrum. Ein Referat klärt über Geschichte und Bedeutung der Brücke auf, welche am 9. November 1944 durch die Amerikaner bombardiert worden war. Danach ist eine Kunstaktion des Zürcher Künstlers Adrian Bütikofer vorgesehen. «Wenn wir genug Sponsoren finden, wird ein aus zwei Hälften bestehendes Kunstwerk mithilfe vieler Teilnehmenden von deutscher und von der schweizerischen Seite in die Brücke geschoben und bildet auf der Höhe der Grenze eine Verbindung.»
Mehr Freude durch neues Vermittlungsformat
«Verbindung» ist das Stichwort für eine neue Form von Kunstvermittlung, die sich «Kunst + Wissen» durch die Kooperation im «TiM – Tandem im Museum» ins Haus holt. «Die Vermittlung von Inhalten ist unsere Aufgabe. Wir leisten Übersetzungsarbeit für manches nonverbale Kunstwerk und liefern damit Stoff für Gespräche», sagt Lucia Angela Cavegn. «Mit TiM bekommen wir vielleicht Menschen ins Museum, die bisher noch nicht hier waren.»
TiM ist bisher an rund 120 Museen schweizweit vertreten. Kern ist ein begleiteter Besuch, bei dem ein TiM-Freiwilliger mit einem Interessenten Eindrücke zu einem Ausstellungsstück austauscht und diese dann im digitalen «Musée Imaginaire» festhält.
Einen «TiM-er» gibt es schon in Diessenhofen. Die Regionalverantwortliche von Schaffhausen und Umgebung, Ursula Gull, hofft auf viele weitere «achtsame Zuhörende». «Es kommen immer wieder gute Gespräche zustande, was beide Seiten bereichert», sagt sie. «Es ist ein Angebot auch für Leute, die glauben nichts von Kunst zu verstehen.»
Das Museum und die nächsten Programmpunkte
Museum Kunst + Wissen im Oberen Amtshaus in Diessenhofen. Museumsgasse 11. Freitags bis sonntags 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Besuch ist gratis.
Mehr zum Rahmenprogramm gibt es hier.
Am 9. Februar um 15 Uhr ist Rudolf Baumgartner in Gespräch mit Gerhard Piniel über seine Künstlerfreundschft zu Johannes Diem und Willi Hartung.
Johannes Diem ist ab Ende März auch Protagonist einer Ausstellung im Kreuzlinger Museum Rosenegg.
Von Inka Grabowsky
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