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von Andrin Uetz, 15.04.2019

Versuch der Versöhnung

Versuch der Versöhnung
Testbild beim Aufbau. Die Balance zwischen Transparenz der Struktur und Farbintensität der Projektionen sei eine der Herausforderungen der Installation. | © Daniel Robert Hunziker

Die Kunsthalle Arbon eröffnet die neue Saison mit einer Arbeit des Zürcher Künstlers Daniel Robert Hunziker. Er zeigt sich darin als neugieriger Flaneur, der Räume schafft 

Daniel Robert Hunziker und sein Assistent Fiore Meron sind  beim Betreten der Kunsthalle hinter den aus Holzlatten und weissen Netzen gefertigten Wänden zuerst gar nicht zu sehen. Die von ihnen geschaffene Konstruktion ist eine Art Mischwesen zwischen Architektur, Skulptur und Multimedia-Installation. Geräusche von Hämmern und Bostitch-Pistole lassen vermuten, dass emsig gebaut wird. Die Vorstandspräsidentin Inge Abegglen und die Kuratorin Deborah Keller schwärmen davon, wie spannend es sei, der Entstehung eines neuen Raumes zuzusehen. Vor zwei Wochen war die Halle noch leer, und jetzt steht hier diese gleichsam transparente und schleierhafte Struktur. 

Beim Betrachten der Installation, wie auch im anschliessenden Gespräch zeigt sich, dass Hunziker Flaneur und Arbeiter zugleich ist. Flaneur in einer scheinbar unersättlichen Neugierde für urbane Situationen, welche er in seinen Photographien festhält. Arbeiter mit einem Drang neue Räume zu schaffen, oder, wie er es selbst treffend formuliert, “von der Schönheit der Natur so überwältigt zu sein, dass wir das verarbeiten müssen, indem wir Objekte schaffen, die Ausdruck unseres Empfinden sind.” 

Ein Archiv zur Plötzlichkeit erweckt 

In der Tat ist eines der Themen bei Hunziker die Schönheit der Natur, womit er aber gerade nicht das meint, was gemeinhin als schöne Landschaft, schöne Abendstimmung oder schöner Bodensee als Szene oder Sujet eines Gemäldes oder einer Fotographie dienen könnte. Schönheit ist vielmehr eine Verbindung zwischen Subjekt und Objekt, die plötzlich entstehen kann. Hunziker findet Schönes in alltäglichen Situationen, welche er mit der Kamera dokumentiert. 

Mal der Schatten eines Geländers, die Spuren der Verwitterung an einer Wand, eine expressiv chaotische Baustelle; zufällige Beobachtungen, sorgfältig in den Fokus der Linse gebracht. Fotos von Reisen aus aller Welt, doch ganz bewusst ohne touristische Klischees; berühmte Skylines, Wahrzeichen, ja gar Lebewesen sucht man vergeblich. Doch gerade dadurch wirken die Bilder umso menschlicher, weil sich in diesen Übergängen zwischen Natur und Kultur, dort, wo die Stadt “ausfranst”, etwas Unmittelbares zeigt; die generative Kraft des Zufalls vielleicht, welcher den normativen Bestrebungen unserer auf Sicherheit, Wohlstand und Ordnung getrimmten Gesellschaften ein Schnippchen schlägt. 

Von links: Inge Abegglen, Deborah Keller, Fiore Meron und Daniel Robert Hunziker beim Aufbau in der Kunsthalle. Bild: Andrin Uetz

Die Kunsthalle erscheint in einem neuen Licht 

Hunzikers Installation wirkt wie ein Korrektiv zu unserer durchgeplanten, hypervernetzten, ökonomisierten, quantifizierten Gegenwart. Es ist der Versuch einer Versöhnung zwischen rationalistischer Technik und den unmittelbaren Formen der Natur. Holzgerüste, Netzflächen, Beamer, Projektionen, also Mittel, welche allzuoft Räume von glatter Perfektion, von makelloser Oberfläche schaffen, tun hier etwas ganz anderes. 

Die Stellwände verweisen weniger auf sich selbst, sondern laden die Besucher und Besucherinnen dazu ein, die Kunsthalle in einem neuen Licht zu sehen und zu erfahren. Sie bieten einen Rahmen, welcher unsere Aufmerksamkeit auf Dinge lenkt, welche uns sonst vielleicht entgangen wären. Die eigentümliche Beschaffenheit des geteerten Bodens tritt in Dialog mit der Projektion eines Fotos einer Skulptur, welche ein Abguss von Spuren der Verwitterung zu sein scheint. Das Gerüst wirft Schatten, Raum und Stimmung verändern sich je nach Art des Tageslichts. Stellenweise Dunkelheit, stellenweise Licht; alles verändert sich, indem wir uns in der Ausstellung bewegen, wir selbst werden durch unseren Blick, unsere Präsenz Teil der Ausstellung.

Der Besucher wird Teil der Ausstellung durch seine Blicke

«There is more to the picture than meets the eye», singt Hunziker eine Zeile aus Neil Youngs Song «My My, Hey Hey». Es gibt eine innere Welt, welche nur selten mit der äusseren Welt korrespondiert. Doch wenn es passiert, wenn wir mit Gegenständen, Bildern, Objekten in Kontakt kommen, so hätte das eine unfassbare Intensität. Die Ausstellung in der Kunsthalle besteht zwar aus Projektionen von Bildern, doch versucht Hunziker, diese flüchtigen Eindrücke so zu inszenieren, das die Besuchenden damit in einen Dialog treten können. Wer sich in diese Räume begibt, ist eingeladen, Bezüge und Verbindungen zu schaffen, zur eigenen Erfahrung, zur erlebten Gegenwart, zwischen dem Ort der Ausstellung und den Heterotopien des Bildarchivs. Daher ist es ein Erlebnis von immer wiederkehrender Plötzlichkeit. 

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