von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 03.02.2022
Theaterwerkstatt jetzt auch zum Hören
Die Frauenfelder Theatergruppe startet mit ihren Werkstattgesprächen einen eigenen Podcast. In der ersten Folge reden der Autor Peter Stamm und der Theatermacher Simon Engeli über das Anfangen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Es ist eine der Urfragen jeden Tuns - wie fängt man eigentlich an? Für den Schriftsteller Peter Stamm steht am Anfang immer eine Frage: „Jeder Text ist eine Suche nach der Antwort auf diese Frage. Am Anfang darf man nicht zu viel wissen, denn wenn man schon alles weiss, dann bräuchte es diesen Text ja gar nicht“, so der aus Weinfelden stammende Autor.
Manchmal ist da aber am Anfang auch „erschreckend wenig“, wie der Theatermacher Simon Engeli einräumt. „Man nimmt am Anfang ja oft auch den Mund ziemlich voll gegenüber Förder:innen, gegenüber Medien. Eigentlich hat man aber noch keinen exakten Plan, aber gleichzeitig die Erfahrung, dass es am Ende schon gut werden wird und ein abendfüllendes Programm auf die Bühne kommt“, so der Schauspieler und Autor der Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5.
Nach Dürrenmatt und Hölderlin nun also die Theaterwerkstatt
Was ist also dran an diesem berühmten Zauber des Anfangs? Genau darüber reden Simon Engeli und Peter Stamm in der ersten Folge des neuen Podcasts „Werkstattgespräche“, den die Theaterwerkstatt selbst produziert. Verantwortlich dafür ist Judith Zwick. Sie hat schon erfolgreiche Audioformate für die Stadt Kreuzlingen im öffentlichen Raum realisiert und zuletzt mit lehrreichen wie unterhaltsamen Hörstücken über Dürrenmatt und Hölderlin gezeigt, wie gut sich Podcasts für die Vermittlung von Kultur eignen.
Zum Jubiläum der Theaterwerkstatt, sie wird in diesem Jahr 10 Jahre alt, kommt nun also, finanziert mit Mitteln aus dem Transformationsfonds des Kantons, ein eigener Podcast aus dem Theater. Zwick ist selbst Teil des Frauenfelder Künstler:innen-Kollektivs.
Noch ein Podcast, könnte man da mit markant hochgezogener Augenbraue denken. Braucht es den wirklich in der Fülle der Hörformate? Oder sind wir nicht alle längst ein bisschen gesättigt auf den Ohren? Nun. Hören wir mal rein. Geschichten rund ums Theater wollen sie also erzählen. Mit Stimmen und Gedanken aus ihren eigenen Reihen, aber sie wollen auch ins Gespräch kommen mit Gästen und über Fragen sprechen rund um Kultur und Gesellschaft, die sie spannend finden.
Auch ein Lehrstück über die Selbstermächtigung der Kulturszene
Natürlich ist das Projekt auch ein PR-Instrument für die Theaterwerkstatt, ein Vehikel um auf eigene Vorhaben aufmerksam zu machen und so, über ein neues Format, vielleicht neue Publika zu erreichen. Verwerflich ist das nicht. Die Kulturakteur:innen füllen nur den Raum, den der sich zurückziehende Kulturjournalismus ihnen lässt.
Das ist, wenn man so will, auch ein Beispiel für die notwendige Selbstermächtigung der Kulturszene in Zeiten des Aufmerksamkeits-Wettbewerbs. Und abgesehen davon: Mit einem platten PR- und Werbeprodukt haben diese «Werkstattgespräche» nichts gemein. Es geht vielmehr um Inhalte.
Insgesamt 10 solcher Podcast-Folgen will die Theaterwerkstatt im Laufe des Jahres publizieren. Zum Auftakt (zu hören ab Freitagabend, 4. Februar unter dieser Adresse) teilen Peter Stamm und Simon Engeli ihre Gedanken über das Anfangen mit den Hörer:innen.
Der euphorische Moment des ersten Funkens einer Idee
Peter Stamm verrät da zum Beispiel, dass er den Begriff des Anfangs eigentlich gar nicht mag: „Der Text ist für mich eher wie eine Skulptur. Ohne Anfang, ohne Ende“, sagt er. Und Simon Engeli spricht sehr anschaulich darüber, was das eigentlich bedeutet mit dem Anfangen und wo einen das auch hinführen kann im künstlerischen Prozess.
Engeli beschreibt es am Beispiel des neu entwickelten Monty-Stücks „So ein Chaos!“ Der Moment des ersten Funkens einer Idee sei immer besonders, aber im Probenprozess verändere sich der Text ständig: „Im Grunde schreiben wir jeden Abend nach der Probe eine neue Fassung“, gibt der Theatermacher einen Einblick in den künstlerischen Prozess.
Stamm und Engeli reden in diesem Podcast nicht miteinander, Judith Zwick hat den Beitrag wie ein klassisches Radio-Feature gebaut und streut ihre Gedanken zum Thema zwischen die O-Töne ihrer Gäste ein. Sie spricht über den Schreibprozess zwischen Chaos und Kontrolle, die künstlerische Ur-Suppe und das allmähliche Wachsen von Ideen. Fast so als wäre sie eine Vermittlerin zwischen Roman- und Theaterautor. Und das funktioniert erstaunlich gut. Tatsächlich werden am Ende, bei allen Ähnlichkeiten, doch auch die Unterschiede zwischen beiden Welten deutlich.
Als Hörer:in fühlt man sich von Anfang an mitgenommen
Knapp 20 Minuten dauert die erste Folge und sie lohnt sich allein deshalb, weil man den drei Protagonist:innen wahnsinnig gerne zuhört. Da treffen sich drei Menschen, die Geschichten einfach sehr gut erzählen können.
Das alles ist so unterhaltsam, so klug und im besten und umfassenden Sinne interessant, weil es tiefe und authentische Einblicke in diesen so komplexen Prozesses des Anfanges gibt und dabei vollkommen auf die üblichen Plattitüden zum Thema verzichtet. Als Hörer:in fühlt man sich jedenfalls in jedem Moment mitgenommen auf diese Entdeckungsreise, dieses stetige Suchen und Nachdenken darüber, was es mit diesem sagenumwobenen Anfangen eigentlich wirklich auf sich hat.
Kommen wir zum Ende also zurück auf eine Frage, nein, nicht vom Anfang, aber doch aus der Mitte dieses Textes: Braucht es wirklich noch einen weiteren Podcast? Die Antwort: Wenn die weiteren Folgen der Reihe dieses Niveau halten können, dann unbedingt. Grosse Hörempfehlung!
Den ganzen Podcast jetzt anhören
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