von Maria Schorpp, 20.12.2021
Urknall im Zwiebeldunst
In der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld ist im Stück „So ein Chaos!“ Monty als philosophierender Möchtegern-Koch zu erleben. Obwohl das hündische Plüschtier ohne Zweifel die Hauptrolle spielt, sind seine Mitspielenden Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli durchaus ebenso sehenswert – für ab sechsjährige Menschen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Diese grossen braunen Hundeaugen! Wie sie Frauchen und Herrchen anzuhimmeln scheinen. Von wegen. Tatsächlich wird schnell klar, dass der Besitzer dieser Augen der eigentliche Boss ist. Lediglich Rahel kann er als Autoritätsperson akzeptieren. Aber dieser Simon, der ewig nicht aus seinem Morgenmantel rauskommt? Höchstens als Dosenöffner, falls Monty überhaupt geneigt ist, Dosennahrung zu sich zu nehmen.
Simon hat die liebevolle Respektlosigkeit seines tierischen Mitbewohners allerdings verdient. Solche Begriffsstutzigkeit muss man erst mal hinbekommen. Da kann Rahel „Happy Birthday“ summen, so viel sie will, da passiert gar nichts in diesem Hirn. Unübertrefflich das dreifache „Häääh?“, nachdem Rahel stinksauer zu einer Ersatzverabredung mit der besten Freundin abrauscht, weil der eigene Mann offensichtlich ihren Geburtstag vergessen hat.
Die Puppe erwacht
So sieht der Prolog zum neuen Monty-Stück von Rahel Wohlgensinger, Simon Engeli und Andea Noce Noseda aus, der Regie führt. Der absolute Hauptdarsteller ist bis dahin aber lediglich ein lebloses Bündel. Wie die Puppe mit einem grossen Gähnen erwacht, spielt sie sofort alle an die Wand. Rahel Wohlgensinger geht eine wunderbare Symbiose mit ihrem zweiten Ich ein. Obwohl sie als Puppenspielerin zu sehen ist, vergisst man schnell, dass sie eigentlich das Plüschtier zum Leben erweckt. Das Geschöpf wächst in gewisser Weise über seine Schöpferin hinaus.
„So ein Chaos!“ ist das neue Monty-Programm, das nun endlich in der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld uraufgeführt werden konnte. So viel vorneweg: Der Titel verspricht nicht zu viel. Zielsicher wurschteln sich die beiden ins absolute Chaos, dabei sollte dieses doch am Anfang stehen. Am Anfang war Chaos heisst es nämlich in einer der Erzählungen vom Anfang der Welt, die Simon so spannend findet, dass er das aktuelle Tagesgeschehen um sich herum vergisst.
Urtierchen aus dem Teigbatzen
Eine schöne Idee ist das, Kochen – soweit man das so nennen kann, was die beiden da auf der Bühne veranstalten – und Entstehungsmythen zusammenzubringen. Der Plan ist nämlich, Rahel mit einem Überraschungsmenü wieder zu versöhnen. Mit einem aufgeschlagenen Ei etwa wird erklärt, wie sich die alten Finnen die Entstehung des Kosmos vorgestellt haben. Einmal krabbeln aus einem Teigbatzen kleine Urtierchen. Das ist die Evolution, sehr poetisch von Rahel Wohlgensinger mit wenigen Handgriffen ins Bild gesetzt.
Ansonsten geht es heiss her in dieser Küche, deren Elemente von Joe Fenner bühnenbildnerisch geschickt auf Rollen gesetzt wurden. Kühlschrank und Herd sind auf diese Weise mobil einsetzbar, was dem furiosen Geschehen um die beiden verrückten Spinner zusätzliche Dynamik verleiht. Das Menü des Spitzenkoch-Duos besteht letztlich aus einer Gemüsequiche, und die anvisierten neuen Geschmackswelten sind voller Mehlschwaden und Zwiebeldunst. Und ganz nebenbei wird, wie gesagt, noch die Welt erklärt.
Der Grosse Mixy Mixy
Simon Engeli entwickelt nach und nach aus seinem anfänglichen Schlaffi einen Menschen, dessen Stärken nicht in der rauen Wirklichkeit liegen, sondern im Phantasieren, Erzählen, Herumüberlegen. Und im Herumblödeln. Da gibt’s mal einen Knall, nicht den Urknall, sondern den eines durchgeknallten Mixers, was die beiden zum Anlass nehmen, den Mythos vom Grossen Mixy Mixy zu erfinden. Man muss sich wohl nicht schämen, wenn man sich auch als in die Jahre gekommener Mensch sehr über das Küchengerät auf Beinen amüsiert.
Das alles wäre natürlich nichts ohne den Grossen Monty, der sich souverän den Herausforderungen des Lebens stellt. Er ist Philosoph, Satiriker, Besserwisser und Cleverle in Einem (mit Instagram-Account), wobei er eingestehen müsste, dass seine menschlichen Eltern durchaus Anteil haben an seinem Wortwitz. Eine gewisse Panik zeigt er eigentlich nur, nachdem er es beim Geschirrspülen zu gut mit dem Spülmittel gemeint hat, wodurch eine veritable Schaumlava entsteht, die sich über das Becken hinaus auf den Bühnenboden ergiesst. Erstaunlich, zu welcher Ausdruckskraft eine Handpuppe fähig ist.
Verabschiedung mit Getrampel
Die kleinen und grossen Kinder nahmen bei der Premiere lebhaft Anteil am Geschehen und liessen sich zuweilen zu spontanem Szenenapplaus hinreissen, etwa wenn Simon eine Percussion-Improvisation mit Küchenutensilien hinlegt. Ende gut, alles gut, Rahel ist zuletzt wieder versöhnt, wenn die beiden Chefs de Cuisine auch nicht ganz den richten Garpunkt für die Gemüsequiche getroffen haben. Dafür aber den Geschmack ihres Publikums, das die drei mit begeistertem Getrampel verabschiedete.
Die nächsten Aufführungen
Weitere Vorstellungen am 15., 16., 19., 22. und 23. Januar 2022. Tickets gibt es über die Website der Theaterwerkstatt Gleis 5.
Von Maria Schorpp
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