von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 10.10.2019
Unvollendet
Das Kollektiv COSMOS hat drei Wochen lang das Kunstmuseum Thurgau besetzt. Während das Format der Ausstellung «Superhaufen» überzeugt, gelingt dies den Inhalten nicht immer.
Was passiert, wenn man zwölf Künstlerinnen und Künstler aus vier verschiedenen Nationen über mehrere Wochen in ein Museum einschliesst und sie einfach mal machen lässt? Antworten darauf liefert die aktuelle Ausstellung «Superhaufen» des internationalen Kunstkollektivs «Center of Sound, Margin of Silence», kurz COSMOS, im Kunstmuseum Thurgau.
Betrachtet man nun das Ergebnis, also, dass was in der Ausstellung zu sehen ist, wird man nicht umhin kommen, die Frage, ob dieses Experiment geglückt ist, zweigeteilt beantworten zu müssen. Einmal im Hinblick auf die Form, zum zweiten im konkreten Blick auf die Inhalte.
Es ist richtig, dass sich das Kunstmuseum so öffnet
Die Frage nach der Form ist dabei relativ schnell zu beantworten: Dass sich das Kunstmuseum Thurgau auf diese Weise für zeitgenössische Kunst aus der Region und der ganzen Welt öffnet und auch durch die Künstlerinnen und Künstler angelegte Irritationen im eigenen Betriebsablauf akzeptiert, ist ziemlich grossartig. Es zeigt einen Mut zu Offenheit, den längst nicht jedes Museum wagt. Und: Es zeigt auch dass man in Ittingen bereit ist, Veränderungen in gewohnten Routinen und Abläufen zuzulassen. „Wir wollen das Bekannte verfremden und eine Neusichtung dieses Ortes erreichen“, hatte Museumsdirektor Markus Landert zu Beginn des Projektes gesagt. Wer nun durch die Ausstellung «Superhaufen» läuft, bekommt sehr schnell den Eindruck, dass das gelungen ist.
Die Bewertung der Inhalte lässt sich hingegen nicht ganz so eindeutig beantworten. Wie üblich in Gruppenausstellungen sind Gehalt und Qualität der einzelnen Arbeiten unterschiedlich. Ein Resultat, das sich auch aus der Anlage der Ausstellung ergibt. Der Titel «Superhaufen» verweist auf die Astronomie. Dort sind Superhaufen Ansammlungen von Galaxien, die sich mit ihrer Schwerkraft gegenseitig anziehen. Dieses Bild passt ziemlich gut zu dem Gezeigten: Die Arbeiten sind formal wie inhaltlich manchmal wie weit voneinander entfernte Galaxien, aber der gemeinsame Arbeitsprozess schweisst sie dennoch auf eine tiefere Weise zusammen.
Was sagen die Geräusche einer Gegend über die jeweilige Gesellschaft?
Die Ursprungsidee des Projektes war es, Geräusche einer Stadt und ihrer Peripherie aufzunehmen und aus diesem Material sozio-ökonomische Fragen zu stellen: Wer wohnt wo und wie? Wem gehört der öffentliche Raum? Was macht eine Stadt, eine Gesellschaft aus? Untersucht wurden dabei vor allem die Städte Zürich, Zagreb und Bogota. Von diesem Ansatz ist nur ein Teil übrig geblieben, man findet in beispielsweise in den Video-Interviews aus der Serie „Freedom“ von Mirjam Wanner oder in der Videoinstallation „Sound Landscapes“ von Esneider Gamboa Burbano und Diana Becerra Guzmán. Während Wanner junge Menschen aus Kolumbien, Kroatien und der Schweiz zum Thema Freiheit befragt, untersuchen Burbano und Guzmán Klänge und Frequenzen der drei Städte Bogota, Zürich und Zagreb.
Dazu gesellen sich Arbeiten, die in Ittingen entstanden sind und sich mit dem Ort beschäftigen. Herausragend sind hier die Werke von Falk Messerschmidt, Josip Zanki und Tea Hatadi. Messerschmidt und Zanki erweitern die Geschichte der Kartause mit ihrem Musuemskatalog „Palimpsest Museum für unendliche Geschichte“ an der Grenze zwischen Fiktion und Fake auf amüsante Weise. Im Stile eines wissenschaftlichen Aufsatzes schildern sie beispielsweise wie die Mönche durch ihre Meditation elektrische Energie erzeugen und wie das nur beiläufig bemerkt wurde. Eine sehr zeitgeistige wie kluge Auseinandersetzung mit dem, was wir Wahrheit nennen.
Almira Medaric überrascht mit ungewöhnlichem Ansatz
Tea Hatadi ist mit zwei Arbeiten vertreten: Eine Videoinstallation über das Unterwegs-Sein („Be my rosé like the little prince had one“) und - fast noch eindrücklicher - ihre Frottagen unterschiedliche Oberflächen in der Kartause.
Zu den bemerkenswerten Arbeiten der Ausstellung gehören sicher auch die Werke der Frauenfelder Adolf-Dietrich-Förderpreisträgerin Almira Medaric. In ihrer Serie „What you see is what you hear“ lässt sie die Geräusche einer Stadt in der Fotografie sichtbar werden. Ein überraschender wie ungewöhnlicher Ansatz, der sich beim Betrachten schnell erschliesst. Ihr Faible für Geometrie scheint in den Fotografien „Križevi“ auf: Hier hat sie in die Gesichter ihrer COSMOS-Kolleginnen Tätowierungen aus der Zeit des osmanischen Reiches platziert. In Bosnien (Medaric stammt von dort) liessen sich katholische Frauen Kreuze und kreuzbasierte Formen als Erkennungszeichen tätowieren, in der Hoffnung darauf so einer möglichen Konversion zum Islam zu entgehen.
Die Frage, welcher Konversion die jungen Künstlerinnen entgehen wollen, oder welche Funktion die Tätowierungen heute haben könnten, bleibt offen. Der Frauenfelder Künstlerin geht es in ihrer Arbeit insgesamt allerdings mehr um die geometrischen Formen als um die gesellschaftspolitischen Dimension hinter den Tätowierungen.
Nicht alles wirkt bis ans Ende gedacht
Dem Konzept der Ausstellung - Werke entstehen in einem kurzen Zeitraum unter Druck - geschuldet ist allerdings, dass manche Arbeiten unfertig, nicht ganz zu Ende gedacht wirken. So zum Beispiel die Soundinstallation „Birds that echo their way through the looking glass“ von Sylvia Jaimes, Bojan Mucko, Helena Maria Reis, Leonel Vásquez und Mirjam Wanner. Die durch den Raum schwirrenden Interpretationen von Vogelstimmen lassen einen etwas ratlos zurück.
Bisweilen stellt sich auch die Frage nach dem künstlerischen Ansatz. Material, das in Kunstmuseen gezeigt wird, hat üblicherweise zuvor eine, wie auch immer geartete, Transformation durch die Kunst erfahren. Bei den Video-Interviews „Freedom“ von Mirjam Wanner ist dieser Grenzübertritt vom journalistisch-dokumentarischem zum künstlerischen Format nicht ganz klar. Man hört den Protagonistinnen gerne zu, aber es fehlt ein wenig der künstlerische Überbau.
Was bedeutet es für die Kunst, wenn der Prozess wichtiger wird als das Ergebnis?
Das wirft freilich Fragen auf: Was bedeutet es für die Kunst, wenn der Prozess, also die Entstehung von Kunst, wichtiger wird als das Ergebnis, also das fertige Werk? Ist das die Fortführung von Beuys nur mit anderen Mitteln? Ist das eine Entwertung von Kunst? Oder eine Erweiterung? Löst es die Kunst von dem industriellen Gedanken einer Fertigung an dessen Ende ein wie auch immer geartetes Objekt stehen muss? Oder macht es jede Form von Kunst obsolet, weil nun alles Kunst sein kann?
Man kann den Künstlerinnen und Künstlern von COSMOS nicht vorwerfen, dass sie sich dieser Fragen nicht bewusst wären. Im Gegenteil, sie thematisieren sie teilweise sogar in ihren Arbeiten. Goran Škofić zum Beispiel in seinem herrlich selbstironischen Video „I’ll do my best“. Darin reflektiert er die künstlerische Suche nach Originalität, aber auch das Klischee von Artist-in-residence-Programmen. Die Fragen liegen also auf dem Tisch. Es ist nun an jedem einzelnen Besucher, sie für sich zu beantworten.
Termine: Noch bis Mittwoch, 16. Oktober, ist die Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau zu sehen. Ab dem 24. Oktober (und bis zum 21. November) ist «Superhaufen» dann in veränderter Form auch im Kunstraum Nextex in St. Gallen zu sehen.
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