von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 15.10.2018
Spitze oder Breite?
Die Musikschulen müssen sich entscheiden, was sie sein wollen. Das ist eine der Lehren aus dem aktuellen Streit um die klaren Worte von Andreas Schweizer.
In der Thurgauer Musikschullandschaft brodelt es. Das machen die Reaktionen auf das Interview von Andreas Schweizer, Noch-Präsident des Thurgauer Musikschulverbandes mit thurgaukultur.ch, deutlich. Schweizers klare Worte zum Zustand der Musikschulen im Kanton kamen bei seinen Kollegen erwartungsgemäss nicht sonderlich gut an. Öffentlich reden will darüber derzeit noch keiner, aber hinter vorgehaltener Hand äusseren einige Unverständnis über die öffentliche Schelte. „Andreas Schweizers Verdienste um die Thurgauer Musikschulen sind unbestritten, aber seine aktuellen öffentlichen Äusserungen sind unerträglich“, sagt zum Beispiel ein Gesprächspartner. Schon länger habe es sich Schweizer mit seinen Kollegen verscherzt, heisst es. Vor allem mit seiner selbstbewussten, bisweilen als eitel bis verletzend empfundenen, Art der Kommunikation habe er insbesondere viele Musikschulleiterinnen und Musikschulleiter vor den Kopf gestossen.
Wer das Interview mit Andreas Schweizer aufmerksam liest, der bekommt ganz gut mit, wo die Konfliktlinien verlaufen. Im Kern geht es um nichts weniger als die Frage, was die Musikschulen eigentlich sein sollen und wie sie sich für die Zukunft aufstellen sollten, damit es sie auch in 50 Jahren noch gibt. Während Andreas Schweizer einen stärkeren Akzent auf Professionalisierung und Begabtenförderung legt, befürchten andere, dass genau das, die aus ihrer Sicht eigentliche Aufgabe von Musikschulen gefährden könnte. Nämlich die Vermittlung von Spass und Freude an Musik in die Breite der Bevölkerung.
Wie gehen Breiten- und Spitzenförderung zusammen?
Tatsächlich ist das ja eine hochspannende Frage: Was sollen unsere Musikschulen heute leisten? Der im September von seinem Präsidentenamt zurückgetretene Andreas Schweizer glaubt, dass beides gleichzeitig möglich ist: Breiten- und Spitzenförderung. Er setzt auf ein sich selbst erzeugendes Anreizsystem: Musikschulen mit gutem Ruf und profunder Ausbildung seien immer Anziehungspunkt für engagierte und ehrgeizige junge Musiker, so Schweizer. Deshalb müsse man für die Zukunftssicherung vor allem an der Qualitätsschraube in den Musikschulen drehen. Das geht für ihn nur über eine weitere Professionalisierung der Musikschullandschaft und über eine Zusammenlegung von einzelnen Standorten zu grösseren Einheiten, was letztlich Schliessungen in kleineren Orten bedeuten würde.
Ob diese Entwicklung die richtige Schlussfolgerung ist, kann man erst beantworten, nachdem man eine andere Frage geklärt hat. Jene, nachdem, was unsere Musikschulen eigentlich leisten sollen. Sollen sie primär Stätten der Begabtenförderung sein, dann ist Schweizers Weg konsequent. Sollen sie aber möglichst vielen jungen Menschen einen Zugang zur Musik ermöglichen, kann man an dem Weg auch zweifeln. Denn: Zusammenlegung von Standorten bedeutet auch, dass die Zugangsbarrieren zu Musikschulen, vor allem für Menschen aus dem ländlichen Raum, erhöht werden. Der Aufwand zur Musikschule zu gehen wird grösser, wenn sie nicht in der Nähe ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich junge Menschen und ihre Eltern dann noch dafür entscheiden, sich in einer Musikschule einzuschreiben, dürfte dadurch sinken.
Eine Richtungsentscheidung ist fällig
So lange also relevante Richtungsentscheidungen in der Thurgauer Musikschullandschaft aufgeschoben werden, wird sich am lähmenden Status Quo erstmal nichts ändern. Ob die neu installierte Arbeitsgruppe beim Amt für Volksschulen den Durchbruch bringt, bleibt abzuwarten.
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