Seite vorlesen

Retrospektive mit Yvonne Escher

Retrospektive mit Yvonne Escher
Im Februar ist die Steckborner Filmerin Yvonne Escher 80 Jahre alt geworden. | © Kathrin Zellweger

„In meinem Alter muss man den Platz in der Mitte anderen überlassen. Von den besten Freunden sind noch wenige geblieben. Man wird einsamer; das ist nicht schön, aber auch nicht nur traurig“, sagt Yvonne Escher, Filmerin aus Steckborn. Im Februar dieses Jahres ist sie 80 Jahre alt geworden.

Kathrin Zellweger 

Es freut Yvonne Escher, dass das Cinema Luna ihren runden Geburtstag zum Anlass nimmt und in einer Retrospektive einen Ausschnitt aus ihrem filmischen Schaffen zeigt. „Auf diese Anerkennung habe ich früher oft vergeblich gehofft; sie ist mir heute nicht mehr wichtig. Es gab ja auch Zeiten, in denen ich mich und meine Arbeit überschätzte.“ Wenn sie heute auf die vergangenen Dezennien zurückschaut, tut sie das aus nachdenklicher Distanz. Dankbar, aber nicht überschwänglich.

Sie zündet sich eine Zigarette an, kramt in der Schachtel mit den vergilbten Fotos und den Zeitungsausschnitten und sieht mit einem Mal viel jünger aus. Sie erzählt davon, wie sie sich neben der Schauspielschule in Köln in einer Fabrik für Haarwasser das Studiengeld verdienen musste; sie schwelgt in den Erinnerungen an die Zeit in Genf, wo sie mit der Filmwelt zum ersten Mal in Kontakt kam; sie erinnert sich an ihre ersten Schritte als Filmschauspielerin in Rom. Jene sieben Jahre, 1969 bis 1976, bezeichnet sie als die spannendsten ihres Lebens. „Was war ich für ein Landei! Vor Ehrfurcht wie gelähmt begegnete ich Regisseuren wie Michelangelo Antonioni, Pier Paolo Pasolini, Vittorio de Sica oder den Gebrüdern Taviani. Oft merkte ich erst spät, zu spät, mit wem ich es zu tun hatte. Heute würde ich diese Kontakte besser nutzen. Ich hätte mutiger sein, mich trauen sollen.“

Den einen Traum verwirklicht, den andern begraben

Als Kleopatra stand sie 1968 selbst vor der Kamera. Sie schiebt ein Foto über den Tisch: „Ich war damals eine hübsche Frau.“ Hauptrolle hin oder her: Sie war dennoch nicht der Anfang einer Karriere als Filmschauspielerin. Yvonne Escher hatte gemerkt, dass es ihr nicht leicht fiel, sich in eine fremde Person zu versenken und deren Gefühle in sich hochsteigen zu lassen, „was ja auch schmerzhaft sein kann“. Der Filmwelt blieb sie trotzdem treu. Als Frau hinter der Kamera, wo sie ganz sich selbst sein konnte. „Ich hatte ein tolles Leben und war frei. Ich konnte meinen Traum verwirklichen und als selbständige Regisseurin eigene Filme drehen. Der Preis dafür war, dass sich mein anderer Traum, jener einer Familie, nicht verwirklichen liess.“ Sie drückt die Zigarette aus. „Ich genoss meine Freiheit, aber sie war nicht umsonst zu haben. Wenn ich damit nicht scheitern wollte, musste ich sie immer wieder von neuem mit Sinn und Inhalt füllen. Das kostete Kraft.“ Sie schaut ihr Gegenüber an, in Gedanken weit weg: „Aber ich habe nie aufgegeben. Das war meine Stärke. Das Leben muss man sich immer wieder verdienen, indem man sich behauptet.“ Jetzt schwingt er wieder mit, dieser Ton, der von leiser Trauer zu dankbarer, etwas müder Rückschau wechselt. „Was gewesen ist, ist gewesen und es ist gut so. Was ich habe zeigen und sagen wollen, habe ich in und mit meinen Filmen getan.“

„Es gibt Wichtigeres als Filme machen“

In Yvonne Eschers Filmographie finden sich über zwanzig Filme, vornehmlich Dokumentarfilme. In diesem Genre fühlte sie sich wohl, weil sie auf Spontanes reagieren musste und jede neue Einstellung unerwartet und überraschend sein konnte. Mit 60 Jahren wechselte sie vom 16-Millimeter-Format zum Videofilm, im Selbststudium. Oft machte sie vom Drehbuch über die Regie bis zum Schnitt alles selbst – ab und zu bezahlte sie auch noch alles aus dem eigenen Sack. Leidenschaft, nennt man das. Doch dann sagt sie: „Es gibt Wichtigeres als Filme machen. Meine Filme verändern ja nichts. Statt mich während Monaten mit einer Geschichte über tibetische Flüchtlinge abzumühen und daraus einen einstündigen Film zu machen, hätte ich besser Hand angelegt, um das Elend zu mildern, das ich bei den Dreharbeiten um mich herum erlebte.“ Es ist nicht ihre Absicht, zu richten und Einsichten zu vermitteln, „denn der Inhalt hat nur insofern mit mir zu tun, als ich für dessen filmisch überzeugende Umsetzung verantwortlich bin“.

Der zermürbende Gang zu den Sponsoren

Als Yvonne Escher 1979 nach Steckborn zurückkehrte, war sie von der Schönheit des Sees so überwältigt, dass sie darüber für den SWF einen Film drehte. Er wurde zu einem Zeitdokument über die Berufsfischer zwischen Gegenwart und Tradition und eine Hommage an ihre neu entdeckte Heimat. Manchmal, wie bei „Rebzeiten“, wurde sie für einen Film angefragt; andere wiederum drehte sie, weil es sie dazu drängte. Auf diese Weise entstanden beispielsweise „Stationen“ (1984) und „Sugar Baby“ (2011). „Diese Filme sind besonders persönlich und auch emotional gefärbt. Ich habe in ihnen Antworten auf eigene Fragen gefunden.“

In der Regel muss vor Filmbeginn die Finanzierung gesichert sein, die Zusagen der Fernsehanstalten beispielsweise müssen auf dem Tisch liegen. Dennoch kam Yvonne Escher nicht darum herum, zusätzlich an verschiedenen Türen als Bittstellerin anzuklopfen, ihre Absicht zu begründen, das Budget zu rechtfertigen und dann auf eine positive Antwort zu hoffen. „Ich brauchte Kraft, dass mein Selbstbewusstsein nicht darunter zu leiden begann.“ Ihre Hartnäckigkeit hat sich letztlich ausgezahlt. 2001 erhielt sie für ihr Schaffen den Thurgauer Kulturpreis.

Wie wäre es, wenn jemand über sie einen Film drehen wollte? Eine Frage, die Yvonne Escher überrascht: „Ich weiss nicht, ob ich da einwilligen würde. Auf jeden Fall müsste dieser Film besser sein als meine Filme.“ Sie denkt nochmals nach: Das wäre ja fast dasselbe wie der Wohnortwechsel vor zwei Jahren, als sie von ihrem Haus in eine Wohnung umzog. „Aufräumen und Ausräumen ist eine heilsame und notwendige Erfahrung, weil man sich mit dem eigenen Leben beschäftigt. Eine anspruchsvolle Arbeit und vor allem ein Abenteuer.“

***

Am Samstag, 22. März, 16 Uhr, unterhält sich im Cinema Luna die Filmfachfrau Madeleine Hirsiger mit ihrer langjährigen Freundin Yvonne Escher über deren Werk. Eintritt frei. Anschliessend sind alle zum Apero eingeladen, bevor es um 17 Uhr zwei Filme von Yvonne Escher zu sehen gibt.

 

Yvonne Escher

Yvonne Escher, 1934, aufgewachsen in Steckborn, absolvierte die Handelsschule in Konstanz. In den Sechzigerjahren besuchte sie die Schauspielschule in Köln, arbeitete dann als Filmschauspielerin, Tontechnikerin, Regieassistentin, lebte in Genf, Berlin und Rom. Nach ihrer Rückkehr in den Thurgau 1979 gründete sie die Bodensee-Film. In ihren vielen Dokumentarfilmen porträtierte sie Menschen, Berufe und Landschaften. In den Neunzigerjahren wechselte sie vom 16mm-Format zur Videokamera und eignete sich die digitale Filmbearbeitung an. 2001 erhielt sie vom Kanton Thurgau den Kulturpreis. Ihr bisher letzter Film entstand 2013 „700 Steckborner Chöpf“, worin sie den Menschen in ihrem Wohnort zu dessen Jubiläum ein Denkmal setzte. (kze)

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Film

Kommt vor in diesen Interessen

  • Porträt

Werbung

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

#Kultursplitter im Januar/Februar

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

21. Adolf-Dietrich-Preis 2025

Bewerbungsschluss: 28. Februar 2025

Theatertechniker:in (60-70%)

Das Theater Bilitz sucht auf Beginn der Spielzeit 2025/2026 ein/e Theatertechniker:in. Weitere Infos:

Ähnliche Beiträge

Film

„Produzieren ist wahnsinnig viel Psychologie“

Unsichtbar (4): Die Filmproduzentin Katrin Renz arbeitet in Zürich, 2018 wurde sie in Cannes als „Producer on the Move“ ausgezeichnet. Sie erklärt, was ihren Job ausmacht. mehr

Film

Vom Glück, Letzter zu sein

Der im toggenburgischen Nesslau aufgewachsene Jann Anderegg erzählt von den Herausforderungen als Editor für Kinofilme und sein aktuelles Dokumentarfilmprojekt „Traces of responsability“. mehr

Film

Zwischen digitalen Knochen und fliegenden Büchern

Teil 2 der neuen Serie „Unsichtbar“ aus der Filmbranche: Der in Engwilen aufgewachsene Animator Dominic Lutz erzählt von seinem Leben als Animator im 3D-Bereich. mehr