von Inka Grabowsky, 23.07.2021
Wie Mirandolina ihre Männer an der Nase herumführt
Florian Rexer inszeniert bei den Schlossfestspielen Hagenwil Goldonis „Mirandolina“ als Machtspiel zwischen einer starken Frau und schwachen Männern. Und mit vier Kindertheaterstücken befasst er sich auch noch.
Im Probenraum in Amriswil braucht man noch etwas Fantasie: Hier muss man sich einen Pool vorstellen und dort die Bar, an der später ein stummer Statist als stets aufnahmebereiter Ansprechpartner sitzen wird. Die Texte der Schauspielerinnen und Schauspieler sitzen jetzt schon. Auch die Choreographie zu „Felicita“ von Al Bano und Romina Power läuft wie geschmiert.
Das Ensemble versetzt uns ins ländliche Italien abseits der grossen Touristenattraktionen. Wir dürften uns in den siebziger, achtziger Jahre befinden. Ein Grotto, ein Pool, eine Topfpalme und eine Lampionkette: Kein Klischee wird ausgelassen. „In Italien muss auch mal Geschirr fliegen“, meint Regisseur Florian Rexer, der neben der Dramaturgie auch für die Hagenwiler Textfassung zuständig ist. Noch ist der erste Teil bis zur Pause mit siebzig Minuten zehn Minuten zu lang. „Wir müssen noch hobeln“, sagt er. Drei Seiten Korrekturen hat er bei diesem Durchlauf aufgeschrieben. „Die Schauspielerinnen und Schauspieler übertreiben im Augenblick noch. Sie müssen ernstzunehmende Charaktere mit Problemen sein, um das Publikum zum Lachen zu bringen.“
Gute Frau – böse Frau
Die Grundkonstellation des Stückes aus dem Jahr 1752 ist bekannt: Die attraktive Gastwirtin Mirandolina wird von drei Männern umschwärmt. Der Graf bietet Geld, der Marchese Ansehen und der Kellner seine Arbeitskraft. Ein Vierter jedoch, der Cavaliere Ripafratta bietet vor allem einen Anreiz: Er hält Liebe für eine Krankheit, vor der sich jeder hüten sollte. Frauen sind für ihn eine Strafe für Männer. Als die Schwärmer Mirandolina für die Verkörperung von „Bella Italia“ halten, fragt er höhnisch zurück: „Ein Stiefel?“ Dieser Provokation kann die emanzipierte Frau nicht widerstehen. Ihre drei Fans spielt sie mit Gewinn und zu ihrem Amusement gegeneinander aus. Gleichzeitig setzt sie alles daran, den Frauenverächter zu bekehren. Sein Herz soll am Boden zerstört werden.
Vorsicht: Schenkelklopfer
Die Besucherinnen und Besucher müssen im Stück mit zum Teil derben Wortspielen leben: „Ich will sie decken“, vom ebenso verliebten wie mittellosen Marchese von Forlipopoli sollte eben die unbezahlte Rechnung meinen und nicht die Wirtin. Der Ehrentitel „Euer Durchlaucht“ wird zu „Euer Durchweicht“, als der Graf von Alba nassgespritzt wird. Mirandolina lobt die frisch gewaschene Wäsche des Cavaliere, während sie über den Stoff streicht: „Sie wissen, was Ihnen steht.“ Florian Rexer gibt in der Szene die Regieanweisung an Schauspieler Sebastian Menges: „Du musst hinschauen, wenn jemand deine Unterhosen streichelt. Das ist lustig.“ Auch Slapstick ist dabei: Ein Mann nach dem anderen landet im Pool.
Behutsam modernisiert und angepasst
In den Text sind subtile Lokalbezüge eingebaut. Die Zimmer in Mirandolinas Gasthof bieten Blick bis ins Hudelmoos, Feststellungen enden auch mal mit angehängtem „odr“, und das Gipfeli-Backen hat die Dienerin Gilda selbstverständlich in der Schweiz gelernt. „Wir haben es ein bisschen angepasst, aber nicht mit dem Holzhammer“, so Rexer. Der Poolboy Luca, der dringend Hollywoodstar werden will, haben sie ergänzt, dafür anderes weggelassen. „Das Original ist extrem frauenfeindlich“, meint der Regisseur. „Deshalb war uns klar, dass wir das Stück auseinandernehmen und neu zusammensetzen müssen, um mit Machismo und Vorurteilen aufzuräumen. Wir transponieren es aus dem 18. ins 21. Jahrhundert.“ Sein Team habe schon lange überlegt, Mirandolina auf die Bühne zu bringen. „Es passt ins Wasserschloss wie die Faust aufs Auge. Wir hatten ja 2011 schon Goldonis ‚Diener zweier Herren‘. Das war sehr erfolgreich und ist lange genug her. Und die Zuschauer wünschten sich nach der ‚Schwarze Spinne‘ vergangenes Jahr wieder etwas Leichtes.“
Um die Zuschauer einzustimmen, hat das Ensemble in der Badi Amriswil und einer Pizzeria einen kleinen Vorfilm gedreht. Gemeinsam macht sich das Publikum auf die Reise ins Ferienidyll Italien. Das Restaurant im Wasserschloss wird mit seinem Theatermenu unter dem Motto „La cucina della nonna“ ein Übriges zu Italianità beitragen.
Vier Kindertheaterstücke machen viel Arbeit
Für das diesjährige Kinderstück in Hagenwil hat Rexer „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen neu bearbeitet. Doch gleichzeitig muss er noch die Tournee von „Der Zauberer von Oz“ organisieren, die 2020 wegen Corona verschoben werden musste. Die Märchen „Tischlein deck dich“ und „Aschenputtel“ aus den Jahren 2018 und 2019 hat er auch noch im Programm. Die jeweiligen Tourneen – vertraglich vereinbart mit dem Sponsor Migros Kulturprozent – waren wegen der Pandemie nie beendet worden. Das soll nun nachgeholt werden. Rexer jongliert also derzeit mit diversen Wiederaufnahmen und Premieren.
Theater beim Schloss Hagenwil
Schlossfestspiele Hagenwil
„Mirandolina“ ab 4. August bis 4. September. Textfassung und Regie Florian Rexer.
Tickets im Vorverkauf www.ticketino.com 57 Franken, an der Abendkasse 67 Franken
Weitere Informationen: www.schlossfestspiele-hagenwil.ch
Kindertheater Hagenwil
8. August bis 1. September„Des Kaisers neue Kleider“ nach Hans Christian Andersen, Textfassung und Regie Florian Rexer.
Tickets 12 - 17 Franken (Kinder), 18 - 23 Franken für Erwachsene
Weitere Informationen: www.kindertheater-hagenwil.ch
Von Inka Grabowsky
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