von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 18.03.2020
Notizen für das Leben nach Corona
Diese Krisenzeit verlangt von uns allen viel ab. Nutzen wir den aufgezwungenen Nothalt klug, könnte am Ende etwas Gutes entstehen. Unser Autor hat eine ganz persönliche Wunschliste geschrieben.
Es war der erste Tag im so genannten Lockdown in diesen merkwürdigen Corona-Zeiten als mein Sohn etwas über das Leben lernte: „Papa, es ist total blöd, dass man jetzt seine Freunde nicht mehr treffen kann.“ Ich seufzte leicht, weil es der erste Tag in diesem quarantäne-ähnlichen Zustand war und ich wusste, dass da mindestens 40 weitere folgen würden.
Aber er hatte ja recht: Ein Leben ohne Freunde ist Mist. Das wusste ich natürlich auch vorher, aber selten zuvor habe ich es so dringlich gespürt wie jetzt. Deshalb war die erste Notiz, die ich mir für das Leben nach Corona an jenem Tag machte: Triff Deine Freunde häufiger!
Lasst uns die Welt zu einem bessern Ort machen!
Ich dachte weiter darüber nach, was für eine grosse Chance in diesem aufgezwungenen Nothalt liegt. Wir könnten jetzt das Modell einer ganz anderen Gesellschaft bauen. Ich habe da einen Traum.
Ich wünschte mir, dass wir uns im echten und im digitalen Leben weniger anbrüllten und stattdessen mehr miteinander austauschten. Zivilisiert, wertschätzend, konstruktiv.
Ich wünschte mir, dass die Wertschätzung für Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte auch nach Corona anhält, dass wir dankbarer sind für die Errungenschaften der Medizin und dass vor allem das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Altenheimen endlich angemessen entlohnt wird.
Bezahlt Pflegepersonal endlich anständig!
Ich wünschte mir, dass die Welle der Solidarität, die diese Epidemie weltweit gerade ausgelöst hat, nicht sofort nach der Aufhebung des Lockdown wieder verebbt, sondern wir künftig dauerhaft mehr gegenseitig Acht auf uns geben.
Ich wünschte mir, dass die Entzauberung der Populisten, die die Corona-Krise massiv beschleunigt, vielen Menschen endlich die Augen öffnet. Dass sie den Wert von kluger, nachdenklicher Politik erkennen und dankbar sind für jeden Politiker, jede Politikerin, die sich ernsthaft für das Gemeinwohl engagieren. Wir haben nämlich eine Menge davon.
Schluss mit der Dummschwätzerei: Hört auf die Wissenschaft!
Ich wünschte mir, dass wir mehr auf Expertenwissen und die Meinung von Wissenschaftlern vertrauen. Bei allen Problemen, die auch das Wissenschafts-System hat: Dieses populistische Wissenschafts-Bashing, diese Ich-habe-keine-Ahnung-von-dem-Thema-weiss-es-aber-trotzdem-besser-als-Leute-die-sich-seit-Jahren-damit-befassen-Haltung muss aufhören. Seien wir froh über jeden seriösen Forscher, über jede kluge Forscherin, die sich mit für uns alle relevante Themen auseinandersetzen.
Ich wünschte mir, dass Kulturschaffende endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Dass sie nicht mehr um ihre Honorare betteln müssen und das blöde Gerede vom Hobby als Beruf endlich verstummt. Künstlerinnen und Künstler leisten der Gesellschaft einen kaum bezahlbaren Dienst: Sie erforschen neue Horizonte und stellen übliche Denkweisen in Frage. Lassen wir sie das tun, in dem wir ihnen auch den finanziellen Freiraum dafür geben.
Netflix kann den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht ersetzen
Ich wünschte mir, dass Medien und Journalismus mehr Anerkennung bekommen. Was viele Redaktionen gerade in dieser Krise leisten, ist grossartig und unverzichtbar. Jetzt endlich spüren alle: Seriöse Informationen sind in einer Welt voller Fake News wichtiger denn je. Hört auf zu behaupten, Netflix könne beispielsweise den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ersetzen. Verleger müssen ihren Redaktionen wieder mehr Luft geben, damit sie ihren Job auch in normalen Zeiten machen können. LeserInnen und Zuschauer müssen bereit sein für qualitätsvollen Journalismus auch zu bezahlen.
Und zum Schluss, vielleicht als Zusammenfassung alles vorher Geschriebenen: Ich wünschte mir, dass ausbeuterische Systeme, von denen wenige profitieren und unter denen viele leiden, endgültig in allen gesellschaftlichen Bereichen überwunden werden.
Deshalb: Bleibt Zuhause, wenn ihr es könnt. Bitte.
Wenn wir es richtig anstellen, dann kann diese schwer erträgliche Isolations-Zeit am Ende doch noch etwas Gutes bewirken. Wir können uns darüber Gedanken machen, was uns wirklich wichtig ist im Leben und wie wir eigentlich künftig miteinander leben wollen. In den vergangenen Jahren ist da ja einiges schief gelaufen. Vielleicht ist das jetzt die Gelegenheit das alles zu reparieren.
Damit wir die Gelegenheit haben, überhaupt etwas zu ändern, müssen wir uns jetzt alle ein bisschen zusammenreissen. Verzicht üben für eine bessere Zukunft. Ich weiss, das ist hart. Aber ich glaube, wir schaffen das. Deshalb: Bleibt Zuhause, wenn ihr es könnt. Wahrt Abstand. Schützt Euch und Eure Lieben.
Nur so haben wie diese grosse Chance: Wir erdenken uns jetzt die bessere Welt, die wir dann später aufbauen. Damit ich meinem Sohn irgendwann mal sagen kann: Es war nicht umsonst, dass Du Dich damals mit deinen Eltern im Lockdown gelangweilt hast. Wir haben die Zeit genutzt, um eine neue Welt für Dich zu erschaffen.
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