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von Brigitta Hochuli, 13.12.2011

Kulturgespräch mit Yvonne Escher

Kulturgespräch mit Yvonne Escher
Die Steckborner Filmerin Yvonne Escher auf der Terrasse ihres Hauses mit Blick auf Städtli und Untersee. | © Brigitta Hochuli

Die Steckborner Filmemacherin Yvonne Escher hat nach 20 Filmen im Phönix-Theater eine Leinwandpremiere. Im Interview gesteht sie, dass sie Lampenfieber hat.

Interview: Brigitta Hochuli

Frau Escher, gerade hat eine 27-jährige Slampoetin den Kulturpreis des Kantons Thurgau bekommen. Sie selber erhielten ihn mit 67 Jahren im Jahr 2001. Ist das nicht ein wenig frustrierend?


Yvonne Escher: Warum auch? Ich war an der Preisverleihung dabei und finde Lara Stoll super gut und sehr sympathisch. Als ich von ihrer Wahl erfuhr, war ich allerdings ein wenig verwundert. Ich hatte bis dahin gedacht, der Kulturpreis sei für Leistungen, die jemand über Jahre hinweg erbringt. Ich hätte Lara Stoll einen Förderbeitrag gegeben, sie hat ja ihren Weg noch vor sich.

Wie war das für Sie vor zehn Jahren? Hatten Sie den Preis erwartet, schliesslich hatten Sie ja bis dahin schon etliche Filme über den Thurgau gedreht.


Yvonne Escher: Nein, es war eine totale Überraschung. Es verschlug mir die Sprache, als das Telefon vom Regierungsrat kam. Ich musste zurückrufen und nachfragen, ob es auch stimme.

Nun, es stimmte. Und bis heute haben Sie insgesamt 20 Filme produziert, zum Teil in Koproduktion mit dem Schweizer Fernsehen und dem ZDF. Jetzt steht im Phönixtheater eine Leindwandpremiere ihrer zwei letzten Werke „Messer im Kopf“ und „Sugar Baby“ an. Was bedeutet Ihnen das?


Yvonne Escher: Ich bin sehr aufgeregt und habe Lampenfieber. Aber neu ist das nicht. Früher wurden meine Filme jeweils im „Wolfsberg“ vorgestellt. Einen Film auf Grossleinwand zu sehen hat einen ganz besonderen Stellenwert. Die Zuschauer sind nicht abgelenkt wie vor dem Computer oder dem Fernsehschirm, wo man nebenher mal schnell Kaffee kocht. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn jemand einen Film nicht durchgehend gesehen hat. Es fehlt dann die Achtung vor der Arbeit. Und es steckt sehr viel Arbeit dahinter.

Wie viel?


Yvonne Escher: Für „Messer im Kopf“ brauchte ich zwei Jahre. Für einen solchen Film sind nach der Idee viele Recherchen, ein Konzept, Kalkulationen, Finanzierungsplan, Stabliste bis hin zu allen möglichen technischen Daten nötig.

Entsprechend dieser Leistung wird im Phönix-Theater die vom Schweizer Fernsehen bekannte Filmkritikerin und Chefredaktorin der Filmszene Schweiz Madeleine Hirsiger in Ihre Filme einführen. Was wird sie wohl sagen?


Yvonne Escher: Das weiss ich nicht. Aber sie kennt ja meine Filme. Sie betreute sie jeweils zusammen mit Paul Riniker.

Das waren die Filme über das blinde Steckborner Ehepaar Oswald und Erna, über Hans Baumgartner oder über die tibetischen Flüchtlinge in Dahramsal. Welche Filme aus Ihrem gesamten Werk sind Ihnen bis heute besonders wichtig?


Yvonne Escher: Natürlich sind einem immer die letzten Arbeiten am nächsten. Alle anderen hat man irgendwann einmal verdaut.

Wirklich keine Erinnerung an eine aussergewöhnliche Situation von früher?


Yvonne Escher: Wenn ich recht überlege, hatte ich 1972 bei meinem ersten Film „3 Masken“ fürs ZDF wahnsinnig Angst. Aber es ging dann doch gut. Es war die Zeit nach Jean-Luc Godard und dem Cinéma vérité mit seinen Provokationen. Mein Film war halb Spiel- halb Dokumentarfilm und hatte den „Tod in Venedig“ zum Thema.

Und die Thurgauer Filme? Welcher liegt Ihnen emotional am nächsten?


Yvonne Escher: Am ehesten „Der See und seine Fischer“. Daran habe ich 1981 bis 1982 ein Jahr lang gearbeitet. Ich war damals nach 25 Jahren Ausland zurück nach Steckborn gekommen, kannte niemanden und hatte grosse Mühe, Gelder einzutreiben. Der Film wurde schliesslich aber vom Süddeutschen Rundfunk SDR koproduziert.

Und der Film über Hans Baumgartner?


Yvonne Escher: Ja, der ist mir natürlich auch wichtig. Es war mein erster Film fürs Schweizer Fernsehen.

Auch die beiden neuen Filme sind Personenporträts, und zwar über Menschen mit schwierigen Lebensläufen.


Yvonne Escher: Ja, mir sind die Filme wichtig, die aussergewöhnliche Schicksale zeigen oder menschliche und soziale Geschichten, die nicht der Norm entsprechen. Je älter ich werde, desto schneller langweilen mich Leute, die kritiklos sind und schicht normal.

Konkret geht es um einen ehemaligen Formel 1-Mechaniker und IKRK-Mitarbeiter, der heute als Künstler mit seinen Dämonen ringt, und um ein Ehepaar, das gemeinsam die schlimme Krankheit der Frau meistert. Wie nähern Sie sich diesen Menschen an? Als aussenstehende Beobachterin oder eher mit Einfühlung?


Yvonne Escher: Mich interessiert, was hinter der Oberfläche einer Lebensgeschichte steckt und was für Folgen das hat. Das kann dann sehr berührend sein. Aber ich stelle das Positive genauso wie das Negative dar. Ich werte nie. Ich lasse die Menschen einfach von ihrem Leben erzählen. Ich mache schliesslich Dokumentarfilme und keine Fiktion. Da versuche ich natürlich, nicht voyeuristisch zu sein.

Heute sind auch Dokumentar- oder Informationsfilme oft gekennzeichnet von schnellen Schnitten, schiefen Ebenen und viel Unschärfe. Gefällt Ihnen das?


Yvonne Escher: Ich habe Mühe mit hektischen Filmen. Das ist eher etwas für die Jungen, die eine ganz andere Auffassung haben auf offenbar mehreren Ebenen im Gehirn. Aber im Kino-Spielfilm findet man ja wieder zurück zur Langsamkeit, die das Bild so pflegt, dass man mit ihm atmen kann.

Wie beschreiben Sie Ihre eigene Filmtechnik?


Yvonne Escher: Der Film über Hans Baumgartner wurde 1995 noch mit 16-Millimeter Film gedreht. Dann musste ich umlernen auf Video. Früher hatte ich jeweils Mitarbeiter, bis hin zu „Messer im Kopf“. Bei meinem letzten Film „Sugar Baby“ habe ich nebst Kameraführung und Schnitt alles selber gemacht.

Sieht man einen Unterschied?


Yvonne Escher: Vielleicht ist der vorletzte Film etwas perfektionistisch und der andere einfach spontan, der vorletzte etwas distanziert, da man ja die Würde des Portraitierten nicht verletzen möchte, der letzte ehrlicher.

Jetzt, wo Sie unabhängig sind von einem grossen Team, können wir von Ihnen doch noch weitere Filme erwarten?


Yvonne Escher: Nach „Messer im Kopf“ fiel ich ein Loch und musste sofort wieder drehen. Aber jetzt habe ich keine Lust mehr. Ich bin 77 Jahre alt und muss meine alten Filme digitalisieren und das Archiv in Ordnung bringen.

Trotzdem: Welche verrückte Idee hätten Sie noch?


Yvonne Escher: Einen Film über Menschen, die an eine Vernissage gehen. Das hätte ich gerne einmal gemacht. Einfach schauen, was dort so passiert. Ich stelle mir das etwas surreal vor, und es würde mich heute noch reizen, so einen Kunstmanager etwas auf den Arm zu nehmen. Aber für ein solches Dossier bräuchte es viel Kraft. Und die habe ich im Moment nicht.

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