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von Rahel Buschor, 15.12.2023

Kreativität für alle

Kreativität für alle
Auftritt als Affenkönig «Sun WuKong» in Peking | © zVg

Mein Leben als Künstler:in (3): Die Tänzerin Rahel Buschor über ihr geheimes Überlebenswerkzeug. Und wie ihr das an einem Pekinger Straßenrand mal half. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Wenn ich kleinen Kindern beim Spielen zuschaue - wie aus dem ‘Nichts’ eine Fantasiewelt entsteht - wird mir bewusst, dass Kreativität etwas ist, was ganz natürlich zum Menschsein gehört. Vielleicht ist Kreativität sogar eine Notwendigkeit, ein Weg, wie wir uns die Welt um uns herum aneignen und sie verstehen lernen. Wir alle suchen Lösungen für Situationen und Probleme, und manchmal finden wir ungewöhnliche Lösungen für unlösbare Probleme. Das ist Kreativität! Wir kombinieren Bausteine, die normalerweise nicht zusammengehören.

Einige der besten Ideen in meinem Leben resultieren aus «Unfällen», Missgeschicken, Missverständnissen oder zufälligem Kombinieren von Möglichkeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist das Kochen. Eine Zutat fehlt, ich muss sie gezwungenermassen durch eine andere ersetzen. Oder der Laden ist schon geschlossen und ich versuche etwas zustande zu bringen mit den Zutaten, die eben noch zuhause vorhanden sind. So entstehen gelegentlich aus der Not heraus neue Lieblingsgerichte.

Wie ich mich kreativ sortiere

Im künstlerischen Kontext ist für mich das «Mapping» ein wichtiges Arbeitstool um den Spielradius zu erweitern und Ideen sichtbar zu machen. In einem ersten Schritt sammle beziehungsweise zeichne und schreibe ich alles auf, was mir zu einem bestimmten Thema oder Themenfeld in den Sinn kommt.

Das geschieht zuerst assoziativ, ohne viel nachzudenken, kommt meist chaotisch, gelegentlich sogar ordentlich gebündelt daher. Im folgenden Mind-Map habe ich Ideen gesammelt für ein neues Unterrichtsmodul an der ZHdK, welches sich mit kreativen Prozessen beschäftigen soll. Es ist die Grundlage für weitere Recherchen und für die Entwicklung des Moduls. Wie genau diese Landkarte mir hilft Kunst zu machen, davon erzähle ich ein anderes Mal.

 

Mind-Map zu «Kreative Prozesse», Recherche für ein neues Unterrichtsmodul an der ZHdK

Aufgewachsen in einer lebendigen Villa Kunterbunt

Kreativität stammt vom lateinischen Wort «creare», was zu Deutsch mit «schaffen», «gebären» oder «erzeugen» übersetzt werden kann. Wikipedia definiert Kreativität, oder auch «Querdenken», als die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell (und dabei nützlich und brauchbar) ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Kreativität oft als eine Eigenschaft von Menschen bezeichnet, welche schöpferisch oder gestalterisch tätig sind.

Ich habe das Glück in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der Kreativität, Kunst und Gestalten natürlicher Teil des Alltags waren. Meine Eltern sind beide ausserordentlich kreativ. Wir hatten weder eine Galerie noch ein Museum zuhause, sondern unser Haus glich eher einer lebendigen Villa Kunterbunt. 

Aus alten Brettern konnte Papa uns innert Kürze ein Gestell schreinern oder ein Gartenhaus zimmern, mit Mama designten wir Kostüme wie Glitzerleggins für unsere geplante Circus Aufführung im Garten. Manchmal verwandelte sich unser Garten in ein Malatelier, in der Küche spielten wir «Restaurant» und der Rest der Familie durfte Gerichte von der eigens geschriebenen und gestalteten Speisekarte bestellen. 

Mein geheimes «survival Tool»

Kreativ künstlerisch tätig zu sein gehört für mich zum Leben wie essen und schlafen. Es nährt mich, gestaltet mein Leben farbig und lebendig, eröffnet Freiräume, Möglichkeiten, Hoffnung. 

Kreativität ist mein geheimes «survival Tool».  In der heutigen Zeit würde ich Kreativität als eine der wichtigsten Fähigkeiten des Menschen bezeichnen. Wir sollten sie möglichst früh fest im Alltag von Kindern und in den Lehrplänen der Schulen verankern. Durch die zunehmende Präsenz von KI wird es sowieso zu einer grösseren Verschiebung in den Lehrplänen kommen.

Die Frage nach «Was sollen unsere Kinder heute noch lernen?» ist schon in vollem Gange. Kreativität ist etwas, was KI nicht kann. Sie ist auf das ausgerichtet, was es schon gibt. Unsere moderne Gesellschaft sieht sich mit vielen «unlösbaren» Situationen und Problemen konfrontiert. Wer wird sie lösen, wenn nicht die kreativen Köpfe unserer Kinder und Enkelkinder? 

 

Rollenstudium des Affenkönigs mit Professor Wu an der Nationalen Akademie für chinesische Theaterkunst in Peking.

 

Vor dem Auftritt in der Maske.


Während meinem Studium der Peking Oper Performance an der Nationalen Akademie für chinesische Theater Kunst in Peking, China, haben kreative Skills mich immer wieder gerettet. Obwohl das Studium der «Jingju» wie es auf chinesisch heisst, verschiedenste künstlerische Disziplinen wie Tanz, Theater, Gesang, Instrumentalspiel, Bühnenkampf, Akrobatik, Zaubertricks, miteinander vereint, ist der Studienalltag nicht besonders kreativ. 

Die Peking Oper gehört zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe. Sie ist eine Tradition des Musiktheaters, das mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wird. Hier habe ich gelernt zu beobachten, zu kopieren, zu üben. Üben bedeutet während Stunden, Tage, Wochen, Monaten die gleichen Bewegungen, Texte, Gesten, Melodien zu wiederholen, sie mit Leben und Bedeutung zu füllen und zu perfektionieren. 

Video: Ausschnitt aus der Dokuserie «365 Chinesische Träume» von CCTV

美猴王 from Zoeb on Vimeo.

Im Chinesischen Alltag hingegen war Kreativität für mich überlebensnotwenig. Dazu möchte ich eine kleine Episode erzählen: Peking ist eine der besten Fahrradstädte, die ich kenne. Solltest du einmal zur Stosszeit in der Pekinger Metro feststecken, denk daran: Das Fahrrad ist eine echte Alternative! Selbst heute gibt es noch tausende Fahrradfahrende in Peking. Alles ist flach die hübschen Altstadtviertel sind ein Genuss zum Erkunden. 

Eines Tages machte ich mit einem Mitstudenten eine grössere Velotour in Peking. Gegen Abend, als wir uns gerade auf den Rückweg machen wollten, bekam eines unserer Fahrräder einen Platten. Das ist eigentlich kein Problem in Peking, da an jeder zweiten Strassenkreuzung mindestens ein mobiler Velomech steht. Das Loch im Schlauch war im nu repariert.

Nur: der Pneu konnte nicht wieder aufgepumpt werden. Das Ventil des Rennvelos war so schmal, dass der Handwerker kein passendes Gegenstück für die Pumpe hatte. Die Luft entwich bei jedem Pumpversuch. Wir suchten noch andere Velomechs auf, überall das gleiche Lied. Langsam war es am Eindunkeln, die Velomechs machten Feierabend. 

Ein Kaugummi als Rettung

Kaugummikauend setzten wir uns auf einen Randstein, um die Lage zu besprechen. Wir waren uns einig: Wir bräuchten etwas, um den Ort, wo die Luft entwich, abzudichten. Doch was? Da kam der Kaugummi ins Spiel. Plötzlich kam uns die Idee, mit den Kaugummis eine Art Dichtungsring zu kleben, um die Luft zu kanalisieren. Es klappte! Wir konnten unsere Heimfahrt antreten.

 

Zeichnung, Fahrradfahren in Peking

 

Die Lösung mag banal klingen. Für uns war es ein Durchbruch, ein Erfolgserlebnis! Ungewöhnliche Probleme verlangen nach ungewöhnlichen Lösungen. Diese Geschichte ist für mich ein schönes Beispiel von kreativer Problemlösung und sie zeigt, wie kreative Skills unser Leben – manchmal auch das unserer Mitmenschen - ein klitzekleines bisschen besser machen.

Es geht weiter! Zweite Staffel der Serie «Mein Leben als Künstler:in» läuft!

Die zweite Staffel der Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in» ist gestartet. Dieses Mal schreiben diese vier Künstler:innen Geschichten aus ihrem Leben:

 

  • Simone Keller, Pianistin
  • Simon Engeli, Schauspieler, Regisseur, Theatermacher
  • Rahel Buschor, Tänzerin
  • Sarah Hugentobler, Videokünstlerin
  •  
  • Alle Beiträge der ersten Staffel gibt es gebündelt im zugehörigen Themendossier.

Die Idee: Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.

 

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.

 

Bereits zwischen Juni und Oktober hatten die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit berichtet. Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.

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Rahel Buschor

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