von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 13.01.2020
In den Gassen von Genua
Auf der Suche nach Inspiration landete der Wigoltinger Künstler Gabriel Mazenauer in einer italienischen Hafenstadt. Dort schuf er Arbeiten, die seine Herangehensweise an Kunst vortrefflich abbilden.
Wo ist Anfang, wo ist Ende? Betrachtet man die neuen Arbeiten des Wigoltinger Künstlers Gabriel Mazenauer aus glänzenden Kupferrohren und bunten Aluminiumrohren, dann lässt sich das nicht so einfach sagen. Alles ist in sich verschlungen, alles ist eins, so wie ein grosser in sich geschlossener Organismus. Zwölf dieser Arbeiten hat Gabriel Mazenauer in den letzten Monaten geschaffen. Allerdings nicht in seinem Wigoltinger Atelier, sondern in einem Atelier in der italienischen Hafenstadt Genua.
„Ich hatte schon länger die Sehnsucht nach ein bisschen Stadtleben, ich wollte mal länger in einer Stadt leben“, sagt Mazenauer bei einem Besuch in seinem Wigoltinger Atelier nach seiner Rückkehr aus Genua. Bislang hatte der aus Müllheim stammende Bildhauer stets auf dem Dorf gelebt, es von Müllheim nur bis Wigoltingen geschafft. Kein Wunder, dass er da ein bisschen Grossstadt-Sehnsucht in sich spürte.
„Als Jugendlicher hatte ich den Traum, als Matrose übers Meer zu fahren.“
Gabriel Mazenauer, Künstler
Mazenauer wollte mal raus aus der üblichen Routine, war auf der Suche nach neuer Inspiration. Statt sich um ein Atelierstipendium zu bewerben, von dem man dann am Ende doch nicht weiss, ob man es bekommt, suchte er sich auf eigene Faust ein Atelier im Ausland. Eine Hafenstadt sollte es sein: „Als Jugendlicher hatte ich den Traum als Matrose übers Meer zu fahren, jetzt wollte ich zumindest mal ein bisschen Hafenflair aufsaugen“, so Mazenauer im Gespräch mit thurgaukultur.ch
Südamerika hätte ihn gereizt, aber das war am Ende doch zu weit weg von der Familie. Also wurde es Genua. Mazenauer kannte die Stadt nicht, wusste aber vom Atelier des Solothurner Künstlers Schang Hutter, das man mieten kann. Bei einem ersten Besuch verliebte er sich gleich in den Ort: „Das ist ein alter Palazzo, mitten in der Altstadt, es war ziemlich genau das, was ich gesucht hatte“, erzählt der Künstler.
Immer im Blick: Die Kippmomente unserer Zeit
Gabriel Mazenauer, gelernter Schreiner, Holz- und Steinbildhauer, ist in der Ostschweiz kein Unbekannter. Seine Arbeiten waren in den vergangene Jahren immer wieder in verschiedenen Ausstellungen zu sehen. Sie tragen allgemeine Titel wie „Limits“, „Schichtungen“, „Network“ und können doch oft sehr konkret interpretiert werden. Der Künstler selbst sagte er könne vieles zu seinen Werken sagen, wolle es aber lieber für die Betrachter offen lassen und nichts zu festlegen.
Was man sagen kann, ohne allzu viel zu verraten: Bewegungen interessieren Gabriel Mazenauer sehr, er versucht sie in Skulpturen abzubilden. Vor allem diese berühmten Kippmomente, kurz bevor alles einstürzt. Wie kommt es dazu? Wann ist der Moment erreicht, in dem eine Sache wirklich kippt? Mit diesem Thema ist er eigentlich ein sehr zeitgeistiger Künstler. Denn diese Kippmomente tauchen in unserer Gesellschaft ja immer wieder auf: Stimmungen, Bewegungen, Atmosphärisches - wann verdichten sie sich zu Wandel und Veränderung? Es ist diese Grenze, an der der Thurgauer Künstler immer wieder experimentiert.
„Die Heizungsrohre aussen an den Gebäuden, die engen Gassen in der Altstadt, all das habe ich versucht mit den Skulpturen aus Rohren abzubilden.“
Gabriel Mazenauer, Künstler
Insgesamt drei Monate blieb er in Italien und näherte sich langsam seiner neuen Umgebung an: „Im ersten Monat habe ich vor allem die Stadt entdeckt, bin eingetaucht in dieses Gassengewirr, habe viel beobachtet. Genua - das war für mich wie ein grosses Museum“, schwärmt Mazenauer. In dieser Zeit hat er dann auch gemerkt, was die künstlerische Arbeit in der Stadt von jener auf dem Land unterscheidet: „Es gab dort immer irgendwas, was mich von der Arbeit abgehalten hat, immer irgendwas Neues zu entdecken.“
Irgendwann kam dann trotzdem die Lust zurück, wieder künstlerisch tätig zu werden. Er habe dabei ein bisschen improvisieren müssen, weil viele seiner Werkzeuge natürlich in Wigoltingen geblieben waren. In einem Eisenwarenladen kaufte er sich dann Kupferrohe, eine Eisensäge „und dann habe ich angefangen zu arbeiten“, so Mazenauer. Das Stadtbild habe ihn dabei inspiriert, sagt der Künstler: „Die Heizungsrohre aussen an den Gebäuden, die engen Gassen in der Altstadt, all das habe ich versucht mit den Skulpturen aus Rohren abzubilden.“
Noch bis 19. Januar sind seine Arbeiten in Genua zu sehen
Eine Ausstellung seiner Arbeiten hatte er eigentlich nicht geplant, doch dann kam er ins Gespräch mit der Galeristen Maria Laura Bonifazi von der Galerie Lazzaro. „Sie besuchte mich dann später mit einem Kunstkritiker in meinem Atelier. Die Arbeiten haben den beiden dann offenbar so gut gefallen, dass sie eine Ausstellung in der im vergangenen Jahr erst eröffneten Galerie anboten. Noch bis 19. Januar sind Mazenauers Arbeiten dort gemeinsam mit Arbeiten des italienischen Künstlers Arcangelo Leonardi zu sehen. „Eine wunderbare Würdigung, ich habe mich sehr darüber gefreut“, sagt Mazenauer.
Wenn man so will, dann verbinden seine italienischen Arbeiten zwei Dinge, die ihn in seiner Arbeit schon immer interessierten: „Diese beiden Bewegungen, das wegnehmen und das hinzufügen finde ich spannend“, sagt Gabriel Mazenauer. Anders gesagt, es geht ihm um das Herausschälen aus etwas und das Aufeinandersetzen von Dingen. Seine Kupferrohr-Installationen machen genau das: Das Auf- und Ineinandersetzen der Rohre schält die Gassenstruktur der genuesischen Altstadt heraus und macht sie auf eine ganz eigene Weise sichtbar.
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