von János Stefan Buchwardt, 06.06.2023
Hype mit langem Atem
Atmungsaktiv und widerständig schlüsselt Ray Hegelbach das Rätselhafte im und am Alltäglichen auf. Zum dritten Mal versieht der Kanton Thurgau seine künstlerischen Ambitionen mit einem Förderbeitrag. (Lesezeit: ca. 4 Minuten)
Über einen guten Künstler sagt man gerne viel. Vielsagendes lässt sich auch aus Ray Hegelbachs Kunst herauslesen, aus Verständnis und Praxis. Gerade das Uneindeutige und Sprunghafte des mehrfach mit einem Thurgauer Förderbeitrag ausgestatteten Kulturschaffenden ruft nach Worten und erschliesst sich doch vornehmlich im vom prätentiösen Diskurs losgelösten Erfahren vor Ort.
Wie schön und erhellend, wenn der im Thurgauischen Busswil aufgewachsene bald Vierzigjährige selbst Beispiele anführt, welche Zusammenhänge ihm grundlegend wichtig sind: «Etwa wie ich Malerei präsentiere, wie ich eine Atmosphäre schaffe, die zur Bildrezeption beiträgt, und wie man auf ein Bild trifft», zählt er auf. Der Gesamtschauplatz spiele eine Rolle.
Bewusste Negationen
Das vermeintlich optimale, herkömmliche oder neutrale Setting eines Ausstellungsraums will Hegelbach leise aufsprengen. Wenn er das Licht dimmt, färbt oder die Raumtemperatur verändert, intendiert er eine spezifische Atmosphäre für ein spezielles Narrativ. Schon unmerkliche Veränderungen könnten neue Zusammenhänge schaffen.
Stets treiben ihn Fragen um, welche Notwendigkeiten sich für jetzige Herangehensweisen an ein Medium wie der Malerei ergeben, um künstlerisch aufwühlend und/oder gefällig zu intervenieren oder zu konterkarieren. Zu Beginn seines Studiums habe ihn der Terminus «Bad Painting» interessiert, also eine Haltung, die Konventionen hinterfragt und Könnerschaft anzweifelt. «Das hat Spuren hinterlassen, die meine Arbeiten mitformen», sagt er.
Die Malerei malen
Stichhaltige Sätze über Hegelbachs Schaffen zu formulieren, birgt die Gefahr, sich zu verwickeln. Dem Unbescholtenen beschert er Schlingerkurse, indem er ihn der Unberechenbarkeit, also munterer Wandelbarkeit der Aussage überlässt. Die Empfängliche umgarnen seine Pendelbewegungen mit «hypersensitivity» und in Bitterernst gehüllter Überraschungslust.
Die Kuratorin Patrizia Keller beschreibt seine Malerei handfester, weil reduzierter: Es sei eine, «die er immer wieder von Neuem verhandelt, weiterentwickelt und auf humorvolle Weise aufbricht.» Neben der Künstlerin Karin Schwarzbek, dem bald scheidenden Thurgauer Museumsdirektor Markus Landert und anderen war sie Mitglied der diesjährigen Jury zur Vergabe der Förderbeiträge.
Andere schwingen sich zu Aussagen auf, die aufhorchen und nachforschen lassen, auf Metaebenen: Unverkrampft male Hegelbach die Malerei selbst. Aktuelle Motive rund um seine «Babychickens» etwa sprächen von mutmasslicher Funktionalität von Leben und Tod, sie gäben Anlass zu düsterem Bedenken. Oder: Es gehe ihm um die Infragestellung eines jeden bildhaften Wahrheitsangebots.
Vergegenständlichen und abstrahieren
Die Bildträger selbst werden dem Künstler zur Fläche für beziehungsreiche Analysen. Da schwimmt er durchaus im Strom der Werte der Zeit. Mit gepflegter Unbeirrbarkeit widersteht er Erwartungshaltungen, kontinuierlich erfindet er sich neu. Lässt ihn das herausstechen? Ray Hegelbachs Kunst scheint grenzenlos und doch nicht verloren. Er frönt einem Gleichgewicht. Er gönnt sich, Dogmen per se zu ignorieren.
Man mag ihn dem boomenden Sektor der «Ultra Contemporary Art» zurechnen. Die Welt in und ausser sich ergründend, spielt er mit Sinnigem und Unsinn. Infantilität prallt auf Tiefgang, Bedeutung kitzelt Banalität, Abstrahierendes flirtet mit Sinnbildlichem und Figurativem. Obendrein wollen Unzuordenbares und Zuweisungen ein närrisches Verwirrspiel eingehen, über das sich Hegelbachs Plädoyers etablieren.
Bildwelten formen Dasein
Des Malers, Zeichners und Objektkünstlers Unnachgiebigkeit hat es nicht nötig sich anzubiedern, weil er sich schon lange anschickt, über den Tellerrand der eigenen Psyche zu schauen. Seine Zurückhaltung und Gefasstheit, die zeitgenössische Kunstmerkmale wie Ambiguität und Irritation zum offenen Geheimnis erhebt, mutiert zu unscharfer Fertigkeit und hat sich schleichend einen Namen gemacht.
Aus dem 24-Stunden-Aufprall von visuellem Material bezieht Hegelbach (s)eine jeweilig subjektive Auswahl, um Werkkomplexe zu erschaffen, die einer Malerei, die bindende «Messages» vermittelt, per se eine Absage erteilt. «Transportiert wird Widerspruch, zwischen Stilistik und Motiv, Unförmigkeit der Realität und Kategorie», führt er aus. Nur die Permanenz gälte, in der man alles immer wieder neu definieren müsse.
Impulsgebertum
Nicht nur, aber deutlich auch aus Sicht des Thurgaus scheint Ray Hegelbach unterstützenswert. «Werkschau»-Teilnahmen, die Förderbeiträge 2010, 2016 und 2023 samt dem Adolf Dietrich-Förderpreis der Thurgauischen Kunstgesellschaft 2011 sprechen für einen kantonalen Hype mit langem Atem. Der «Beschenkte» oder professionell Entschädigte, wie Hegelbach festhält, hält stand und bleibt seinem selbstbewusst gewachsenen Stil der Heterogenität treu.
Aktuell sei er in Kontakt mit dem neu aufgestellten Kunstraum in Kreuzlingen. Nicht vordringlich, um eigene Werke einfliessen zu lassen, sondern im Rahmen einer Projekt-Annäherung, um Kooperationen mit Kulturschaffenden anzuzetteln. Patrizia Keller nennt ihn einen «gekonnten Netzwerker». Ein Glücksfall also, dass er nach nun fast zehn Jahren seinen Lebenssitz von Oslo zurück in die Schweiz verlegt.
Laut Keller, der für ihn vorgesehenen Laudatorin an der Verleihung, wolle er mit dem Förderbeitrag nicht nur seine solitäre Praxis weiterentwickeln, er beabsichtige darüber hinaus, seine kollaborativen Initiativen mit Kunstkolleginnen und -kollegen weiterzuverfolgen. «Für die Jury ist es der perfekte Moment», schreibt Keller, «jemanden zu fördern und ihn zu unterstützen, ein neues Standbein im Kulturraum Schweiz und Thurgau aufzubauen.»
Zur Serie Förderbeiträge
Die Serie: Alle ausgezeichneten Künstler:innen stellen wir in persönlichen Porträts vor. Sie erscheinen nach und nach in den nächsten Wochen bis zur Preisvergabe im Greuterhof Islikon am 7. Juni 2023. Alle Beiträge werden im Themendossier «Förderbeiträge» gebündelt. Dort finden sich auch Texte zu früheren Preisträger:innen.
Die Förderbeiträge: Die sechs jeweils mit 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge vergibt der Kanton Thurgau einmal im Jahr. Mit der Auszeichnung soll eine künstlerische Entwicklung ermöglicht werden. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. „Die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen war in diesem Jahr ausserordentlich hoch“, schreibt das kantonale Kulturamt in einer Medienmitteilung zur Preisvergabe.
Die Jury: Der diesjährigen Jury gehörten an: Annette Amberg, Kuratorin; Marcel Grissmer, Theaterschaffender; Lea Gabriela Heinzer, Musikerin; Pat Kasper, Musiker; Florian Keller, Journalist und Veranstalter; Patrizia Keller, Kuratorin; Markus Landert, Direktor Kunst- und Ittinger Museum Thurgau; Carina Neumer, Tanzschaffende; Simone Reutlinger, Musikwissenschaftlerin; Karin Schwarzbek, Künstlerin; Anja Tobler, Schauspielerin; Laura Vogt, Autorin; Regula Walser, Lektorin; Julia Zutavern, Filmschaffende; sowie Michelle Geser, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kulturamts (Vorsitz).
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