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von Barbara Camenzind, 10.10.2022

Heitere Traurigkeit

Heitere Traurigkeit
Eine ganz eigene Sängerinnenpersönlichkeit: Mezzosopranistin Lydia Segura in ihrer Interpretation des Officium Defunctorum von Jan D. Zelenka mit dem Bodensee-Barockorchester. | © Barbara Camenzind

Dur ist nicht immer fröhlich und Moll nicht immer traurig. Diesen Beweis erbrachte der Oratorienchor Kreuzlingen und das Bodensee-Barockorchester in der Kirche St. Stefan als herbstlich-besinnliche „Ohrenweide“. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

„Verschone mich Herr, meine Tage sind nichts“, so begann die Lectio I im Officium Defunctorum. Mit präzise fokussierter Stimme, selbst auf der Orgelempore noch glasklar verständlich, führte Mezzosopranistin Lydia Segura durch dieses erste Stundengebet. Zelenkas zarte, elegische Passagen passten sehr gut zu ihrem Timbre.

Ihr auswendiger, plastischer, aber nie überzogene Vortrag beeindruckte. Denn die Musik des böhmischen Barockmeisters wandelt fluide und elegant zwischen kirchenmusikalischer Tradition und dem Musiktheater. (Die Gegenreformation seiner Zeit war ja eine Art „heiliges Theater“.)

Junge Stimme mit Wiedererkennungswert

Segura ist eine junge Schweizer Stimme mit hohem Wiedererkennungswert, leuchtenden Klangfarben und einem gewissen Etwas, das gerade in diesem Konzert durchwegs toll zur Geltung kam. Christian Bielefeldt setzte dieser Persönlichkeit den objektiv und klar agierenden Chor in den Responsorien gegenüber, der gerade in den gergorianischen Passagen achtsam am Wort blieb. Nie zu dick aufgetragen passte das gut zu den warmen Klängen aus dem Bodensee-Barockorchester.

Bariton Sascha Litschi verschrieb sich ganz der elegischen Stimmung und den sauber phrasierten Koloraturen mit klangschöner Stimmführung. Es war eine Freude, ihm zuzuhören. Gut gefallen an dieser Interpretation des Officiums hat die präzise musikalische Leitung. Christian Bielefeldts Vorstellung der Proportionen in Tempo und Lautstärke vermittelten das stimmige Gefühl der Klangarchitektur, die dieser Musik so eigen ist.

Requiem mit cooler Tröte

Barockmusik-Ensembles sind so eine Art Stiftung „Pro Specie Rara“ für vom Aussterben bedrohte Instrumentenarten. Wobei das in der Szene natürlich nicht so gesehen wird.

In Zelenkas Requiem in D hatte das Chalumeau mit Christian Leitherer seinen grossen Auftritt. Was für eine entzückend coole kleine Tröte, diese Vorgängerin der Klarinette, die gerade in der Folkmusik eine Art Renaissance erlebt. Das kleine Einfach-Rohrblattinstrument, in seiner barocken Ausführung ohne Klappen, erklang unter anderem in der wunderbaren Arie „Christe eleison“ der Sopranistin Kathrin Hottiger.

 

Coole kleine Tröte: Die Chalumeau, klangschön gespielt von Christian Leitherer. Bild: Barbara Camenzind

Vorhang auf für den Chor

Das Chalumeau schuf mit seinem leicht näselnden, schleifenden warmen Klang einen wunderbaren Gegensatz zum technisch perfekten Vortrag der Sängerin und ihren strahlenden Höhen.

Das Requiem hatte - durch sein Vorspiel in Dur - noch mehr Theatralik zu bieten als das Offizium. Vorhang auf für den Chor, dem das Dies Irae luzide und formschön gelang. Zelenka blieb hier tonal eher objektiv, verglichen mit der düsteren Dramatik eines Mozarts, zirka 60 Jahre später. Wunderschön zusammengesungen das Duett zwischen Alt und Tenor, die um die Befreiung aus dem Rachen des Löwen bitten im Offertorium, abgelöst vom Bariton der hoffnungsvoll darum bittet, dass sie nicht im Dunkeln bleiben müssen.

Berührend und klangschön

Eine kleine sängerische Trouvaille war Yoram Bielefeldt, der Sohn des Dirigenten. Er meisterte als versierter Amateur - im besten Sinne des Wortes - die kleineren Solopartien und ergänzte das Solistenensemble formidabel. Christian Bielefeldt und das Orchester blieben auch im Requiem nicht dem Anspruch der proportionalen Präzision zurück. Das gab den einzelnen Akteuren Raum zur Entfaltung, was vor allem dem Vortrag der Bläser (Traverso, Horn, Trompeten) zukam.

Das Konzert war wirklich ein berührendes, spannendes und klangschönes Erlebnis. Der Chor, der zwischen Fugen, Gregorianik und höfisch-prachtvollen Akkorden flexibel bleiben musste, hätte in der grossen Kirche - zu dieser Musik - noch ein paar Stimmen mehr brauchen können.

Gerade für junge Sängerinnen und Sänger, die noch dazu lernen möchten, wäre der Oratorienchor Kreuzlingen die perfekte Adresse. Mit Christian Bielefeldt haben sie den richtigen Fachmann am Pult. Auf die Es-Dur-Messe von Franz Schubert am 19.März 2023 darf man auf jeden Fall gespannt sein.

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