von Barbara Camenzind, 28.03.2022
Feinschwarzer Barock und starke Nerven
Christian Bielefeldt ist neuer musikalischer Leiter des Oratorienchor Kreuzlingen. Seinen Konzerteinstand gab er jetzt mit Musik von Bach, Zelenka, Pergolesi und Olja Gjeilo. Ein spannendes Hörerlebnis. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Das hier ist keine chronologische Konzertbesprechung. Wir beginnen mit Anfang und Schluss in Norwegen, mit Olja Gjeilos Musik. Der Komponist ist 1978 geboren.
Der hochkonzentrierte Chor setzte sauber zum einstimmigen „Ubi caritas“ an, das sich in der gregorianischen Tradition erst durch Oktavverdoppelungen aufspannte und sich vom Mittelalter in reibende farbige Cluster der Gegenwart auflöste. Da wäre es leicht, sich in dieser Hallenkirche St. Stefan intonatorisch zu verlieren.
Aber die Kreuzlinger blieben bei sich und ihrem Dirigenten. Schlicht und schön musiziert. Mit „The Spheres“ fand zum Schluss der überhaupt nicht müde gesungene Chor von der Koloraturenvielfalt des Barockzeitalters mühelos zurück in die statische, entrückte Klangarchitektur des Norwegers.
Das ist wirklich gute Chormusik und passend gewählt, gerade zum Responsorium des Tschechen Zelenkas, „In Monte Oliveti“ ZWV55, gut 300 Jahre früher komponiert.
Der Fokus macht‘s aus
„Lobet den Herrn alle Heiden“ von Johann Sebastian Bach, wie schon das erwähnte Responsorium von Zelenka, der mit seiner feinschwarzen Klangsprache die ganze Dramaturgie der Nacht am Ölberg schilderte, die Choräle und Pergolesis charmant-theatrale Frömmigkeit in seinem „Confitebor tibi Domine“ meisterte der Chor gewandt, farbig und locker.
Keine Fuge wirkte gestresst, die Sprache blieb deutlich, die Koloraturen plastisch. Die grosse Ruhe, die die Sängerinnen und Sänger das ganze Konzert ausstrahlten, war wirklich erbaulich und passte zu der Musik der Fastenzeit und Karwoche.
Guter Start für den Neuen am Dirigentenpult
Diesem verinnerlichten Duktus schloss sich auch das Bodensee-Barockorchester an, das klangvoll und differenziert die Vorhänge zu den musikalischen Szenerien aufzog, begleitete und wieder zuzog. Christian Bielefeldts unaufgeregte, klare und wohl ausgewogene Führung mit reduzierter Gebärde überzeugte.
Wie aus anderen Disziplinen bekannt, braucht es nicht immer die grosse Agitation. Auch nicht am Dirigentenpult. Der Fokus macht‘s aus. Man darf gespannt sein, wie sich diese erst vor drei Monaten begonnene Zusammenarbeit weiter entwickelt, aber das scheint auf gutem Wege zu sein.
Solistinnen mit Mut und Nerven
Für die Solopartien bei Pergolesi, sowie bei den Kantaten Bachs „Widerstehe doch der Sünde“ BWV 54 und „Ich bin vergnügt in meinem Glücke“ BWV 84, konnten die Mezzosopranistin Lydia Segura und Mechthild Bach (Sopran) gewonnen werden. Letztere sprang ganz kurzfristig für die erkrankte Laurie Smirnov ein.
Lydia Segura gehört grosse Anerkennung für ihre guten Nerven. Bachs Kantate für Alt, in der tieferen barocken Stimmung gespielt, ist für eine Frauenstimme ein wahrer Kellergassentanz und ganz einfach verdammt schwer zu singen.
Da braucht ein Instrument einen Moment, bis es losgelassen schwingt. Klug setzte sie die Sprache ein, um die Töne immer mehr leuchten zu lassen. Und charmant war ihre Gestaltung allemal.
Barocke Tiefen und jubelnde Höhen
Was die Kollegin in die Tiefe auszuloten hatte, musste Mechthild Bach in jubelnden Höhen bestreiten. Die erfahrene Sängerin hatte sich innert 24 Stunden schnell und flexibel auf die Partie und das Zusammenspiel eingestellt und vieles in diesem „sprunghaften Werk“ ist ihr wirklich gut gelungen.
Den beiden Damen schien jedoch der Italiener die Musik in die Kehle geschrieben zu haben. Blühende Koloraturen bei der einen, elegische grosse Linien bei der anderen. Pergolesi singt sich gut und klingt auch gut. Was für ein schönes Erlebnis.
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