von Judith Schuck, 01.12.2022
Hakenkreuze am Weihnachstsbaum
Weihnachten hat es in sich. Sammler Alfred Dünnenberger zeigt im Historischen Museum Bischofszell, dass der Christbaum nicht nur Schmuck ist, sondern auch als soziopolitischer Indikator dienen kann. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Am 24. Februar 2022 wollte sich das Team des Historischen Museums Bischofszell für eine erste Sitzung mit Alfred Dünnenberger treffen. Der Sammler aus Baar im Kanton Zug fand aber, dass er am Tag des Kriegsausbruchs in der Ukraine nicht über eine gewöhnliche Weihnachtsausstellung diskutieren könne.
«Ich brauchte zwei Monate Zeit, um ein neues Konzept zu finden», sagt Dünnenberger, der seine Weihnachtssammlung seit 2015 öffentlich zeigt. Mit Bischofszell bringt er sie erstmals in die Ostschweiz, was schon besonders ist, stammt er doch aus Weinfelden.
Heidnische Weihnachten mit Spendenquittung
Dem Einfluss des Kriegs auf die Weihnacht ist er durch seine jahrelange Beschäftigung immer wieder begegnet. «Ich hatte schon länger Sachen aus der NSDAP-Zeit in meinem Fundus.»
Die Nazionalsozialisten verdrängten den ursprünglich christlichen Hintergrund von Weihnachten zugunsten heidnischer, altgermanischer Bräuche. «Aus dem christlichen Fest wurde ein Julfest», erklärt Dünnenberger.
«Aus dem christlichen Fest wurde ein Julfest.»
Alfred Dünneberger (auf dem Bild neben neben einem Appenzeller Fressturm)
Die Kugeln wurden mit Runen, mit Sonnensymbolen wie Hakenkreuze verziert und «die Engeli zur Seite gestellt». Den Sommer über habe er sich schliesslich intensiver mit der Frage beschäftigt, wie Weihnachten in der Geschichte schon missbraucht wurde.
Mit Strassensammelaktionen, deren Erlös im Deutschland der 1930er Jahre als «Winterhilfe» gespendet wurde, übte das Naziregime Druck auf die Bevölkerung aus: «Wer spendete, bekam eine Quittung an die Haustüre gepinnt, so dass jede:r sehen konnte, wer etwas gezahlt hatte», erzählt Alfred Dünnenberger, der eigentlich aus Liebe zur Weihnacht zum Sammler wurde.
Als Kind habe er schöne Weihnachten erlebt und wollte diese Erfahrungen an seine Kinder weitergeben. «Als junger Vater habe ich jedes Jahr einen lustigen Christbaumschmuck gekauft.» Ein Schlüsselerlebnis brachte ihn zu seiner Passion, die er selbst schon als Krankheit bezeichnet.
Unter 99,99 Prozent Schrott die Schätze finden
Als Dünnenberger Anfang der 1980er Jahre in der Adventszeit durch die Züricher Altstadt schlenderte, zog ihn ein historisch geschmückter Baum magnetisch an. «Er liess mich nicht mehr los. Dann habe ich ein erstes Stück gekauft.» Mit der Pensionierung habe er schliesslich richtig losgelegt mit seinem Hobby. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht an seine Sammelleidenschaft denke. «Was im Internet angeboten wird, ist zu 99,99 Prozent Schrott, aber manchmal finde ich etwas Spezielles.»
Dünnenberger ist sich bewusst, dass dafür viel Zeit und Geld draufgeht. «Aber mir geht es um das Bewahren eines Kulturgutes. Ich möchte den Leuten zeigen, wie Weihnachten entstanden ist, wie es sich entwickelt hat.» Auf die Entwicklung nahmen immer auch Krisen und Kriege Einfluss, weswegen die Ausstellung in Bischofszell nun mit «Nicht nur ‹Oh du fröhliche ...›» betitelt ist.
«Aber mir geht es um das Bewahren eines Kulturgutes. Ich möchte den Leuten zeigen, wie Weihnachten entstanden ist, wie es sich entwickelt hat.»
Alfred Dünnenberger
Bei seiner Sammelleidenschaft fokussiert sich Alfred Dünnenberger auf Stücke aus dem deutschsprachigen und österreich-ungarischen Sprachraum. Darum kennt er einige Ankedoten aus dem Kalten Krieg: «Im Westen erlebte Weihnachten während des Kalten Krieges eine richtige Renaissance.» Der religiöse Aspekt rückte in den Hintergrund, der kommerzielle gewann dafür an Stärke.
Kalter Krieg beim Weihnachtsgeschäft
«Die Menschen kauften so viel Weihnachtsutensilien wie nie zuvor. Sie realisierten aber auch, dass viele Produzentenländer hinter dem Eisernen Vorhang lagen.» Mit Aufforderungen wie «Kauft nicht aus dem Ostblock» habe man den Konsum eindämmen wollen.
Im Osten sei aber nach wie vor Schmuck produziert worden. «Als atheistische Gesellschaft gab es dann im Kommunismus teils lustige Umschreibungen wie ‹geflügeltes Jahresendwesen› für Engel», sagt Alfred Dünnenberger.
Dass der Weihnachtsbaum in unsere Wohnzimmer Einzug erhielt, hängt ebenfalls mit Krieg zusammen. «Der Christbaum ist eigentlich nach dem Deutsch-Französischen Krieg zu uns gekommen», sagt Dünnenberger. Nach dem Sieg 1870 feierte die deutsche Heeresführung Weihnachten in Versailles und stellte dort überall Christbäume auf. Christbäume gab es in adligen und wohlhabenden Familien. «Nachdem nun selbst einfache Soldaten diesen ‹Siegesbaum› erlebten, kopierten sie diesen Zuhause.» Das sei ein Beschleuniger für den Baumkult gewesen.
Ursprung in Sündhaftigkeit und Fastenzeit
Wer sich wundert, dass neben den Krippen, die in der Ausstellug gezeigt werden, immer wieder Adam und Eva statt Maria und Josef auftauchen: Der 24. Dezember ist Namenstag des alttestamentarischen Paares, das die Sünde in die Welt brachte. «Dieser Tag wurde verknüpft mit dem Tag des anderen Adams: Christus. Eva ergibt umgekehrt geschrieben Ave. Der Sündhaftigkeit der Menschen bewusst, war die Advents- und Weihnachtszeit ursprünglich Fastenzeit.»
Im Mittalter arbeiteten die Menschen die Geschichte von Adam und Eva mit Mystierenspielen auf und schmückten Tannenbäume mit Äpfeln und ungeweihten Hostien, die Wurzel des Christbaums. «Aber selbst die Römer hängten in dunklen, kalten Nächten grüne Zweige auf», weiss Dünnenberger.
Die Ausstellung ist in Themen unterteilt, darunter die Entstehung des Adventskalenders oder der Samichlauskult. Hierzu geben «Fresstürme» aus dem Appenzell Einblick in regionale Brauchtümer. Ebenfalls aus der Region sind zwei Adventskalender aus Rorschach, in den 1930er Jahren von Ludwig Lorenzi gestaltet.
Lernen können die Besucher:innen zudem, dass Recyceln schon immer ein Thema bei der Herstellung von Weihnachstsschmuck war. Wiederverwendbare Christbäume finden sich beispielsweise im Art déco-Zimmer des Museums: Sie sind teils über 100 Jahre alt und aus grüngefärbten Gänsefedern. Im Biedermeier-Zimmer beeindruckt ein Prachtbaum, dessen Schmuck ein Panoptikum neuester Erfindungen und Entdeckungen des frühen 20. Jahrhunderts darstellt. Statt Strohsternen, Kugeln und Lametta, ist er dichtbestückt mit Flugzeugen, Zeppelinen und exotischen Tieren.
Weihnachtsfeier im Museum
Die Ausstellung in den historischen Räumen bietet eine besondere Atmosphäre für Weihnachtsferiern und Firmenanlässe. Eine Führung durch die Ausstellung «Nicht nur ‹Oh du fröhliche ...›» kann mit einem Essen in der Schniderbudig abgerundet werden.
Gruppen- oder Firmenanlässe sind auch ausserhalb der Öffnungszeiten möglich.
Öffnungszeiten «Nicht nur ‹Oh du fröhliche ...›»
25. November 2022 bis 29. Januar 2023
Mittwoch bis Freitag: 14 bis 17 Uhr
Samstag / Sonntag: 11 bis 17 Uhr
Von Judith Schuck
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