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Getrieben von der Neugier

Getrieben von der Neugier
Die Musik ist ihre Sprache: Auch deshalb erhält die Thurgauer Pianistin Simone Keller nun einen der Schweizer Musikpreise und den Thurgauer Kulturpreis 2022. | © Lisa Jenny

Festtage für die Pianistin Simone Keller: Nach dem Schweizer Musikpreis erhält sie in diesm Jahr auch den Thurgauer Kulturpreis. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Es ist noch gar nicht so lange her, da schrieb Simone Keller in einem Text für thurgaukultur.ch einen Satz über ihre Arbeit, der ziemlich präzise beschreibt, was ihr am Herzen liegt. „Ich habe immer wieder ganz bewusst die Zusammenarbeit mit Menschen gesucht, die in der Öffentlichkeit zu wenig oder lediglich stereotypisierend wahrgenommen werden und habe versucht, Raum zu schaffen für Menschen, die gesellschaftlich ausgegrenzt werden“, notierte Keller im Juni 2020.

Und: „Im gemeinsamen Musizieren mit Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, mit Geflüchteten oder mit jugendlichen Straftätern durfte ich unendlich viel Schönes entdecken und erlernen, was zuvor jenseits meines Horizontes lag.“

Sie gibt die eigenen Ansprüche niemals auf

Wer das als Sozialprojekt abtut, hat weder Herz noch Verstand, denn natürlich geht es Simone Keller in erster Linie immer um die Musik. „Ich mache Kunst und erreiche damit die Menschen“, sagt die Pianistin.

Wenn die 42-Jährige nun nicht nur einen der mit 40.000 Franken dotierten Schweizer Musikpreise erhält, sondern auch noch den mit 20.000 Franken dotierten Thurgauer Kulturpreis, dann liegt das eben genau daran: Dass sie ihren künstlerischen Anspruch auch in soziokulturellen Projekten niemals aufgibt. Für Simone Keller ist das nicht anders denkbar. Ihr Beruf ist Musikerin, ihr soziale Einsatz ist für sie selbstverständliches Bürger:innenengagement.

 

Bei der Arbeit: Simone Keller am Klavier. Bild: Michelle Ettlin

Freude und Zweifel

Die Auszeichnungen jetzt freuten sie sehr, sagt die Musikerin: „Solche Preise sind die totale Zustimmung zu meiner Arbeit, ein schönes Schulterklopfen und eine Form der Anerkennung, die mich auf meinem Weg bestärkt“, erklärt sie im Gespräch mit thurgaukultur.ch

In diese Anerkennung mischen sich aber auch Zweifel. „Es gibt so viele tolle Musikerinnen, die diesen Preis vor mir verdient hätten. Manchmal fühlt es sich dann fast ungerecht an, dass nicht sie, sondern ich nun diese Würdigung erhalte“, sagt Keller. Preise seien für sie eigentlich nicht wichtig oder zumindest nicht der Antrieb ihrer Arbeit. „Schön ist es natürlich trotzdem, wenn man einen erhält.“

Wenn es gleich zwei sind, umso mehr. Sie wolle die Preise nicht unterschiedlich gewichten, sagt Keller, «aber die Auszeichnung mit dem Kulturpreis in meinem Heimatkanton bedeutet mir emotional wirklich viel. Ich bin im Thurgau aufgewachsen, habe prägende Jahre dort verbracht, auch wenn meine berufliche Heimat in erster Linie nicht mehr dort liegt, jetzt diese Anerkennung dort zu erfahren, fühlt sich besonders an», sagt Keller.

Unermüdliche Forscherin und grosse Künstlerin

In der Medienmitteilung zum Thurgauer Kulturpreis heisst es: «Die Pianistin Simone Keller zeichnet sich durch herausragende Virtuosität, grosse Spielfreude und soziales Engagement aus.» Die Jury des Schweizer Musikpreises lobt ihre künstlerische Arbeit: „Unermüdlich initiiert sie musikalische Projekte, und ihre Gruppen sind wahre Forschungsinstitutionen des zeitgenössischen Klangs“, heisst es da. Wobei es für Keller diese klassischen Genregrenzen eigentlich nie gab.

„Seit 30 Jahren spiele ich Klavier und habe ein klassisches Studium mit einem starken Fokus auf dem Repertoire der Wiener Klassik und Romantik absolviert. Daneben habe ich Hammerflügel und Orgelunterricht genommen und mich auch in Barockmusik vertieft. Vollkommen selbstverständlich hat mich immer auch die moderne und zeitgenössische Musik nicht nur interessiert, sondern in all ihren Facetten fasziniert“, sagt sie.

 

Vermitteln und erklären gehört zu ihren grossen Stärken: Die Musikerin Simone Keller. Hier bei ihrem Projekt «Music of cages» (2019) mit Schüler:innen in der Komturei Tobel. Bilder: Sascha Erni

Wie alles anfing

Wie kommt jemand, der auf einem Bauernhof bei Weinfelden aufwuchs dazu, solch eine unkonventionelle Karriere einzuschlagen? „Ich war als Kind sehr schüchtern und habe nur mit ganz leiser Stimme gesprochen, meistens habe ich einfach geschwiegen“, erinnert sich die Pianistin. Die Musik sei für sie eine eigene Welt gewesen, „in der ich meine Sprache gefunden hatte, in der ich mich angstfrei ausdrücken konnte, weshalb ich das auch gerne vor Publikum getan habe.“

Diesen Weg setzte sie konsequent fort und absolvierte eine klassische Ausbildung als Pianistin. Mit ihren Ensembles lebt sie die Lust am Neuen aus. „Das Quartett Kukuruz befasst sich auf spektakuläre Art und Weise mit dem Potenzial des achthändig gespielten präparierten Klaviers, das Ensemble TZARA arbeitet zwischen Gegenwartsmusik und Meditation und das Trio Retro Disco besteht aus Horn, Violoncello und Synthesizer“, zählt die Jury des Schweizer Musikpreises Kellers vielfältiges Musikschaffen auf.

Video: Simone Keller auf der Bühne (Wiener Festwochen 2020)

Auch im Thurgau aktiv

Auch Kellers „wegbereitende pädagogische Arbeit“ würdigt die Musikpreis-Jury. Wie klug sie dabei Kunst, musikalische Bildung und gesellschaftliches Engagement verbindet, konnte man in den vergangenen Jahren auch immer wieder im Thurgau erleben.

2019 brachte sie mit 70 Schüler:innen und 10 Künstler:innen die Komturei Tobel zum Klingen und aktuell läuft noch das Projekt Solos & Sights, bei dem sie für die Internationale Bodenseekonferenz professionelle Musiker:innen mit Fluchthintergrund zusammen bringt und ihnen gemeinsam mit dem Künstler San Keller, Regisseur Erik Altorfer und Schriftsteller Usama Al Shahmani. eine Stimme gibt.

Grosse Lust auf Experimente

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Simone Keller ein Faible für Experimente hat. „Man muss immer offen sein, nur so entsteht Neues“, sagt die Pianistin. Dass dabei nicht immer alles gelingt ist dabei kein Makel für sie: „Die Möglichkeit des Scheiterns gehört zum künstlerischen Prozess dazu.“

Video: SRF-Porträt über Simone Keller (Januar 2021)

Video: Offizielle Verkündung der Schweizer Musikpreise 2022

 

Der Thurgauer Kulturpreis

Der mit 20'000 Franken dotierte Thurgauer Kulturpreis wird am Mittwoch, 24. August 2022, um 19.30 Uhr im Rahmen einer öffentlichen Feier im Eisenwerk in Frauenfeld durch Regierungsrätin Monika Knill, Chefin des Departements für Erziehung und Kultur, übergeben. Die Laudatio hält die Musikjournalistin Theresa Beyer.

 

Mit dem Preis, der seit 1986 vergeben wird, spricht der Regierungsrat seinen Dank und seine Anerkennung aus für ausserordentliche kulturelle Leistungen von Privaten und von Institutionen, die das kulturelle Leben im Kanton in besonderer Weise bereichern. Eine Auswahl möglicher Trägerinnen und Träger des Kulturpreises wird dem Regierungsrat jeweils von der Kulturkommission des Kantons Thurgau vorgeschlagen.

 

Mehr zum Thurgauer Kulturpreis gibt es auch in unserem Themendossier.

 

Die weiteren Preisträger:innen

Der mit 100.000 Franken dotierte Hauptpreis, der Grand Prix Musik, geht an die Gruppe Yello.

 

Den Schweizer Musikpreis (jeweils 40.000 Franken) erhalten neben Simone Keller auch: Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp (Rhythmisch-kollektiver Dadaismus aus Genf), Fritz Hauser (Hohepriester der Perkussion, Basel), Arthur Hnatek (Im Herzschlag des elektroakustischen Rhythmus Genf), Daniel Ott (Die Musik in neuen Formen leben, Grub), Ripperton (Guru des House
Lausanne) und Marina Viotti (Eine Stimme, die verbindet, Lausanne).

 

Die Spezialpreise Musik (jeweils 25.000 Franken) gehen an AMR (Hier schlägt das Herz der Improvisation, Genf), Daniel «Duex» Fontana (Der geniale Programmchef von Düdingen, Düdingen) und Volksmusiksammlung Hanny Christen (Mülirad Verlag, Ein Schatz der Volksmusik
Liestal (BL) und Altdorf (UR)

 

Die Schweizer Musikpreise zeichnen das herausragende und innovative Schweizer Musikschaffen aus und tragen zu dessen Vermittlung bei. Jedes Jahr mandatiert das Bundesamt für Kultur rund zehn Expertinnen und Experten aus dem Bereich Musik. Aus allen Regionen und spartenübergreifenden Musikgenres ernennen diese rund 60 Anwärterinnen und Anwärter für die Schweizer Musikpreise.

 

Im Frühjahr kürt die siebenköpfige Eidgenössische Jury für Musik aus den Vorschlägen elf Preisträgerinnen und Preisträger. Zu den Kriterien zählen unter anderem die exzellente Qualität des musikalischen Schaffens, Innovation als Fähigkeit, sich infrage zu stellen und stets neu zu erfinden oder die nationale und internationale Ausstrahlung der Musikschaffenden.

 

 

 

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