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von Barbara Camenzind, 25.07.2022

Ganz schön grosse Töne

Ganz schön grosse Töne
Berührende Performance: Andrej Bielow spielt Korngolds Violinkonzert op. 35 | © Barbara Camenzind

Der im Thurgau tätige Komponist Frédéric Bolli stellte beim Konstanzer Musikfestival sein neue Komposition vor. Der ganz grosse Wurf ist es nicht. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

„Toll. So ein riesiges Orchester für so ein kleines Publikum“, bemerkte eine Sitznachbarin begeistert. Die Nähe zum Klangkörper in dem wunderbaren, aber überschaubar grossen mittelalterlichen Festsaal des Steigenberger Inselhotels war durchgehend beeindruckend: Das Gefühl, dass einem klanglich die Blechbläser auf dem Schoss sitzen und das Piccolo durch den Kopf zischt.

Der Raum und die grosse Musik waren leider nicht ganz kompatibel, dies zerschlug manche Passagen, die einfach mehr Platz gebraucht hätten. Trotzdem wurde ganz toll musiziert.

Die Bodensee-Connection

Der in Vorarlberg aufgewachsene Pianist Aaron Pilsan begeisterte das Publikum mit seiner Interpretation von Sergey Prokofjews erstem Klavierkonzert. Der russische Komponist schrieb es als 18-Jähriger für einen Wettbewerb. Schon so früh zeigte sich Prokofjews geniales Gespür, mit Tönen Geschichten zu erzählen.

Aaron Pilsans hohe Virtuosität, aber auch seine Hingabe, sich ganz in die Musik zu versenken, ja selbst fast als Person darin zu verschwinden, passte wunderbar zu dem vielschichtigen Werk. Die zauberhafte Achtsamkeit, wie der junge Pianist zwischen den volksmusikantischen Passagen und den komplexen Klangverschachtelungen dieser Musik des frühen 20. Jahrhunderts agierte, hatte schon fast Martha-Argerich-Qualitäten.

Präzises Tempo

Ein „Vorarlberger ehrenhalber“ stand am Dirigentenpult: Benjamin Lack, seines Zeichens Domkapellmeister zu Feldkirch, Professor am Vorarlberger Landeskonservatorium und an der Hochschule in Stuttgart, ist nicht nur ein ausgewiesener Experte in Sachen Chormusik, er versteht sein Handwerk auch als Orchesterdirigent.

Seine präzisen Tempovorstellungen, die stets elegante dirigentische Handschrift und die Eigenheit, Instrumente auf dem Atem zu führen, haben allen drei Werken sehr gut getan. Und es ist einfach cool mitzuerleben, wie jemand das ganze Künstlerleben lang an seinen Herausforderungen weiter wächst.

 

Sängerin mit Hang zum Hintersinn: Sopranistin Ania Vegry bei Frédéric Bollis Uraufführung der „Prager Frühlingssinfonie“. Bild: Barbara Camenzind

Zauberhafter Korngold

Es ist wohl der schönste Tritonus der Musikgeschichte, einer der schönsten, dieser erste grosse Einsatz der Geige. Der in Hollywood tätige jüdische Komponist Erich Wolfgang Korngold schrieb dieses Violinkonzert 1946 nach dem grossen Grauen des Weltkrieges und der Shoah. Soviel Wehmut, soviel Hoffnung klingen in all seinen Tönen.

Wie berührend, dass in diesem schwierigen Sommer 2022 der ukrainische Geiger Andrej Bielow den herausfordernden Solistenpart übernahm. Er verlieh dieser hochexpressiven Musik einen schlichten, verinnerlichten Charakter und bewies, dass Korngold viel mehr war, als „nur“ ein Filmmusik-Komponist. Gerade die ganz hohen Passagen, die so zerbrechlich sein können, wenn zu viel draufgepackt wird, erklangen bei ihm luzide und wie aus einer anderen Welt.

Das Orchester interagierte differenziert und präzise auf diesen fast kammermusikalischen Ansatz des Solisten, es war eine Freude zuzuhören. Korngold ohne Schwulst? Die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz und Andrej Bielow konnten das.

Uraufführung, die etwas offen liess

Ein Prager Frühling der nichts mit dem politischen Prager Frühling zu tun hat. Frédéric Bolli weilte im Frühling 2002 in der tschechischen Metropole und notierte, beeindruckt vom morbiden Charme und der historischen Pracht fünf eher düstere Gedichte in sein Tagebuch, wie er seinen Schaffensprozess im Programmheft festhielt.

2018 vertonte er diese dann zu seiner Prager Frühlingssinfonie. Bollis grosses Geschick und Können, Zwölftonserien zu schreiben, diese ganz eigen mit Leitmotiven und spielerischen Pattern weiter zu entwickeln, zeigte sich auch bei dieser Uraufführung. Allein, der Wurf aus einem Guss, wie letztes Jahr mit der „Sinfonia Nabollitana“, war es nicht.

Die Texte blieben unverständlich

Die schaurig schönen, expressiven Motive wirkten zuweilen etwas repetitiv und kleinteilig. Sängerin Ania Vegry verlieh mit ihrer schönen Stimme und dem hintersinnigen Mienenspiel der Komposition viel Charme. Leider verstand man die Texte kaum, was schade war, so als roter Faden durch das Werk.

In sich war es aber doch eine stimmige Uraufführung eines etwas komplexeren „Bolli“ mit tiefgründig-abgründigen Momenten. Man kann gespannt sein, was der Komponist noch weiter entwickeln wird.

 

Tipp der Autorin

Das Musikfestival Konstanz läuft noch bis zum 29. Juli. Eine besondere Empfehlung der Musikkorrespondentin: Am Mittwoch 27. Juli ist das berühmte Janoska Ensemble zu Gast: Vier Top-Instumentalisten, drei Brüder und ihr Schwager bieten einen lustvollen Crossover durch Klassik, Jazz und ihren Wurzeln in der Roma-Musik. Eben Janoska-Style, den man wirklich mal gehört haben muss. Alle weiteren Termine: http://www.konstanzer-musikfestival.de/

 

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