von Inka Grabowsky, 24.01.2024
Frischer Wind für stürmische Zeiten
Im Kunstmuseum und im Ittinger Museum hat mit Peter Stohler ein neuer Museumsdirektor die Leitung übernommen. Gemeinsam mit der Stiftung Kartause Ittingen und dem Tecum der evangelischen Landeskirche präsentiert er nun ein volles Jahresprogramm. Eines der zentralen Themen ist das Gedenken an den Ittinger Sturm vor 500 Jahren. (Lesezeit: ca. 5 Minuten)
«Wir arbeiten als Team an der Zukunft der Kartause Ittingen», sagt Peter Stohler nach rund 100 Tagen in seinem neuen Amt. Dementsprechend stolz weist er auf die vielen Angebote hin, welche die Museen, Tecum und die Stiftung gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Der Blick auf den gewalttätigen Bauernaufstand 1524, in dessen Verlauf das Kloster geplündert und in Brand gesteckt wurde, zieht sich dabei wie ein roter Faden durchs Programm. «Näheres werden wir Ende Februar vorstellen», so der Prokurator der Stiftung, Heinz Scheidegger. «Doch wir können jetzt schon sagen, dass wir dem Ittinger Sturm gedenken, in der Hoffnung, dass so etwas nie mehr stattfindet.»
Musik und Wein
Jenseits der Veranstaltungen zum Sturm freut sich Heinz Scheidegger jetzt schon auf die traditionellen Pfingstkonzerte, für die Isabelle Faust (nach ihren Einsätzen 2017 und 2022) zum Thema «Notturno» ein Programm gestaltet hat, das selten Gehörtes präsentiert. Genuss einer anderen Art verspricht das Weinfest in der Kartause am 2. Juni. «Wein hat in der Geschichte der Kartause eine wichtige Rolle gespielt», so der Prokurator. «Der Ertrag aus dem Rebbau und der Kelterei ermöglichte die Bautätigkeit. Und auch unsere Stiftung macht immer noch eigenen Wein, worauf wir gerne hinweisen.» Passend dazu treffen sich in Ittingen Anfang Juni bis zu 20 europäische Stiftungsweingüter, um sich untereinander auszutauschen.
Das Tecum sorgt für eine stabile Basis
Die Stiftung hat den Zweck, die Kartause zu beleben und zu erhalten. Dabei hilft unter anderem das Tecum, das Zentrum für Spiritualität, Bildung und Gemeindebau der evangelischen Landeskirche. Durch die Veranstaltungen und Seminare gäbe es eine Grundauslastung des Hotelbetriebs, räumt Scheidegger ein. «Die Zusammenarbeit ist von unserer Seite nicht ganz uneigennützig», meint er lächelnd. Thomas Bachofner vom Tecum trägt das mit Fassung. Sein vierköpfiges Team bietet im kommenden Halbjahr gemeinsam mit externen Dozenten rund 80 Veranstaltungen an. Besonders am Herzen liegen dem Leiter und Seelsorger die «ReVision»-Seminare, die aus einem Einführungstag (2. März) und vier Wochenenden bestehen, die über das Jahr verteilt stattfinden. Individuelle «Auszeiten im Kloster» wenden sich an Menschen, die innerhalb von sechs Tagen unter therapeutischer und seelsorgerischer Betreuung Neuorientierung suchen. In diesem Jahr kann man dafür erstmals eine Wohnung wochenweise mieten. «Es ist ein Pilotprojekt», so Bachofner. «Wir schauen, ob es einen Bedarf für den Aufenthalt ohne Hotelkomfort gibt.» Ein Bedürfnis, sich in stürmischen Zeiten, in denen Krise auf Krise folge, Resilienz aufzubauen und Selbstfürsorge zu betreiben, beobachtet er auf jeden Fall. «Die Kartause ist zwar keine Insel der Glückseligen, aber man kommt hier in eine andere Welt, ohne weit reisen zu müssen. Hier kann man sich sammeln und finden. Und gemeinsam mit den Museen gibt es Synergien, die Besuchende zum Perspektivwechsel einladen.»
Sturm im Ittinger Museum
Der Kurator des Ittinger Museums, Felix Ackermann, bedankte sich explizit beim Kunstmuseum, das im grossen Gewölbekeller viel Platz für die Sonderausstellung zum Ittinger Sturm einräumt. «Ein junges Gestaltungsteam will sinnliche Erfahrungen ermöglichen. So wird es eine animierte Einführung geben, in der ein fiktiver Reporter über die Ereignisse vor 500 Jahren berichtet.» Bei dem Überfall der rund 3000 Leute am 19. Juli 1524 gäbe es sehr viele Aspekte zu berücksichtigen. «Darunter waren hungrige Söldner, religiöse Bilderstürmer, arme Diebe und freiheitssuchende Bauern.» Am 21. April soll die Ausstellung eröffnet werden.
«Die Kartause ist zwar keine Insel der Glückseligen, aber man kommt hier in eine andere Welt, ohne weit reisen zu müssen. Hier kann man sich sammeln und finden.»
Thomas Bachofner vom Tecum
Weibliche Perspektiven im Kunstmuseum
Nachdem die «Werkschau Thurgau» 2020 eingestellt wurde, beteiligt sich das Kunstmuseum in diesem Jahr am 13. Dezember erstmals am «Heimspiel» in der Webmaschinenhalle in Arbon. «Das wird spektakulär», meint die Kuratorin des Thurgauer Kunstmuseums, Stefanie Hoch. Vor Ort in Ittingen konzentriert man sich auf zwei Künstlerinnen und widmet ihnen Einzelausstellungen. Eva Wipf als «Seismografin in Nacht und Licht» ist 1978 mit nur 50 Jahren verstorben. «Sie hat sich unter anderem kritisch mit Kirche und Spiritualität auseinandergesetzt und hat mehr Resonanz verdient», so Direktor Peter Stohler. «Ihre kunsthistorische Position wurde zu Lebzeiten marginalisiert.» Die Vernissage findet am 23. Juni statt.
Olga Titus überwältigt die Betrachtenden
Gerade eröffnet ist die Ausstellung «Das ausgebrochene Pixel» mit Werken von Olga Titus. «Die Einzelausstellung in ihrem Heimatkanton ist überfällig», sagt die Kuratorin Stefanie Hoch. Titus ist in Sulgen aufgewachsen und hat vor ihrem Kunst-Studium Textildesign mit Schwerpunkt «Stickerei-Entwurf» gelernt. Das ist ihren Werken noch immer anzumerken. Das Handwerkliche verbinde sich mit Hightech, lobt die Kuratorin.
Den kleinen Gewölbekeller hat die Künstlerin mit einzigartigen Tapisserien und Textil-Stellwänden in eine Traumwelt verwandelt. «Das Wechselspiel zwischen Unterbewusstsein und kultureller Identität zieht sich durch alle meine Werke», sagt Titus, die die schweizerische und die malaiische Staatsbürgerschaft besitzt. Der Kontrollverlust durch optische Irritationen und die Üppigkeit der kombinierten Motive sei ein spannender Moment in ihrer Arbeit. Bekannt geworden war die Mittvierzigerin durch ihre opulenten und grossformatigen Paillettenbilder, von denen sie auch dieses Mal zwei zeigt. Gegenüber hängen bunte Lentikular-Drucke, die je nach Perspektive einen anderen Raumeindruck vermitteln, also einen 3-D-Effekt haben. «Sie stellen unter anderem die Frage, wie man sich über Kunst verständigen kann, wenn zwei Personen nie das Gleiche sehen, selbst wenn sie direkt nebeneinanderstehen», betont Stefanie Hoch die Relevanz für den aktuellen Diskurs. In der Galerie kann man Videoarbeiten von Olga Titus betrachten. Die Ausstellung läuft bis zum 15. Dezember.
Von Inka Grabowsky
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