von Jürg Schoop (1934 - 2024), 05.12.2017
Auf dem Weg zum Dreamteam
Hier der Schweizer Schlagzeuger Pierre Favre, dort der spanische Pianist Marco Mezquida. Die Ausgangskonstellation beim zweiten Konzert der diesjährigen Klangreich-Reihe machte hoffnungsfroh. Das Konzert hielt den Erwartungen stand.
Von Jürg Schoop
Die Verbindung von Schlagzeuger Pierre Favre mit dem auf Menorca aufgewachsenen, heute im Hotspot Barcelona lebenden Pianisten Marco Mezquida könnte, wenn Dauerhaftigkeit ins Spiel kommt, zu einem Dreamteam führen. Der Auftritt in Romanshorn war erst das zweite, frei improvisierte Konzert, das die Beiden darboten. Mezquida ist als Solopianist bereits einmal im Klangreich-Programm aufgetreten. Hotspot wird die katalonische Hauptstadt vom kundigen Veranstalter Christian Brühwiler deswegen genannt, weil hier ein äusserst reges musikalische Leben, gerade auch in der frei improvisierten Musik stattfindet. Und viele Latino-Musiker hoffen, hier eine Heimat zu finden. Gegenseitige Anregung ist gegeben, so ist Mezquida auch mit einer argentinischen Sängerin aufgetreten, deren Spuren ich nicht gefunden habe. Barcelona war schon immer ein Mittelpunkt des Jazz in Spanien, so stammt auch der bekannteste Pianist, der auch mit amerikanischen Cracks Aufnahmen im Ausland gemacht hat, Tete Montoliu, - vor 20 Jahren verstorben - , aus Barcelona. Auch ihm wird - wie Mezquida - ein empfindsames, swingendes Spiel attestiert, was Joachim Ernst Berendt ihn den "katalanischen Art Tatum" nennen liess. Der einerseits bekannte und belobigte, anderseits unterschätzte Schweizer Bassist Eric Peter lebte ebenfalls zu jenen Tagen für über ein Dutzend Jahre in Barcelona.
Blues und Boogie mit einem Hauch Satire
Barcelona zieht auch die Flamenco-Gitarristen an, die abgesehen von den Anregungen, die dort zu finden sind, wahrscheinlich auch die besseren als die andalusischen Einkünfte zu schätzen wissen. Kein Wunder, dass sich Mezquida auch mit dem Star-Gitarristen Juan Gómez "Chicuelo" zusammengetan hat zu einer CD-Produktion. Pianist Mezquida wird in Spanien wie ein Star gehandelt, wird heute in Deutschland höchst gepriesen, denkbar, dass er sich international - und damit ist selbverständlich auch die USA gemeint - durchsetzen wird. Seine technischen Fähigkeiten sind stupend, wie er am Sonntag mit dem Blues- und Boogiematerial einfallsreich umgegangen ist, auch ein Hauch Satire beimischte, erfreute das Herz. Wenn er zu einem Musicalfetzen ansetzte, liess dies den Musikliebhaber auf Grund seiner unnachahmlichen Intonierung auf dem Steinway hoffen, dass er sich mal an Brahms oder Schubert versucht.
Der Anfang von etwas Grossem? Das Duo Marco Mezquida und Pierre Favre überzeugte die Besucher der Klangreich-Reihe in Romanshorn am Sonntagabend. Bild: Jürg Schoop
Pierre Favre muss man kaum vorstellen, er ist nicht nur international bekannt - wie nur etwa 2 bis 3 weitere Schweizer Drummer -, er ist auch berühmt für sein "filigranes", suchendes, abwechslungseiches und dennoch selbstsicheres Spiel. Als Improvisator genau der Richtige für einen beweglichen, aufmerksamen Pianisten. Was mich etwas überraschte, über welche Energie der 80-Jährige noch verfügt, wie der auf die grossen Drums haut (muss man schon sagen). Die meisten Anwesenden mögen das als Lebensfreude interpretiert haben. Ich wünsche mir ein wenig, der zurückhaltende, abgemessene Pierre möge auch ein Quäntchen Wut in sich gefunden haben, ohne die ein Künstler in dieser Zeit nicht ganz auf der Höhe ist. Was kann es Schöneres geben, als wenn ein nicht mehr ganz junger Besucher beim Hinausgehen zum Begleiter sagt "Sensationell!" Ja, wo waren denn die Jungen? Ist dies die "Thurgauer-Frage" oder ist's das Generationen-Problem?
Video: So klingen Marco Mezquida und Pierre Favre zusammen (Mitschnitt aus dem Konzert in Romanshorn von Jürg Schoop)
Weiterlesen:
"Zwischen den Welten": Übersicht über das aktuelle Jahresprogramm bei "Klangreich" vom 25. Oktober 2017
"Zauberhafte Vergänglichkeit": Besprechung des Auftaktkonzertes der diesjährigen Saison bei "Klangreich" vom 13. November 2017
Termin: Das nächste Konzert bei "Klangreich" findet am Montag, 1. Januar, 17 Uhr, statt. Unter dem Titel "stilleklangraumzeit" spielen Paul Giger, Marie-Louise Dähler und Pudi Lehmann. Karten gibt es hier
Weitere Beiträge von Jürg Schoop (1934 - 2024)
- «Jazz ist die beste Form der Demokratie» (13.05.2020)
- Die Hierachie ist tot, es lebe das Kollektiv (29.01.2018)
- Gerechtigkeit an der Grenze (29.07.2015)
- Wo Tradition auf Gegenwart trifft (23.06.2016)
- Jazz im SIX - ein Geheimtipp (01.06.2016)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Musik
Kommt vor in diesen Interessen
- Kritik
- Klassik
- Jazz
Ähnliche Beiträge
«Eine Knochenarbeit, die mich bereichert!»
Wie wir arbeiten (4): Andrin Uetz ist unser Experte für Pop- und Jazzmusik. Hier beschreibt er nach welchen Kriterien er Projekte bewertet und was das mit seiner eigenen Erfahrung zu tun hat. mehr
Die Musikerklärer
Hört man Musik anders, wenn man weiss, wie sie entstanden ist? Das Orchester Divertimento hat ein spannendes neues Musikvermittlungsprojekt gestartet. mehr
Schläft ein Lied in allen Dingen
Der Südtiroler Vollblut-Musiker Max Castlunger entwickelt Musikinstrumente aus Zivilisationsrückständen. „Upcycling Music“ ist ein brückenbauendes Projekt zwischen den Generationen. mehr