von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 05.11.2019
Ey, Mittelalter!
Nahbar, direkt und ein bisschen aufdringlich: Die neue Führung „what the frauenfeld?“ durch das Historische Museum Thurgau ist anders als man das aus Museen üblicherweise kennt. Und das ist auch gut so.
Um Punkt 16 Uhr kommt eine SMS von einer unbekannten Nummer: „Oh, holder Teylnehmer. Es schreiben Euch Tanja und Antonella, Deine #letsmuseeum-Guides. Wir tauchen bald zusammen in ungeahnte Tyfen und steygen in schwindelerregende Höh. Wir treffen uns vor dem Schlossmuseum Frauenfeld. Es ist alles organysiert, ihr sollt Euch mit nichts aufhalten, sondern eynfach in der Stunde des Herrn 18:00 dort seyn.“
Zwei Stunden später versammeln sich sieben Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher gesetzteren Alters vor dem Schloss Frauenfeld. Tanja und Antonella aus der SMS sind auch da. Sie sind die Guides dieses frühen Abends im Historischen Museum Thurgau und wollen die Besucherinnen und Besucher „durch das Labyrinth des Mittelalters“ bringen, wie sie sagen. „Wann hättest Du gerne gelebt?“, fragt Antonella mehrere Teilnehmer in der, wenn man so will, Kennenlernphase von Gruppe und Guides. „Mittelalter“, antwortet wenig erstaunlich keiner. „Das war keine einfache Zeit für die Menschen damals, gerade deshalb begeben wir uns heute mit Euch auf eine kleine Reise dahin - um die Absurditäten des Mittelalters gemeinsam zu entdecken“, sagt Tanja.
Lustig, schnell und clever choreografiert
Das ist der Auftakt einer Museumsführung, die so ganz anders ist, als man das heute noch aus vielen Museum kennt: „What the Frauenfeld?“, so der Titel der Führung, ist lustig, schnell und ziemlich clever choreografiert. Es geht hier nicht um das grosse Ganze, diese Führung will nicht das Mittelalter im Thurgau erklären, sondern sie stellt die kuriosen Details, die erstaunlichen Geschichten und die überraschenden Aspekte der Historie in den Mittelpunkt.
Entwickelt wurde dieses neue Angebot des Historischen Museums von der Agentur #letsmuseeum. Rea Eggli, die auch schon die Schweizer Crowdfunding-Initiative „wemakeit“ initiiert hat, hat sie gegründet. „Ich habe selber vorwiegend Vernissagen und Sonderausstellungen besucht, bin aber mit den gängigen und damals auch neuen Vermittlungsangeboten meist nicht richtig warm geworden. Das kam oft etwas anstrengend und für mich zu intellektuell daher. Mir fehlte es an Dynamik und es löste selten einen Spass-Faktor aus, den ich gerne auch hätte teilen oder weiterempfehlen wollen“, sagt die 47-Jährige bei einem Café in Frauenfeld. Als sie einen Vortrag des Museum-Hack-Gründers in Zürich hört, ist ihr klar: „So etwas will ich auch machen.“ Die Formel, die sie für ihr Konzept findet, heisst: „Disco, Dada, Darwin“. Man könnte es übersetzen mit Spass, Inspiration und Wissensvermittlung. Genau das will Eggli in die Museen bringen.
„Ich wollte raus aus dieser üblichen Kultur-Bubble.“
Rea Eggli, Gründerin von #letsmuseeum (Bild: Desirée Good)
Vor zwei Jahren ist #letsmuseeum mit fünf Touren in verschiedenen Zürcher Museen gestartet. Seither sind weitere dazu gekommen, wie zum Beispiel die Tour durch das Schloss Frauenfeld. „Wir sind damals relativ unvoreingenommen an die Sache heran gegangen, wir wollten keine Experten, keine klassische Museumspädagogik. Ich wollte raus aus dieser üblichen Kultur-Bubble, weg vom Frontalunterricht und hin zu mehr Interaktion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Unsere Guides erzählen die Geschichte, die sie spannend finden. Es soll sein, als besuchten Sie mit Freunden ein Museum“, erklärt Rea Eggli die Idee hinter ihren Führungen.
In Frauenfeld kann man exemplarisch sehen, wie das Konzept funktioniert. Antonella Barone und Tanja Breu führen die Besucher quer durchs Haus, sie besteigen den Turm und blicken später durch einen Glasboden in einen tiefen Keller von dem viele glauben, es sei ein Verlies gewesen. War es aber nicht, es war so etwas wie die Vorratskammer für das Schloss.
Die Besucher sind aufmerksamer dabei als in anderen Führungen
Man ist viel unterwegs und an den verschiedenen Stationen reden die beiden Guides über Waffen, Minnesänger, die Gründung der Stadt Frauenfeld, das Fluchen und viele andere Dinge. Nicht alles funktioniert gleich gut, nicht jede Geschichte sitzt, aber man merkt doch, dass die Besucherinnen und Besucher aufmerksamer sind als man das von klassischen Führungen kennt. Abschweifen ist hier nicht so leicht möglich, weil ständig etwas Neues passiert.
Die beiden Guides ziehen das #letsmuseeum-Konzept ziemlich konsequent durch: Alle werden geduzt, jede Geschichte beginnt mit einem persönlichen Bezug einer der Guides (die Geschichte zur Waffensammlung beginnt Tanja Breu beispielsweise mit einem Vergleich zu der Happy-Hippos-Sammlung, die sie als Kind hütete) die Sprache ist direkt, oft im Jugend-Slang gehalten und oben auf dem Turm gibt es erstmal einen Schnaps.
Das Konzept kann einem auch auf den Geist gehen
Diese beständig erzählerische Anbindung an das eigene Leben, kann einen irgendwann auch auf den Geist gehen, weil man ja schliesslich nicht ins Museum gekommen ist, um etwas über sich oder die Guides zu erfahren, sondern über die Geschichte. Manchmal passen auch Sprache und Zielgruppe noch nicht recht zusammen. Ein bisschen kurios ist es zum Beispiel, wenn Antonella vor lauter Grauhaarigen über den Minnesang sagt, „so ein wirklich geiler Shit war das nicht“. Die gewünschte Zielgruppe und die tatsächliche Zielgruppe sind da offenbar noch nicht deckungsgleich. Das anvisierte junge Publikum muss das Angebot erst noch entdecken. Man muss es auch mögen, immer wieder angesprochen und einbezogen zu werden, ansonsten hat man wenig Freude an dieser Art von Führung.
Abgesehen davon ist der Ansatz von #letsmuseeum aber extrem klug und zeitgeistig. Die niederschwellige Herangehensweise, das Prinzip der Nähe, das Gruppenerlebnis, all das holt die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit ab. In den guten Momenten gelingt es der Führung so, eine belastbare Brücke zu bauen zwischen Geschichte und Gegenwart, die die Besucher auch wirklich erreicht.
Es geht darum, Appetit zu machen auf Geschichte
„Wir sind eigentlich so etwas wie ein Museumsteaser“, sagt Rea Eggli noch. Genau das trifft es ziemlich exakt. Es geht darum, Appetit zu machen auf Geschichte, auf ein Museum. Es geht gar nicht darum, die klassischen Vermittlungsangebote zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen und ein Publikum zu erreichen, dass bislang eher selten ein Museum betritt.
Noch bis Ende des Jahres wird #letsmuseeum gefördert durch Engagement Migros, danach soll das Projekt auf eigenen Füssen stehen: „Ich glaube sehr an was wir tun und wir arbeiten gerade sehr hart daran, im nächsten Jahr schwarze Zahlen schreiben zu können“, sagt die 47-Jährige. Der Bedarf sei auf jeden Fall da, glaubt Eggli: „Die Museen haben grosse Chancen, wenn sie sich einem neuen Publikum öffnen, den Zugang erleichtern oder die Vermittlung auch ausserhalb der Museumsmauern anpacken. Unser Weg ist sicher einer davon, genau das zu tun“, sagt die Gründerin.
Beim Marketing macht #letsmuseeum keiner was vor
Kurz nach der Führung, exakt um 20 Uhr, kommt eine zweite SMS: „Amen. Also fast. Danke, dass Du an unserer Tour „Sünde, Seuche, tote Schafe“ teilgenommen hast. Wenn Du Lust auf mehr #letsmuseeum hast, folge uns auf Facebook und Instagram. Jetzt: Amen!“ Gut, die Führung hiess eigentlich anders und man kann den Text auch als ein bisschen sehr pushy empfinden. Aber marketingtechnisch ist das ziemlich schlau. Oder wie man bei #letsmuseeum sagen würde: „Ein echt geiler Shit.“
Termine: Die nächsten Führungen von „What the Frauenfeld?“ im Schloss Frauenfeld finden statt am Mittwoch, 6. November, 18 Uhr, Sonntag, 10. November sowie am Sonntag, 30. November, beide mal ab 15 Uhr. Tickets (25 Franken) gibt es im Internet unter: www.letsmuseeum.com/touren
Video: Trailer zu den #letsmuseeum-Touren
Die Gründerin, die Führungen und die Guides
Rea Eggli (47) ist im Berner Oberland aufgewachsen. Sie besucht zunächst eine Hotelhandelsschule, arbeitet dann in der Kommunikationsabteilung von Swisscom in Indien und anderen Ländern. 2000 gründet sie Swissandfamous und produziert Lesetouren, Märchenabende und Hörbücher. Seit 2010 betreut sie mit der Kommunikationsagentur Eggliwintsch Mandate im Kulturbereich und lanciert mit Partnern die Crowdfundingplattform wemakeit.ch. Im Oktober 2017 startet sie die Museumstouren mit #letsmuseeum. Eggli lebt mit ihrem Sohn in Zürich.
Wie die Führungen entstehen: Beim ersten Besuch in einem Museum fotografiert ein Team von #letsmuseeum erstmal alles, was ihnen auffällt. Um dieses erste Gerüst herum, wird dann die Tour gebaut. Wesentliche Eckpunkte der #letsmuseeum-Touren sind: Kurioses, Visuelles, Interaktives und Individuelles von den jeweiligen Guides. Zwischen dem ersten Besuch und der fertigen Tour liegen in der Regel etwa drei Monate. Vor der ersten öffentlichen Tour prüfen die Expertinnen und Experten des jeweiligen Museums die Inhalte auf ihre Richtigkeit.
Woher die Guides kommen: In der Regel stammen sie aus dem Netzwerk der Agentur, es wird aber auch aktiv nach neuen Guides gesucht. Die Guides sind eng eingebunden in die Produktion ihrer Tour, sie schreiben die Texte oft selbst, schliesslich müssen sie sie am Ende ja auch performen.
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