von Barbara Camenzind, 19.02.2024
Einmal Musik auftanken, bitte!

Museum of Modern Art, New York (Alamy) | © Museum of Modern Art, New York (Alamy)
Die Neue-Musik-Reihe NOEISE geht ab 23. Februar auf Landpartie: Bei „Chroniken einer Tankstelle“ wird eine stillgelegte Garage mit Tankstelle in Siegershausen bespielt. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
„Letzte Tankstelle vor der Autobahn“. So lautet das Schild an der Tankstelle und ehemaligen Autowerkstatt in Siegershausen. Noch ist hier günstig Sprit zu holen, zur Rush Hour stehen die Fahrzeuge Schlange. Aber wirklich bewirtschaftet wird sie nicht mehr. Die grossen Tankstellenketten von Coop oder Avia haben den Lead auch im Thurgau übernommen. Mit viel Glück und Diplomatie ist es NŒISE-Initiator Christoph Luchsinger gelungen, den Ort für seinen zweiten „NŒISE-Streich“ aufzutun.
Auch alte Tankstellen im Thurgau haben ihre Stories, die einem Roadmovie der 1960er Jahre gleichen. Die nie veröffentlicht worden sind und es auch nicht sein wollen. An einem Durchgangsort bricht Kultur ein, einem Platz für Gewesenes. Das klingt sehr spannend, denn es gibt wohl keine anderen Orte, an denen sich der Kanton so lost, so - sorry -ostschweizerisch, so präriemässig und sich gleichzeitig so anrührend gespenstisch ländlich anfühlt, wie an einer alten Thurgauer Tankstelle.
Der Thurgauer Musiker Christoph Luchsinger hat mit «Noeise» eine neue Veranstaltungsreihe konzipiert, die den Reiz und die Kraft der Neuen Musik vermitteln will. spricht der Trompeter im Interview über alte Vorurteile und neue Erkenntnisse. Auf unsere schriftlich gestellten Fragen antwortet Luchsinger, na klar, mit Klang. Dem Klang seiner Stimme und dem Klang seiner Arbeit. Zum Interview.
Welt au contraire
Léo Collin, der die Musik zu dieser musikalischen Intervention erst für einen „gewöhnlichen Konzertsaal“ schrieb, liess sich von der Zwischenwelt Tankstelle und ihrer grossen literarischen Kraft inspirieren. Wer unterwegs ist, in seinem Auto, seiner kleinen Welt, alleine in der Wüste, erlebt die Tankstelle als eine Art Korallenriff, wo nicht nur sein Auto, sondern auch die Reisenden an Leib und Seele erfrischt werden und soziale Kontakte möglich sind.
Im Gegensatz erleben die, die dort arbeiten, die Welt au contraire. Sie bleiben zurück, die Zeit bleibt zwischen den Reisenden stehen. Das Buch von Alexandre Labruffe „Erkenntnisse eines Tankwarts“ habe ihn bei seiner Arbeit begleitet, sagt Léo Collin. Im Transit der Menschen kaum wahrgenommen, beobachtet ein Tankwart in der Nähe von Paris die Menschen, liest viel und agiert als Botschaftenübermittler im Fadenkreuz der gesellschaftlichen Schichten und Fragen.

Die Geister der Stille
So werden in der alten Tankstelle in Siegershausen auch die Protagonisten auftreten, denen wir zwischen Zapfsäulen und Kaffebechern kaum Beachtung schenken: Ein:e Kassier:in, der:die mit dem Selecta-Automaten musiziert, ein Tankwart am Keyboard, der mit geheimnisvollen Twitch-Botschaften interagiert und sich in die grosse Welt träumt. Eine Reinigungskraft, die die scheinbar tote Zeit mit hörbar gemachten Yoga-Übungen füllt und sich ins Reich der Vögel träumt.
Früher musste man sich die Zeit mit Kreuzworträtseln totschlagen, heute hole man sich die Welt digital herein - und sei doch allein, erklärt Christoph Luchsinger. Die Geister der Stille, sie sind da, sie werden da sein. Léo Collins Musikuniversum umgesetzt von NŒISE an einem „lost place“ einem Unort, der gleichzeitig auch Oase und Korallenriff sein kann. Das klingt nach Spannung pur und einem Kulturerlebnis der ganz besonderen Art.
Termine & Tickets
NŒISE Land: Freitag, 23. Februar 2024
20.00 – ca. 21.15 Uhr Performance 1
Samstag, 24. Februar 2024
17.30 – ca. 18.45 Uhr Performance 2
20.00 – ca. 21.15 Uhr Performance 3
Garage Reisch
Hauptstrasse 24
8573 Siegershausen
Die Anreise mit dem Zug wird empfohlen, die Aufführungszeiten sind auf den Fahrplan der SBB abgestimmt. Die Garage Reisch ist in Gehdistanz (5 Minuten) vom Bahnhof Siegershausen gut erreichbar.

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