von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 25.04.2022
Wie viel Neues steckt in der Neuen Musik?
Der Thurgauer Musiker Christoph Luchsinger hat mit «Noeise» eine neue Veranstaltungsreihe konzipiert, die den Reiz und die Kraft der Neuen Musik vermitteln will. Vor der zweiten Ausgabe (ab 28. April) spricht der Trompeter im Interview über alte Vorurteile und neue Erkenntnisse. Auf unsere schriftlich gestellten Fragen antwortet Luchsinger, na klar, mit Klang. Dem Klang seiner Stimme und dem Klang seiner Arbeit. (Lese- & Hördauer: ca. 20 Minuten)
Herr Luchsinger, wer den Begriff «Neue Musik» hört, denkt schnell an Zuschreibungen wie «kompliziert, anstrengend und unnahbar». Warum sollte ich mich trotzdem für Neue Musik interessieren?
Was ist überhaupt das Neue an Neuer Musik?
In dem zweiten Programm der Reihe «Noeise» wollen Sie Bewegung in Klang verwandeln. Wie kommt man auf die Idee und was soll das überhaupt zeigen?
Gibt es schon Einblicke, wie das aussehen und klingen könnte?
Ja, wir haben ein paar Aufnahmen bei den Proben gemacht. Zum Beispiel hier die Arbeiten an Manuel Zwergers «Hütchenspiel». Schauen wir mal rein, danach sag ich ein bisschen mehr dazu.
Der Komponist Manuel Zwerger hat hierzu geschrieben: «Für dieses Stück wird die Trompete mit vier langen Schläuchen präpariert, an deren Ende jeweils ein Trichter aufgesteckt wurde. Drei dieser Trichter werden von dem/der Performer/Performer*in zur Klangmanipulation bedient. Ein Schlauch führt aus dem Raum ins Freie hinaus und ist dort am Schaufenster angebracht. So wird ein direkter Bezug zur Strasse, zu den Menschen dort und zum Publikum hinter dem Schaufenster hergestellt.
Die Idee, das Stück in einem Schaufenster zu machen, hat Manuel Zwerger von Anfang an inspiriert. Bei vielen seiner Stücke geht es eben genau um diese individuellen Hörerlebnisse. Das heisst, dass das Publikum, je nachdem wo es seinen Platz eingenommen hat, Unterschiedliches sieht und hört – ohne dabei etwas zu «verpassen».
Anderes Beispiel ist die Komposition «Zwirn» von Lara Stanic. Auch hier erstmal ein kleiner Einblick in die Proben mit der Tänzerin Naomi Schwarz:
Die Komponistin Lara Stanic hat ihr Werk so beschrieben: «Die Komposition Zwirn ist inspiriert vom Zwirnen; dem Zusammendrehen zwei einzelner Garne zu einem Faden. Die Trompetentöne beziehungsweise die elektronischen Klänge stellen die einzelnen Garne dar. Am Anfang des Stückes bewegen, «drehen» sich die Trompetentöne und die elektronischen Klänge um die eng beieinander liegenden Frequenzen und Klangfarben. Die Tänzerin trägt, steuert und beeinflusst die mobile Live-Elektronik mittels ihrer Bewegungen. Die Elektronik wird zu ihrem Musikinstrument. Dieses Instrument besteht aus einem Mobiltelefon, einem Mikrofon und einem kleinen Lautsprecher.
Über das Mikrofon werden die Trompetenklänge eingespeist und verändert über den Lautsprecher wiedergegeben. Durch die Bewegung der Arme beziehungsweise des Mikrofons kann die Tänzerin die Trompetenklänge unterschiedlich modulieren. Ebenso kann sie mit den Raumfrequenzen spielen und Rückkopplungen erzeugen, die wiederum von der Trompete moduliert werden. Über einen im Mobiltelefon eingebauten Sensor kann die Tänzerin auch mit der Ausrichtung ihres Körpers im Raum musikalische Parameter wie Klangfarbe und Tonhöhe steuern. Der Trompeter und die Tänzerin spielen und interagieren subtil, oft nur mit einzelnen Tönen miteinander. Wie in einem Fadenspiel sind sie mit unsichtbaren Fäden aus Frequenzen miteinander verbunden und klanglich abhängig. Aus dem anfänglichen Zwirnen entsteht im Laufe des Stücks ein Geflecht aus Trompeten- klängen, elektronisch erzeugten Tönen sowie Raumfrequenzen des Ladens beziehungsweise des Schaufensters.»
Das sieht interessant aus, aber gibt es neben der Ästhetik auch eine Botschaft dahinter?
Kann man mit Hilfe von Neuer Musik etwas erkennen, was einem sonst verborgen geblieben wäre?
Sie spielen ihre Konzerte nicht in Konzertsälen, sondern dieses Mal beispielsweise in verschiedenen Modeboutiquen. Welchen Einfluss hat der Ort auf das Werk?
Wie wichtig ist das Zusammenwirken der verschiedenen Künste im Konzept der Noeise-Reihe?
Interdisziplinarität ist sehr wichtig für Noeise, da die Vermittlung von Neuer Musik im Thurgau ein bedeutender Aspekt ist. Die Arbeitsweisen der verschiedenen Künste, der verschiedenen Künstlerinnen und Künstler, unterscheiden sich oft. Beim Zusammenarbeiten, beim gemeinsamen Entwickeln eines Programms entstehen dank dieser unterschiedlichen Herangehensweisen neue Formen und neue Ideen. Und gerade darum eignet sich meiner Ansicht nach Interdisziplinarität sehr gut, um Neue Musik einem breiten Publikum vermitteln zu können. Diese neuen Impulse, die Verbindung, das Zusammenwirken von verschiedenen Künsten bietet dem Publikum auch einen neuen Zugang oder unterschiedliche Ansatzpunkte zum Verständnis. Manchmal können kleine unerwartete Dinge ein Türöffner sein. Und indem die Programme von Noeise versuchen, verschiedene Sinne anzuregen, entsteht so die Möglichkeit, dass Neue Musik einem breiteren Publikum zugänglich wird.
Grundsätzliche Frage: Was halten Sie von der klassischen Unterteilung in E- und U-Musik?
Neue Musik auch in ländliche Regionen bringen, das ist eines Ihrer Ziele mit der Veranstaltungs-Reihe. Welche Rolle spielt das Publikum bei Noeise?
Der Musiker und die Konzerttermine
Christoph Luchsinger arbeitet seit etwa 25 Jahren als Musiklehrer im Kanton, gründete und leitete während fast 20 Jahren die Liberty Brass Band Junior und ist als freischaffender Trompeter in verschiedenen Ensembles und Orchestern sowie als Solist tätig. Während seiner Studienzeit wurde seine Neugierde nach neuen Klängen, seine Experimentierfreudigkeit und die Bereitschaft, sich auf Fremdes und Unbekanntes einzulassen und das Interesse an Aktueller Musik geweckt.
Interaktionen zwischen Bewegung und Klang stehen im Zentrum des zweiten Programms von NŒISE, welches Schaufenster lokaler Modeboutiquen zum Aufführungsort macht. Und zwar an diesen Orten:
Donnerstag, 28. April 2022, 19 Uhr Mode Sopresa
Schulstrasse 6
8570 Weinfelden
Freitag, 29. April 2022, 19 Uhr Boutique Klee
Rütistrasse 1
8580 Amriswil
Samstag, 30. April 2022, 18 Uhr Ida Gut mode – conception Ankerstrasse 112
8004 Zürich
Mittwoch, 4. Mai 2022, 19 Uhr Hilde Market
Zürcherstrasse 177
8500 Frauenfeld
Reservationen sind möglich über die Website der Veranstaltung.
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