von Maria Schorpp, 26.08.2019
Einer kehrt heim
In Mammern findet in einem Zelt die Uraufführung von David Langs Musical „RunggleBuur“ statt. Es erzählt mit einiger Ironie und viel eingängiger Musik die Geschichte eines Rübenbauern, der lieber in der grossen, weiten Welt wär.
In kleinen Orten wie Mammern stellt sich die Frage vermutlich häufiger: bleiben oder gehen? Manche gehen und bleiben dann auch für immer weg. Manche kehren heim, weil es sie zurückzieht. Oder weil die Pflicht sie ruft. Letzteres nicht die beste Voraussetzung für das seelische Wohlbefinden. Jack war mal einer, der seine Träume gelebt hat und nach Amerika ausgewandert ist. Das Schild „Route 66“ sagt alles. Der amerikanische Traum, Freiheit, du kannst alles schaffen. Jack hat nicht nur daran geglaubt, sondern war gerade dabei, es in die Tat umzusetzen. Dann kam der Anruf aus Mammern.
Nicht ohne seelischen Schaden
Chasper-Curò Mani spielt Jack bei der diesjährigen Musical-Produktion des Vereins „Mammern Classics“. Vor allem leiht er ihm seine kraftvolle Bariton-Stimme, mit der er der ganzen Frustration seiner Figur Ausdruck verleiht. David Lang, selbst Bürger von Mammern, der die Musik komponiert und die Texte geschrieben hat, kommt gleich zur Sache. Das Publikum schaut bei einer Probe rein. Das Musical, das gerade geprobt wird, heisst „RunggleBuur“. Ein Musical im Musical also. Es erzählt eigentlich genau Jacks Geschichte, und Jack spielt auch noch selbst den Rübenbauer, der er auch im wirklichen Leben ist. So viel Selbsterkenntnis hält er verständlicherweise nicht aus, ohne seelischen Schaden zu nehmen.
Chasper-Curò Mani als Jack, der den RunggleBuur spielt. Foto: Marc Faistauer
Was etwas kompliziert konstruiert anmuten könnte, ist es in David Langs Werk, das in Mammern Uraufführung hat, überhaupt nicht. Das Kostümbild von Ursula Leuenberger trennen die beiden Ebenen sinnreich und flexibel. Hier das romantisierende bis verkitschte Musikstück, das acht Laiendarsteller proben, da die Bühnenwirklichkeit mit Leggins und der durchgeknallten Mitspielerin Ilona, die Marisa Jüni mit richtig gutem Pop abliefert. Auf der Bühne in Mammern stehen zweifelsfrei Profis, die Laien spielen. David Lang verhilft den Figuren auf der Bühne mit seinen Kompositionen richtig zum Leben. Ein bisschen ironische musikalische Anspielung darf da durchaus sein: „Was isch los, Jack“ klingt ein bisschen wie Ray Charles` Song „Hit the road, Jack“. Nicht von ungefähr.
Auch anderen geht es schlecht
Jack mit Cowboyhut und -stiefeln wird also durch die Proben mit der Nase auf sein eigenes vermeintliches Elend gestossen. Musste er also zurück aus den USA, wo er kurz vor den Toren Hollywoods stand, und den Bauernhof des Vaters übernehmen. Weil er es ihm auf dem Sterbebett versprochen hat. Versprochen ist versprochen, Pflicht ist Pflicht und Schnaps … Genau. Apropos: Trudi, die ebenfalls schon mal bessere Zeiten gesehen hat, führt auffällig oft ein Glas mit offenbar Hochprozentigem an den Mund. Mezzosopranistin Aline Camenzind spielt/singt sie mit leichter Ironie und auch Komik, die die gesamte Geschichte durchziehen. Auch Jacks Selbstmitleid wird aufs Korn genommen.
Eine Probeszene: v.l. (oben) Aline Camenzind, Chasper-Curò Mani, Tina Tanner, v.l. (vorn) Edward Piccin als Regisseur Sigi, Marisa Jüni und Lucca Kleimann. Foto: Marc Faistauer
Flotte Musik über die eine oder andere Leerstelle hinweg
Lucca Kleimanns Severin ist gleichfalls solch eine komische Figur, die immer auch ein bisschen tragisch ist, ein gehemmter Lulatsch und Tollpatsch, dem letztlich die Rolle zukommt, mit der durchgeknallten Ilona am Ende ein Paar zu bilden. An einigen Stellen kann man durchaus finden, dass David Langs Geschichte etwas zu viele Schubladen aufmacht. Da hilft dann die flotte Musik über die eine oder andere Leerstelle hinweg, die von einer fünfköpfigen Band mal poppig, mal rockig und dann wieder schön leise intoniert wird. Nett ist das holländisch-schweizerische Paar Hans und Berta von Paul Erkamp und Corinne Liss, die beide in einer witzigen Szene eine kleine Doppelrolle einnehmen. Jack ist nämlich kurz vor der Premiere abgehauen, nach Zürich, wie sich herausstellt. Wirklich köstlich die Szene mit der arroganten Zürcher Bardame und den Provinzlern.
Multifunktionale Siloballen
Zeit, über das Bühnenbild von Marion Menziger zu sprechen. Im Wesentlichen besteht es aus zahlreichen Siloballen, ziemliche riesigen weissen, runden Objekten, die als multifunktionale Elemente für diverse Szenerien dienen. Sie können mal Bauernhof, mal Bar oder Backstage sein. Als Jack schliesslich seine Geschichte offenbart, warum er so schlecht drauf ist und warum er seine Mitspielenden im Stich gelassen hat, steht er auf solch einem Ballen wie auf einem Podest. Sein Gesang klingt wie eine Kantate: „Das Land“. Grund und Boden, des Bauern Leben, Symbol einer anderen Zeit. So viel traurige Ironie muss sein und steht der Inszenierung von Barbara Tacchini auch gut zu Gesicht. Die Regisseurin und Dramaturgin für Musiktheater hat grossen Anteil daran, dass das Musical am Ende doch als aus einem Guss erscheint.
So viel traurige Ironie steht der Inszenierung von Barbara Tacchini auch gut zu Gesicht.
Zwei Spielebenen: v.l. (hinten): Tina Tanner als Selma und Marisa Jüni als Ilona, v.l. (vorn) Corinne Liess und Paul Erkamp spielen Laiendarsteller. Foto: Marc Faistauer
Nicht nur Jack hat sein Comingout. Auch Mitspielerin Selma hat etwas zu gestehen. Tina Tanner spielt sie sehr lebendig und ist für einige mitreissende Songs gut. Bevor Jack merkt, dass er in seinem Heimatdorf doch nicht ganz fehl am Platz ist, muss noch etwas mit seinem Rivalen, Regisseur Sigi, geklärt werden, den er im Verdacht hat, dass er ihm das alles eingebrockt hat. Edward Piccin gibt das zweite Alphamännchen neben Jack, als Mitglied eines in doppeltem Sinn sehr stimmigen Ensembles.
Das Premierenpublikum in Mammern spendete Standing Ovations. Da war sicher ein bisschen Lokalpatriotismus mit dabei.
Von Maria Schorpp
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