von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 20.09.2019
Eine Frage der Ehre
Sind die Entscheidungen in der Thurgauer Kulturförderung nachvollziehbar? Der Komponist und Initiator der Mammern Classics, David Lang, findet: Nein. Eine Geschichte über Geld, Gerechtigkeit und verletzten Stolz.
Eigentlich könnte sich David Lang gerade entspannt zurücklehnen. Die zweite Auflage seiner „Mammern Classics“ ist kürzlich zu Ende gegangen, bis zu 3000 Zuschauer haben das Musical „Runggle Buur“ aus seiner Feder gesehen, die meisten Kritiken waren sehr freundlich. Und trotzdem beschäftigt den Musiker und Komponisten noch immer eine Geschichte, die sich weit vor der Premiere seines neuen Musicals zutrug. In dieser Geschichte geht es um Geld, Gerechtigkeit und die Frage, nach welchen Kriterien die Mittel in der Thurgauer Kulturförderung eigentlich vergeben werden.
Sie beginnt so: Im Frühjahr 2019 beantragt David Lang über den Verein Mammern Classics beim kantonalen Kulturamt 40’000 Franken Unterstützung aus dem Lotteriefonds für seine Produktion. Am 14. Mai 2019 bekommt er einen zweiseitigen Brief als Antwort. In dem von Regierungsrätin Monika Knill unterzeichneten Schreiben wird den Veranstaltern mitgeteilt, dass sie statt der beantragten 40’000 lediglich 20’000 Franken bekommen. Die Begründung dafür: „Auch wenn der hohe Eigenfinanzierungsgrad davon zeugt, dass die Produktion eine entsprechende Breitenwirkung aufweist, stehen Aufwand (Gesamtkosten von 507’000 Franken) und Ertrag bei diesem Vorhaben in ungünstigem Verhältnis. Die Geschichte und die Musik überzeugen qualitativ nicht in allen Teilen. Ein reduzierter Beitrag aus dem Lotteriefonds ist deshalb angezeigt“, heisst es in dem Brief, der thurgaukultur.ch vorliegt.
Das Kulturamt hält die Produktion für nur mässig überzeugend
David Lang ist irritiert von der Antwort: „Ich habe das nicht verstanden, weil wir in Mammern genau das machen, was in Kulturbotschaften immer gefordert wird: Wir entwickeln ein eigenes Stück, inszenieren also etwas Innovatives, wir spielen an einem ungewöhnlichen Ort (ein Zirkuszelt, d. Red.) und bringen Profis und Laien zusammen.“ Und tatsächlich: Wer die Inszenierung „Runggle Buur“ gesehen hat, kann qualitativ keinen grossen Unterschied zu anderen Sommertheatern in der Region erkennen: Das Mammern Classics bietet solide Unterhaltung im Musicalformat mit einem guten Ensemble, eingängiger Musik und einer weitgehend in sich stimmigen Inszenierung. Der Musiker will auch deshalb die Reduzierung der Gelder nicht auf sich sitzen lassen und stellt ein Wiedererwägungsgesuch beim Departement für Erziehung und Kultur (DEK). Erneut ohne Erfolg. Die Unterlagen seien „nochmals angehend geprüft“ worden, schreibt das DEK am 1. Juli 2019. Und: „Leider kommen wir zu keinem anderen Schluss und halten an unserem Entscheid fest.“
Das ist dann der Punkt ab dem es dann nicht mehr so sehr um 20’000 Franken mehr oder weniger geht, sondern um verletzten Stolz, gefühlte Ungerechtigkeit und den Wunsch, darüber eine öffentliche Debatte zu führen. Am 10. Juli schreibt David Lang eine lange E-Mail an thurgaukultur.ch in der er die Erlebnisse aus seiner Sicht schildert. Unter dem Strich fühlt er sich vom Kulturamt blockiert und nicht unterstützt. Man merkt ihm auch an, dass er persönlich getroffen ist vom Entscheid des Kulturamts: „Wir konnten für das Stück eine erfahrene Regisseurin gewinnen, die von der Tiefe und vom Sinn des Stücks überzeugt ist. Handwerklich dürfte es einwandfrei sein. Einfach, aber stimmig, was auch meine Absicht ist. Für meine Qualität als Komponist sprechen drei Kompositionspreise, die anonym vergeben wurden. Das Urteil der Fachreferenten ist für mich als Künstler vernichtend und beschämend“, schreibt er. Bei einem Treffen ein paar Tage später, bittet er darum eine mögliche Berichterstattung auf nach die Premiere des Musicals zu verlegen, damit er sich voll auf die Produktion konzentrieren könne.
„Bei Projekten dieser Grössenordnung sollte es nicht auf persönliche Meinungen ankommen.“
David Lang, Musiker und Komponist
Inzwischen sind alle Aufführungen des „Runggle Buur“ über die Bühne gegangen und nach dem überwiegend positiven Rückmeldungen, die er erhalten habe, könne er die Reduzierung des Förderbeitrags durch das Kulturamt noch weniger verstehen, sagt Lang in einem Gespräch am 2. September. „Ich kann akzeptieren, wenn jemand mit meiner Kunst nichts anfangen kann, ich kann aber nicht hinnehmen, wenn das ganze Projekt hier auf der Basis von subjektiven Eindrücken Einzelner benachteiligt wird. Bei Projekten dieser Grössenordnung sollte es nicht auf persönliche Meinungen ankommen“, findet David Lang. Schliesslich gebe es ja auch genügend Leute, die seine Arbeit gut fänden. Und weshalb diese Meinungen weniger wert sein sollen als die der Fachreferenten des Kulturamts erschliesse sich ihm nicht. Auf die Frage, wie Geldgeber wie das Kulturamt denn sonst solche Entscheidungen treffen sollte, hat er aber auch keine Antwort: „Ich wäre aber bereit, mir Gedanken über ein für Künstler faireres Verfahren zu machen“, so der Komponist.
Warum bekommen manche Künstler einen Förderbeitrag zweimal, andere nie?
Tatsächlich sind das ja spannende Fragen: Kann Kulturförderung je gerecht sein? Oder liegt nicht vielmehr im gesamten System inne, dass es immer Unzufriedene geben wird? Bezogen auf den Thurgau könnte man auch fragen: Warum bekommen manche Künstlerinnen und Künstler den Förderbeitrag des Kantons zwei- oder dreimal, andere hingegen nie? Wäre es nicht klüger, hier mehr Vielfalt zuzulassen?
Wer Antworten auf derlei Fragen will, der landet früher oder später bei Monika Schmon. Sie betreut für das kantonale Kulturamt die Vergabe der Förderbeiträge. „Wir gehen dabei immer gleich vor. In der Regel bekommen wir zwischen 40 und 50 Bewerbungen, daraus können wir maximal sechs Bewerberinnen und Bewerber auswählen“, erklärt Schmon. Die eingereichten Dossiers werden dann von Spartenjurys beurteilt: „Zwei interne und zwei externe Expertinnen und Experten beurteilen das Gesuch. Die Spartenjury einigt sich auf zwei bis drei Vorschläge, die später in der Sitzung der Endjury vorgestellt werden. „Wir achten dabei sehr auf Fairness, niemand soll abgestempelt werden“, sagt Monika Schmon. Es gebe gewisse Mechanismen im Verfahren, die verhindern sollen, dass sich Routinen einstellen und beispielsweise ein Experte immer wieder ein Gesuch vom gleichen Künstler oder Künstlerin beurteilt. „Wer beispielsweise neu ist im Gremium, darf zuerst seine Haltung zum Gesuch erläutern“, erklärt die Mitarbeiterin des Kulturamts.
„Wir haben das Gesuch wie jedes andere sorgfältig geprüft.“
Martha Monstein, Leiterin des Kulturamt Thurgau
Zu Schmons Aufgaben bei der Vergabe der Förderbeiträge gehört es auch zu vermitteln zwischen der Politik, die eine gewisse Weite abgedeckt sehen will im Feld der Ausgezeichneten und der Jury, die sehr auf Dringlichkeit des Vorhabens und den Leistungsnachweis der Bewerber schaut. Das könne dann auch dazu führen, dass manche BewerberInnen den Beitrag mehrfach bekommen, andere (noch) nicht. Im Reglement der Förderbeiträge sei allerdings festgeschrieben, dass Bewerberinnen und Bewerber den Beitrag maximal dreimal in ihrem Leben bekommen können. Letztlich entschieden aber in erster Linie Inhalt und Anspruch eines Vorhabens über die jeweilige Förderung. „Viele BewerberInnen müssen sich mehrmals bewerben, bis es mit einem Förderbeitrag klappt. Einfach schon alleine darum, weil pro Jahr nur wenige Beiträge vergeben werden können“, erklärt Monika Schmon.
Martha Monstein, Leiterin des Kulturamt Thurgau und von Amts wegen auch Verwaltungsrätin bei der Thurgau Kultur AG, die thurgaukultur.ch betreibt, weiss um die Schwierigkeiten der Kulturförderung und dass jede Entscheidung auch Enttäuschungen bedeuten kann. Im konkreten Fall von David Lang weist sie darauf hin, dass der Kanton einen Beitrag aus dem Lotteriefonds gesprochen habe: „Wir haben das Gesuch wie jedes andere sorgfältig geprüft, Stellungnahmen unserer Fachexpertinnen und Fachexperten eingeholt und es wurde ein Beitrag von 20'000 gesprochen.“
Das Kulturamt vermittelt auch zwischen Politik und Jury
Grundsätzlich werde sehr sorgfältig geprüft. Wer am Ende den Daumen hebt oder senkt, hängt auch von der Höhe des bewilligten Gesuchs ab (siehe Infokasten am Ende des Textes). Bis 20’000 Franken ist das Departement für Erziehung und Kultur (DEK) zuständig. Deshalb hat das DEK auch im Fall von David Lang den Entscheid gefällt. Das Urteil basiere sowohl auf der Expertise von Fachreferentinnen und Fachreferenten des Kulturamts als auch auf der Bedeutung eines Anlasses für den Kanton, erklärt Monstein. Die Namen der Fachreferentinnen und Fachreferenten sind auf der Internetseite des Amtes nachzulesen. Damit nicht immer dieselben Expertinnen und Experten die Gesuche beurteilten, habe es in letzter Zeit einigen Wechsel gegeben, betont Martha Monstein. Einige dieser Fachreferentinnen und Fachreferenten sitzen übrigens auch in der Jury der persönlichen Förderbeiträge des Kantons.
Zwei Experten, eine Musikwissenschaftlerin und ein Theaterschaffender, hatten David Langs Antrag geprüft und nicht für so gut befunden, dass er 40’000 Franken wert wäre. Der Komponist Lang ist überzeugt, dass diese Entscheidung nicht aus objektiven Gründen erfolgte, sondern vor allem deshalb, „weil meine Art der Musik nicht den persönlichen Geschmack der Fachreferenten getroffen hat“. Anders kann er sich die Ablehnung nicht erklären. Kann hier einer mit Kritik nicht umgehen oder steckt mehr dahinter? Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Die Verletzungen liegen tief bei David Lang. Sein Argwohn gegenüber der kantonalen Kulturförderung wurzelt in der Vergangenheit. Schon sein erstes Projekt in Mammern, das Musical „Seegfrörni“ sei vom damaligen Kulturamtsleiter René Munz skeptisch betrachtet worden, sagt Lang.
Neunmal hat David Lang sich um einen Förderbeitrag beworben, neunmal wurde er abgelehnt
Ein weiterer Grund für seine Sensibilität ist auch, dass ganze neun Bewerbungen von ihm um einen der Kulturförderbeiträge des Kantons erfolglos blieben. „Vielleicht ist das, was ich mache zu langweilig, zu wenig progressiv. Es gibt immer Argumente gegen eine Kunst und immer eine Möglichkeit, Kunst zu zerpflücken. Vielleicht fehlt mir einfach eine Lobby im Kanton?“, mutmasst Lang.
Wer so oft abgelehnt wurde, der liest Briefe vom Kanton dann irgendwann auch sehr genau. „Die Aussage im Bescheid, dass unser Musical eine Breitenwirkung entfalten werde, finde ich bemerkenswert. Vor allem im Kontext früherer Aussagen, dass die Qualität nicht in allen Teilen genüge. Die dieser Aussage zugrunde liegende Überheblichkeit finde ich starken Tobak. Im Sinne von: Für Eure Leute da draussen reicht das ja. Oder aber: Die kommen ja eh, ob’s gut ist oder schlecht“, sagt der Initiator der Mammern Classics.
Auch die Bedeutung des Projektes für die Region ist relevant
Zu diesem Vorwurf von David Lang sagt Kulturamtsleiterin Martha Monstein: „Wir beurteilen die Projekte nach ihrer künstlerischen Qualität, aber die Bedeutung eines Projektes für den Kanton und die jeweilige Region spielt bei der Beurteilung natürlich ebenfalls eine Rolle.“ Zudem: Dass andere Bühnen wie das See-Burgtheater Kreuzlingen (200’000 Franken pro Jahr) oder die Schlossfestspiele Hagenwil (40’000 Franken pro Jahr) mehr Geld bekommen als das Mammern Classics liege daran, dass beide Bühnen ihre Qualität und ihr Potenzial schon über Jahre bewiesen hätten. Deshalb habe der Kanton mit beiden Veranstaltern auch eine Leistungsvereinbarung über vier Jahre geschlossen.
Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, eine solche Leistungsvereinbarung mit dem Kanton zu schliessen: „Dafür muss sich aber eine Organisation über einen längeren Zeitraum bewähren, kontinuierlich hochstehende, breit abgestützte Projekte oder Programme realisieren“, erklärt Martha Monstein. Bei den Schlossfestspielen Hagenwil habe man sich beispielsweise nach 10 Jahren dazu entschlossen, eine solche Vereinbarung einzugehen.
Immerhin: Man will miteinander reden
Worte, die den Komponisten aus Mammern kaum trösten dürften. „Was wir hier machen ist kein ländliches Volkstheater, wir haben einen hohen Anspruch. Wir bringen Kultur aufs Land und Leute ins Zirkuszelt, die sonst kein Theater besuchen würden. Dass das dem Kanton nicht mehr Geld wert ist, verstehe ich einfach nacht“, sagt David Lang enttäuscht.
Immerhin: Beide Seiten sind zu einem Gespräch miteinander bereit. Vielleicht wäre es eine gute Idee, dies zeitnah zu führen.
Wer entscheidet über die Gesuche?
Das Kulturamt Thurgau verwaltet grundsätzlich die Mittel aus dem Lotteriefonds. Die Entscheidungen über die einzelnen Gesuche werden je nach Höhe der bewilligten Summe auf verschiedenen Ebenen getroffen:
Bis 10’000 Franken entscheidet das Kulturamt Thurgau gestützt auf die Beratung durch Fachreferentinnen und Fachreferenten
Bis 20’000 Franken entscheidet das Departement für Erziehung und Kultur (DEK) gestützt auf die Beratung durch Fachreferentinnen und Fachreferenten
Ab 20’000 Franken und bis einmalig 3 Millionen Franken (oder wiederkehrend 1 Million Franken) entscheidet der Regierungsrat
Ab 200’000 Franken ist hierzu auch eine Stellungnahme der kantonalen Kulturkommission einzuholen
Alles was darüber hinaus geht, obliegt zur Entscheidung dem Kantonspalament.
Weiterlesen: Hintergründe zur Förderung über den Lotteriefonds gibt es in diesem Text von Sascha Erni: «So funktioniert der Lotteriefonds»
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