von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 06.04.2020
Unser Sommer ohne Festivals
Es wird Zeit, sich darauf einzustellen, dass dieser Sommer so ganz anders werden wird als alle Sommer, die wir bisher erlebt haben. Das ist hart. Aber kein Grund, komplett den Mut zu verlieren.
Ein schlauer Mensch hat mir mal gesagt: Je eher Du Dich auf eine unangenehme Situation vorbereiten kannst, umso besser kannst Du Dich damit arrangieren. In diesem Sinne falle ich jetzt gleich mal mit der Tür ins Haus: In diesem Sommer wird es in und um den Thurgau mutmasslich keine Grossveranstaltungen, Festivals, Stadtfeste und all die anderen schönen Dinge geben, die uns den Sommer sonst oft so versüssen.
Das Open Air Frauenfeld, die Summer Days Arbon, das Out in the Green Garden Festival Frauenfeld - all das wird es im Sommer 2020 wohl nicht geben. Die Veranstalter haben das inzwischen auch offiziell erklärt. Wenn man so hört, was die Virologen und Epidemiologen dazu sagen, dann konnte man sich ohnehin kaum vorstellen, dass dieser Sommer noch irgendeine grössere Menschenansammlung sehen würde.
„Konzerte dieses Jahr? Vergesst es!“
Die Videobloggerin und Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim hat das in einer Folge ihres grossartigen maiLab auf diese ernüchternde Formel gebracht: „Konzerte, gefüllte Fussballstadien, dicht gepackte Rhein-Strände, Konferenzen. Dieses Jahr? Vergesst es! Das wäre einfach zu riskant.“ Auch andere ExpertInnen äussern sich ganz ähnlich.
Ich weiss, das ist hart. Gerade weil die Versprechungen des Sommers oft ein Ventil für die Dinge sind, die im sonstigen Jahr nicht so gut laufen. Aber so hart es ist, da müssen wir jetzt durch. Ich würde auch lieber den Sommer zur Musik meiner Lieblingsbands durchtanzen. Aber vor die Wahl gestellt, ob ich mit ein bisschen mehr hedonistischer Zurückhaltung Leben retten und Pflegepersonal und ÄrztInnen vor unmenschlichen Entscheidungen über Leben und Tod bewahren kann, weiss ich, was ich wähle. Und hey, letztlich ist es ein Sommer. Das schaffen wir.
2021 wird sich alles frisch, neu und unglaublich anfühlen
Und stellt Euch mal vor, wie grossartig das Gefühl sein wird, wenn wir im Sommer 2021 das erste Mal wieder ein Festivalgelände betreten werden. Dieser alte Kitzel, den wir damals beim ersten Mal gespürt haben, wird wieder da sein. Alles wird gefühlt in Zeitlupe ablaufen. So wie in diesen Festival-Reviews-Clips, wenn man zeigen will, wie besonders die Momente waren. Dieses Mal wird es dann nur dann in echt sein. Kein Rückblick. Sondern der Augenblick. Weil wir alles so intensiv erleben. Wir werden staunen. Wir werden lachen. Wir werden tanzen. Als ob es das erste Mal wäre. Mit offenen Augen über das Gelände laufen. Dinge sehen, die wir lange übersehen haben. Es wird sich alles frisch, neu und schier unglaublich anfühlen.
In der Zwischenzeit können wir uns überlegen, wie wir diesen Sommer anständig ertragen. Wenn wir Glück haben, könnten kleinere Veranstaltungen irgendwann wieder zugelassen werden. Ob die üblichen Sommertheater in unserer Region stattfinden können? Kaum vorstellbar. Und wenn, dann nur unter gänzlich anderen Bedingungen als bislang. Weniger Zuschauer dürften zugelassen werden, und die müssten weiter voneinander weg sitzen. Ob das für See-Burgtheater, Schlossfestspiele Hagenwil und andere Open-Air-Bühnen dann noch ökonomisch sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.
Sommertheater 2020? Derzeit kaum vorstellbar
Vielleicht dürfen wir darauf hoffen, dass Festival-Kleinformate möglich sein werden. Wie das gehen könnte, hat das Frauenfelder Out in The Green Garden Festival in corona-freien Zeiten vor drei Jahren bewiesen: Kleine lauschige Gartenfestivals mit maximal 50 ZuhörerInnen. Die Gärten müssten dann nur grösser sein, damit Abstandsregeln eingehalten werden können. Es ist eine Idee, vielleicht fallen uns im Laufe der Wochen noch mehr ein. Auch jenseits der digitalen Streaming-Bühnen.
Ganz egal, wie es am Ende sein wird: Wir werden weiter für Euch da sein. Unsere digitalen Reihen #deinebühne und #dasliterarischesolo laufen so lange es nötig ist. Wir wissen, dass das kein Ersatz für das Liveerlebnis vor Ort ist, aber es ist ein Weg, Kultur sichtbar zu halten. Und Künstlerinnen und Künstler aus unserer Region wenigstens etwas zu unterstützen.
Wir dürfen jetzt nicht nachlassen
Halten wir also gemeinsam durch. Stellt Euch vor, das ist jetzt wie eine lange Liegestützübung. Arme gestreckt, Körper in Spannung, Fussspitzen auf dem Boden. Diese Brücken-Position müssen wir jetzt halten. Nicht nachlassen. Nicht nach unten sinken. Bleibt tapfer.
Und wenn ihr das Gefühl habt, ihr werdet schwach. Ihr könnt nicht mehr. Das ist okay. Lasst es für einen Moment zu. Sammelt Euch. Und dann denkt an den Sommer 2021. Welche Sinnesexplosion das sein wird nach dem Festival-Lockdown. Wir werden staunen. Wir werden lachen. Wir werden tanzen. Als ob es das erste Mal wäre.
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