von Brigitte Elsner-Heller, 19.07.2021
Ein Füdlibürger quittiert den Dienst
„Die Schweizermacher“, das Musical nach dem Erfolgsfilm der Siebzigerjahre, trifft in der Regie von Leopold Huber den richtigen Ton, um das ordnungsgemässe Schweiz-Sein heiter zu hinterfragen. Das ist See-Burgtheater von seiner besten Seite.
Es versteht sich von selbst, den Pianisten nach dem Konzert nicht dafür zu loben, dass er jeweils die richtige Taste angeschlagen hat. Und Schauspielerinnen wie Schauspieler dürfen zurecht darüber ungehalten sein, wenn ihnen bescheinigt wird, dass sie den Text beherrschten (auch wenn allein dies durchaus Anlass zu Bewunderung sein kann). Brechen wir hier einmal mit Konventionen und erwähnen zu Beginn, dass Open Air zwar mit schönen Sommerabenden assoziiert wird, die diesjährige See-Burgtheater-Saison aber zunächst mit Regen umzugehen hatte. Umso erfreulicher, dass es punktgenau zur Premiere der „Schweizermacher“ aufhörte zu regnen. Mit welcher Spielfreude sich das Ensemble dann im Kreuzlinger Seeburgpark in den kühlen Sommerabend stürzte, muss besondere Erwähnung erfahren. Hut ab!
Gehobenes Volkstheater
See-Burgtheater – das hat immer auch etwas von fahrendem Volk, vom Thespis-Karren. Die Stimmung tendiert in der Regel ins Heitere, wobei die Inszenierungen stets subversiv unterwandert sind. Gehobenes Volkstheater also. Auch und selbst dann, wenn es, wie dieses Mal, ums Dasein als Schweizerin oder Schweizer geht, um die Seele des Alpenvolkes und konkret um das korrekte Einbürgerungsverfahren für Ausländer. „Die Schweizermacher“, das Musical nach dem Erfolgsfilm der Siebzigerjahre, hat nichts von seiner Aktualität verloren, nichts von seiner Verve. Dass Schweizerdeutsch das Idiom der Wahl ist – Ehrensache. Wobei auch dies konterkariert wird durch die unterschiedlich „erfolgreichen“ Versuche der Einbürgerungswilligen, im entsprechenden Sprachkurs zu punkten.
Kein Heidiland
Am Ufer des immerhin von drei Ländern eingefassten Bodensees wird die Schweiz selbst zu einer Art Setzkasten, so kleinteilig wie heterogen und dabei bemüht, allem seine (helvetische?) Ordnung zu geben. Für den Ordnungsgedanken steht schon das graue Wohnhaus, das in seiner Betonoptik allzu bekannt erscheint (Bühne: Damian Hitz). Keine Idylle auf dieser Drehbühne, kein Heidiland. Dafür Raum und Gelegenheit, das Domizil und seine Bewohnenden von allen Seiten zur Schau zu stellen. Ohne die Leistung der singenden und tanzenden Schauspielerinnen und Schauspieler schmälern zu wollen: Bereits die Ausstattung mit eindeutigen Bezügen zu den beinahe noch wilden Siebzigerjahren macht Spass (Kostüme: Joachim Steiner). Bis hin zu den fünf Musikern der Live-Band, die scheinbar aus voller Überzeugung Hippie-Stirnbänder tragen, während sie Songs unterschiedlicher Ernsthaftigkeit und Emotionalität zum Besten geben (Musikalische Leitung: Philippe Frey).
Füdlibürger vom Dienst
Zum klanglichen Intro müssen es dann aber doch noch eben ein paar Kuhglocken sein, bevor der Einbürgerungsbeamte Max Bodmer (Christoph Wettstein) seinen neuen Mitarbeiter Moritz Fischer (Adrian Burri) in seinen Job einweist. Es gehe bei der Einbürgerung um Assimilation, damit der Ausländer nicht mehr auffällt. Dabei sei freilich Vorsicht geboten: „Wenn einer mal eingebürgert ist, wird man ihn nicht mehr los.“ Im jungen Moritz Fischer aus dem Füdlibürger-Kaff, auf den seine Eltern so stolz sind, wohnen jedoch zwei Seelen. Denn nach dem ersten Besuch bei Familie Grimolli, deren Vater als Italiener noch nicht eingebürgert ist (Giuseppe Spina), regt sich bereits Widerspruch. Warum darf Grimolli nicht in der Gewerkschaft aktiv sein? Warum darf er nicht italienisch reden, wo Italienisch doch eine der offiziellen Landessprachen ist? „Jetzt bin ich der Füdlibürger vom Dienst“, muss sich Moritz Fischer eingestehen. Doch das Stück hat ja zum Glück noch mehr mit ihm vor.
„Jetzt bin ich der Füdlibürger vom Dienst.“
Moritz Fischer (Adrian Burri), neuer Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörde
Das weitere Personal
Im „Setzkasten“ lernen wir also im Erdgeschoss die temperamentvollen Grimollis kennen (Maria Rebecca Sautter neben Giuseppe Spina), wobei sich der Familienvater in Anerkennung der helvetischen Geschichte für seine politischen Aktionen als Tell verkleidet. Ebenfalls bodennah lebt die Tänzerin Milena Vakulic (Marissa Jüni), die zwar die Schweizer Mundart perfekt beherrscht, weil sie hier aufgewachsen ist, aber immer noch keinen Schweizer Pass hat. Sozial und räumlich eine Stufe höher das deutsche Ehepaar Starke (Johanna Köster und Rüdiger Hauffe), für die das Wort „bünzlig“ hätte erfunden werden müssen, wenn es nicht schon existierte. Eine Arztpraxis in der Schweiz, das bedeutet für sie einfach nur: Geld. Dafür bügelt man (will sagen: Frau) schon mal gern die Schweizer Fahne. Unerlässlich auch die Einladung Max Bodmers zum Fondue, nachdem dieser in der psychiatrischen Klinik versehentlich als Klient fixiert worden war. Anlass natürlich zu einiger Heiterkeit, wobei sich auch über das Bild eines Rorschach-Tests an der Wand des Arztzimmers gut schmunzeln lässt.
„Beim Bügeln der Fahne fühle ich mich immer so helvetisch!“
Gertrud Starke (Johanna Köster), einbürgerungswillige Deutsche
Liebe passt immer gut
Endlich auch die Liebesgeschichte, die das Musical auf die „gute“ Seite zieht, die weiteren Raum für Musik, Tanz und Gefühle öffnet. Dass der „Füdlibürger vom Dienst“ Moritz Fischer sich auf den ersten Blick in die Tänzerin Milena Vakulic verliebt, sei ihm herzlich gegönnt, auch sein letztlicher Erfolg nach einigen schüchternen Versuchen und Missverständnissen. Über das Thema von Milenas Tanztruppe sind schöne und abwechslungsreiche Choreografien in der Handlung gut verankert (Choreografie: Robina Steyer). Und was wäre das „Gute“ ohne diese kompositorisch gegenübergestellten Alltagsekel wie den Einbürgerungsbeamten Max Bodmer oder die spitzelnde Nachbarin (Franca Basoli). Hier hat alles seinen Platz.
Und die Moral von der Geschichte
Erstaunlich auch, wie viel (schweizerdeutscher) Text im Musical noch zum Tragen kommt, wie viel Spitzen da präsentiert werden, die durchaus politisch relevant sind und doch quasi schmerzfrei appliziert werden. Sehr erbaulich etwa der Sprachkurs in Schweizerdeutsch, bei dem gelacht, aber auch mit gelitten werden darf (zumindest von denjenigen, die des Schweizerdeutschen auch nicht wirklich mächtig sind). Und da es sich um ein Musical handelt, wechseln sich Figurenkonstellationen und Orte ab, sodass Bodmer und Fischer zwar die treibenden Kräfte bleiben, aber keineswegs immer im Zentrum stehen. Hier wird allem und allen ein Stückchen vom Stück eingeräumt. Der Setzkasten Schweiz – ein schöner Gedanke, der nicht nur altmodisch Heimat-tümelnd ausfallen muss. Vergnügen, bei dem durchgängig der richtige Ton getroffen wurde. Tip top, wie es hoffentlich korrekt zu formulieren ist.
Musical "Die Schweizermacher"
Weitere Aufführungen bis 11. August auf der Seebühne im Seeburgpark Kreuzlingen. Alle Termine bei uns in der Agenda. Infos zum Ticketverkauf: www.see-burgtheater.ch
Weitere Beiträge von Brigitte Elsner-Heller
- Mit einer gewissen Bestürzung (31.10.2022)
- Liebe und Hass: Die Welt der Ambivalenzen (14.09.2022)
- Offene Rechnungen (15.08.2022)
- «Wir mögen gut erzählte Geschichten.» (02.08.2022)
- Sex in Zeiten des Krieges (18.07.2022)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Bühne
Kommt vor in diesen Interessen
- Kritik
- Schauspiel
- Musiktheater
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Herr Fässler besiegt die Angst
Therapeutin trifft auf Zyniker: In der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld ist mit „Herr Fässler und die Stürme der Liebe“ zu erleben, wie sich eine Puppe von ihrer Puppenspielerin emanzipiert. mehr
Problemfamilie mit Wiedererkennungswert
Die Eigenproduktion „Familienidylle“ des theagovia theater zeigt eine Familie im Ausnahmezustand, der vielleicht gar nicht so ungewöhnlich ist. mehr
«Ich will auch nicht immer in den Abgrund schauen.»
Die Schauspielerin und Produzentin Susanne Odermatt hat sich in den vergangenen Jahren als Spezialistin für Dramen einen Namen gemacht. Jetzt bringt sie eine Komödie auf die Bühne. mehr