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von János Stefan Buchwardt, 27.02.2022

Ein Buch entsteht

Ein Buch entsteht
Im Frauenfelder Saatgut-Verlag wird die Aufarbeitung einer Brückensanierung zur Hymne an das Ingenieurswesen und die Fotografie an sich. Gleichzeitig wird die Thurvorlandbrücke bei Eschikofen als kulturhistorisches Identifikationsobjekt auf kantonalem Boden ins Bewusstsein gerückt. | © János Stefan Buchwardt

«Wiederauferstehung in Rot» will mehr sein als eine trockene Baudokumentation. Anhand der neusten Publikation aus dem Frauenfelder Saatgut-Verlag lässt sich exemplarisch nachvollziehen, über welche Wege ein Buch entstehen kann. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Die älteste Baute im kantonalen Strassennetz – das macht grundsätzlich neugierig. Nimmt man die neueste Erscheinung aus dem im Sommer 2019 gegründeten Saatgut-Verlag zur Hand, hat man die Geschichte des in Teilen 185-jährigen Thurbrückenensembles zwischen Eschikofen und Wigoltingen vor Augen.

Von 1837 bis Mitte des 20. Jahrhunderts lag hier die wichtigste Verkehrsachse im Thurgau. Bis 1954 floss der gesamte Ost-West-Verkehr über die Holz- und Stahlbrücke, bis sie durch die neue Betonbrücke, die erste grosse Spannbetonbrücke der Schweiz, etwas weiter westlich abgelöst wurde. Ein wiederzuentdeckender heimischer Schatz also, dem besonderes Augenmerk gebührt?

Von öffentlichem Interesse

Als wohlgemerkt nur der stählerne Teil, also nicht die alte, 2007 renovierte Holzbrücke direkt über der Thur, ziemlich baufällig war, ging man von Amtes wegen ans Werk. «Im Jahr 2016 haben wir das Projekt ‹Vorlandbrücke› mit dem Entscheid, die Originalstruktur zu erhalten, initialisieren können», erläutert Mario Töngi, Brückeningenieur des Tiefbauamtes.

2021 erfolgte die eigentliche Renovation. Längst war geplant, eine interne Dokumentation zu erstellen. Mit ins Boot geholt wurde der Grafiker Urs Stuber. Als Peter Erni, Kunstdenkmälerautor im Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau, mit der Aufarbeitung der Historie beauftragt wurde und immer mehr Wissen zutage förderte, wurden neue Pläne geschmiedet. Eine breitere Öffentlichkeit sollte für die Sache gewonnen werden.

 

Vorlandbrücke und Holzbrücke liegen quer und eingebettet zugleich im Thurtal unweit von Eschikofen. Die Nennung des Übernamens «Tüüfelschanze» konnte sich im Titel zur Publikation nicht durchsetzen, da die Namensgebung historisch nicht belegbar ist. | Bilder: János Stefan Buchwardt

Zu beiderseitigem Nutzen

Für Stuber war es ein kleiner Schritt, nun «Saatgut» aus dem Hut zu zaubern. Als Hausgrafiker und Mitbegründer des Verlags erkannten er und die Verlagsleiterin Miriam Waldvogel die Relevanz und Chance für ihr Programm. Das Renommee des jungen Hauses und die Strahlkraft der Historie um eine ausgefallene Brückensanierung fanden zusammen und führten zur klassischen Win-win-Situation.

So also wurde die Vorgabe des Tiefbauamtes, ein einzigartiges Thurgauer Objekt der Stahlbaukunst um 1900 facettenreich einzufangen, zum, lapidar formuliert, gefundenen Fressen für beide Parteien. Waldvogel gibt zu bedenken: «Wir müssen sorgfältig abwägen, inwiefern wir neben unseren Eigenproduktionen Bücher verlegen, die quasi fix und fertig an uns herangetragen werden. Die Qualität muss dabei stimmen.»

«Natürlich erweitert diese fünfte Publikation den Saatgut-Themenfächer um einen spannenden zusätzlichen Bereich», führt Stuber seinerseits aus. Gerade am Anfang sei die Unterschiedlichkeit der Produkte zentral, um erst einmal exemplarisch ein Verlagsprogramm auszubreiten. In der Tat trägt «Saatgut» in diesem Fall dazu bei, einer scheinbaren Marginalie aus dem Bau- und Verkehrswesen tiefere Implikationen für die Landstriche vor der eigenen Haustür abzugewinnen.

 

«Genau das Regionale ist unsere Chance», hält die vor mehr als zehn Jahren aus Schaffhausen zugezogene «Saatgut»-Verlagsleiterin Miriam Waldvogel (oben, beim Frauenfelder Sämannsbrunnen) fest. Unten: Viril wird die an der Brückensanierung beteiligte Arbeiterschaft sowohl vor Ort als auch in der Publikation selbst fotografisch in Szene gesetzt. | Bilder: János Stefan Buchwardt

Fortlaufende Substanzgewinnung

Nimmt man das Buch mit dem langen Gesamttitel «Wiederauferstehung in Rot. Intrigen, Hochwasser und der Zahn der Zeit – Geschichte und Erneuerung der Thurvorlandbrücke bei Eschikofen» in Augenschein, fällt der hart beschnittene Umschlag auf. Die Buchdeckel ohne Überstand widerspiegeln die Massivität des stählernen Brückenobjekts, die Farbgebung der Deckelelemente korrespondiert mit der aktuellen und ursprünglichen roten Einfärbung der Brücke.

Das kantonale Tiefbauamt bekleidet die Herausgeberschaft. Töngi hatte die Themen aus dem technischen Bereich angestossen. Karin Enzler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Departement für Bau und Umwelt, aktivierte die Bearbeitung aufschlussreicher geschichtlicher Details. «Gerade auch mit ihr zusammen, die projektweisend und redaktionell am Buchkonzept beteiligt war», so Stuber, «haben wir viele entscheidende Kurven nehmen können.»

Intrigen beim Brückenbau

Die fortlaufende inhaltliche Substanzgewinnung hatte dazu beigetragen, aus vorgesehenen 80 Seiten 120 werden zu lassen. Der perspektivenreiche Textteil hebt allerlei Wissenswertes heraus: technische Herausforderungen bezüglich der Instandsetzung der Vorlandbrücke, spezifische Themen wie Farbanstriche oder Überflutungen, Zusammenhänge beim Restaurieren korrodierter Eisenteile, aber auch eine detaillierte Aufarbeitung der krimiähnlichen Entstehungsgeschichte um die alte Holzbrücke.

Zur stichhaltigen Ausformulierung nämlich kommt in Ernis Auftakttext das Intrigenhafte und Eigenmächtige rund um den eigentlichen Erschaffer der Thurbrücke und damaligen Regierungsrat Johann Conrad Freyenmuth. Der erfahrene, im Alter schwermütig gewordene Strassenbauprojektleiter, scheute sich – wie viele andere vom Brückenbau und Strassenverlauf Betroffene – nicht, seine Partikularinteressen und Überzeugungen selbst mit unlauteren Mitteln durchzusetzen.

 

Mario Töngi, Brückeningenieur vom kantonalen Tiefbauamt und Gesamtprojektleiter bei der Instandsetzung der Eschikofer Brücke: «Wir haben sehr früh gemerkt, dass es durchaus interessant wäre, der Öffentlichkeit die Erkenntnisse aus dem Sanierungsprojekt zur Thurvorlandbrücke zugänglich zu machen.» | Bilder: János Stefan Buchwardt

Erstaunlich und überzeugend

Obwohl kein eigentlicher Bildband, der Charme der «Wiederauferstehung in Rot» besteht auch in der besonderen Gewichtung der Bebilderung. Dass sich hier eine Beamtin über ihren Sinn für Bilder und einen Draht zur Fotografie auszeichnet, ist nicht selbstverständlich. So spielte wiederum Enzler die entscheidende Rolle bei der Bestimmung der beiden hauptsächlichen Fotografen. Als da wären: Christoph Kaminski und Jürg Zimmermann.

Das Spiel zwischen historischen Aspekten und dem konträr konzipierten modernistischen Bildteil will gelingen, gerade weil es eine provokante Note trägt. Wo sich Zimmermanns Fotografien durch eine erwartbare architektonische und von der Landschaft geprägte Bestandsaufnahme auszeichnen, widmet sich Kaminski umfassend der Emotionalität der Arbeitsprozesse einzelner Bauarbeiter. Unterhaltsam schelmisch scheint er dabei mit Männlichkeitsidealen zu kokettieren.

Erstaunlich, wie elegant eine Dokumentation der Instandsetzung eines historischen Verkehrsweges und deren Veranschaulichung in Buchform ausfallen kann. Überzeugend, wie souverän fachspezifisch gelehrte Ausführungen mit persönlich Gehaltenem interagieren, um im Lauf der Textbeiträge unverblümt, aber nachvollziehbar in eine essayistische Erinnerung zu münden.

 

Mit konträren Sichtweisen bereichern die Fotografen Jürg Zimmermann und Christoph Kaminski die Brückenpublikation rund um die sogenannte Vorlandbrücke bei Eschikofen. | Bilder: János Stefan Buchwardt

Rundum guter Geist

«Jeder konnte sich am eigenen Beitrag freuen, von den Buchschaffenden bis hin zu den Arbeitern direkt auf der Baustelle», hebt Töngi heraus. Sein Eindruck, Euphorie und Enthusiasmus aller Beteiligten hätten sich direkt in das Buch eingeschrieben, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn dieser gute Geist seinerseits eine Öffentlichkeit über den Umkreis des Departements hinaus erreichen könne, sei er dankbar dafür, als Mitverantwortlicher etwas Beispielhaftes in die Welt gesetzt zu haben.

Mit den knapp 1200 Buchexemplaren, die produziert worden seien, wurden einerseits Projektbeteiligte bedient, 300 Exemplare gingen an die Schweizerische Gesellschaft für Ingenieurbaukunst; weitere, neben dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein Sektion Thurgau, an das Tiefbauamt intern. Über den Verlag werden 150 Exemplare abgesetzt.

Alles in allem hat das bewährte Frauenfelder Grafik-Duo, bestehend aus Stuber und Susanna Entress, aus der Publikation ein buchtechnisches Bravourstück gemacht. Nicht nur, dass schon beim Durchblättern die sorgfältige Gestaltung subtil spürbar hervortritt, unmerklich wächst das Ganze im Laufe näherer Beschäftigung zu einer runden Hommage an die Thurgauer Baukultur heran.

 

Die Kanalbrücke im Vorland der Eschikoferbrücke stürzte beim Hochwasser von 1910 ein. Danach erhielt die Vorlandbrücke ihre heutige Länge. So besteht der stählerne Brückenteil aus zwei verschiedenen Abschnitten, die zu unterschiedlichen Zeiten erstellt wurden (1885 und 1911). | Bilder: János Stefan Buchwardt

Ein Ausflugsziel

Wenn Aufbereitung und Zugkraft der inhaltlichen Auslotungen und der Buchgestaltung jeden «Walachei»-Gedanken postwendend fortschwemmen, ist es leicht zu beantworten, warum sich der Mann oder die Frau von der Strasse für eine Brücke in der Thurgauer Pampa interessieren sollte. Selbstverständlich stellt das schöne Bauwerksensemble, das wieder in ursprünglicher Farbe erstrahlt, auch ein begehenswertes Denkmal dar, das einen klassischen Sonntagsausflug per pedes oder Velo, mit oder ohne Familie durchaus wert ist.

Den augenblicklichen Raritätscharakter der Publikation durch Nachfrage und eine denkbare Zweitauflage ein für alle Mal aufzulösen, liegt in den Händen einer potenziellen und interessierten Käuferschaft. Ein ausgesuchter Geschenkband für Laien und Fachleute zugleich ist die «Wiederauferstehung in Rot» allemal, eine Augenweide für alte und neu zu gewinnende Liebhaberinnen und Fans des Kulturgutes Buch sowieso.

 

Blick von der alten Holzbrücke auf das sanierte Teilstück, der sogenannten Vorlandbrücke, und über das Buch hinweg hinab zur Thur. | Bilder: János Stefan Buchwardt

 

 

Das Buch

Das Buch zur Eschikofer Brücke wird vom Thurgauer Verlag Saatgut vertrieben und ist im Buchhandel sowie auf www.saatgut.tg  erhältlich:

 

Wiederauferstehung in Rot. Intrigen, Hochwasser und der Zahn der Zeit – Geschichte und Erneuerung der Thurvorlandbrücke bei Eschikofen

Hrsg. vom kantonalen Tiefbauamt Thurgau

Mit Texten von Mario Töngi, Peter Erni, Karin Enzler, Wolf Meyer zu Bargholz, Jürg Conzett, Andrin Herwig, Pieder Hendry, Walter Hofstetter

Mit Fotografien von Christoph Kaminski und Jürg Zimmermann

120 Seiten, 18,5 x 25,5 cm (Hochformat), Steifbroschur

ISBN 978-3-9525244-3-5, CHF 39.–

Erscheinungsdatum: 2. Dezember 2021

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