von Andrin Uetz, 11.11.2019
Die Wahrheit des Klangs

Der in Frauenfeld aufgewachsene Sopranistin Irina Ungureanu geht es immer um Schlichtheit und Ehrlichkeit der Stimme. Für ihr künstlerisches Schaffen hat sie jetzt einen Förderpreis der Internationalen Bodenseekonferenz erhalten.
Es knistert ein Stück Alufolie in die Theaterstille einer Bühne, auf welcher sich Schauspielende fast lautlos zu Schaffen machen. Die Alufolie schwebt an einen Gasluftballon befestigt im Raum, eine Protagonistin klütert an der Folie rum, welches eben dieses Knistern hervorbringt. Ein Mann und eine Frau stehen sich gegenüber, auf Stühlen, und schauen sich schweigend an. Die Frau beginnt zu singen, eindringlich, beunruhigend, glasklar. Ein Piano begleitet die anfangs sanfte, dann immer expressiver werdende Stimme.
Die Sängerin wird weggetragen, rückwärts, ohne den Geliebten aus den Augen zu verlieren. Denn was wir hier sehen und hören ist “Die Geburt der Tragödie”, ein Mitschnitt aus dem Musiktheater “Orpheus” von Dominique Girod und Corsin Gaudenz. Irina Ungureanu hat die Rolle der Eurydike inne, und bereits in dieser kurzen Szene wird klar, warum sie als begnadete Sopranistin den Förderpreis der Internationalen Bodensee Konferenz mehr als verdient hat. Eine reiche Palette von Klangfarben und Dynamik, ein präziser Ausdruck, eine fast schon mikrototale Fähigkeit für alle Arten von Zwischentönen und Nuancen, sanft und doch ein bisschen brutal. Perfekt für diese Komposition, welche im März 2018 im Fabriktheater der Roten Fabrik Zürich uraufgeführt wurde.
Video: Irina Ungureanu in “Die Geburt der Tragödie”
Die schonungslose Körperlichkeit des Gesangs
Irinas Partner bringt gerade ihren zweijährigen Sohn ins Bett, während sie thurgaukultur.ch per Skype von ihrer Arbeit erzählt: “Als Sängerin hat man kein Instrument in der Hand, ist daher verletzlicher und muss seinen Raum behaupten. Der eigene Körper ist Instrument und Resonanzkörper sowie Stütze. Vielleicht kommt daher das Diventum im klassischen Konzertbetrieb; das ist wie ein Schutz, eine Maske um diese Verletzlichkeit zu kaschieren. Natürlich beeindruckt auch mich das Grandiose der Oper, und die Musik ist toll, doch ich persönlich fühle mich eher in kleineren, intimeren Produktionen zuhause. Ich brauche auch mehr Dreck, mehr Erde.”
Die Bereitschaft und Neugierde für Musik und Klanglichkeiten jenseits des Mainstreams führen Irina Ungureanu zu ganz unterschiedlichen Produktionen. Von Oratorien und Liedern, vorzugsweise Schubert, bis zu Neuer Musik und Musiktheater aber auch rumänischer Volksmusik, kann die Sängerin ein sehr breites Repertoire aufweisen.

Aus musikalischem Haus
Mit einer Geigerin als Mutter und einem Bratschisten als Vater, war Irina Ungureanu zeitlebens von Musik umgeben. Sie lernte zuerst das Geigenspiel und war bereits als Fünfjährige Teil der rumänischen Volksmusikgruppe des Vaters. “Rumänien ist ein politisches Sandwichland, und das zeigt sich in einer Vielfalt von musikalischen Einflüssen, etwa aus Russland, Ungarn, der Türkei, Serbien und der ehemaligen KuK-Monarchie”, schwärmt Irina Ungureanu, die mit der Musikgruppe Grünes Blatt selbst rumänische Volksmusik spielt, allerdings, wie sie betont, entschieden unfolkloristisch: “Nationalismus und Heimatverklärung verkitschen in Rumänien genauso wie in der Schweiz eine eigentlich sehr schöne und tiefgründige Musik.”
Bei Grünes Blatt hat Improvisation genauso Platz wie unkonventionelle Klangfarben. Irina Ungureanu ist zwar klassisch ausgebildet, und verweist darauf, wie vorteilhaft diese auf das unverstärkte Bespielen grosser Konzerthäuser angelegte Technik sein kann, gerade auch im Bereich der Neuen Musik, welche den Stimmbändern einiges abverlangt. Von den Idealen eines reinen und galanten Operngesangs lässt sie sich nicht einschränken: “Teil meiner künstlerischen Arbeit ist es auch, sich gegen gesellschaftliche Normen, Muster und Konventionen zu behaupten, sich daran abzuarbeiten.”
Video: Irina Ungureanu und ihr Ensemble Grünes Blatt
Von Maria Tănase bis George Crumb
Bei der IBK-Preisverleihung in der Kartause Ittingen hat Irina Ungureanu zusammen mit der ebenfalls ausgezeichneten Pianistin Simone Keller einen Teil des Stücks “Apparition” von George Crumb aufgeführt. Sie ist gerne am Puls der Zeit, was etwa in ihrer Arbeit mit dem Ensemble Ö zu hören ist. Das Ensemble für Neue Musik unter der Leitung des Violinisten und Komponisten David Sontòn Caflisch scheut sich nicht vor unkonventionellen Produktionen, etwa wenn in der Saison 2019/20 ein Program die Synthese von Duft und Klang in den Fokus nehmen will.
Irina Ungureanu ist zudem regelmässig mit den Basler Madrigalisten zu hören, dem Vokalensemble Zürich, sowie in diversen anderen Produktionen von Musiktheater, Performance und Liederabenden. Sie schätzt dabei auch sehr die Herausforderung mit teils eher einfachen szenischen Mitteln dennoch herausragende Programme zu erarbeiten.
Video: Trailer zu “Mein blaues Herz”
Im Haus zur Glocke in Steckborn etwa hat sie 2016 zusammen mit der Pianistin Vera Kappeler Schuberts Winterreise als Wanderkonzert aufgeführt, bei dem das Publikum über sechs Stationen vom Haus zur Glocke zum Turmhof gelangte. Der spaziergängerischen Mobilität wegen spielte Kappeler auf einem Harmonium, einem Toy- und einem Cyberpiano, was im Kontrast zu der frühromantischen Musik doch auch für etwas slapstickartige Unterhaltung sorgte, ohne dabei die Musik ins Lächerliche zu ziehen.
Zusammen mit Vera Kappeler und der Schauspielerin Vivianne Mösli führte Irina Ungureanu auch “Mein blaues Herz” unter der Regie von Sebastian Krähenbühl auf. In diesem Musiktheater geht es um eine Spurensuche nach der legendären rumänischen Sängerin Maria Tănase, welche in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts für ihre Interpretation von Volksmusik und Chansons bekannt wurde. Wie sie es schaffe, diese musikalische Vielfalt unter einen Hut zu bekommen, beantwortet Irina Ungureanu ganz souverän: “Es geht in meiner Arbeit immer um die Schlichtheit und Ehrlichkeit der Stimme. Diese finde ich bei Tom Waits genauso wie in der Neuen Musik.”
Kurzbiographie zu Irina Ungureanu
Irina Ungureanu ist 1984 in Bukarest geboren und in der Nähe von Frauenfeld aufgewachsen. Sie studierte Gesang an der Zürcher Hochschule der Künste bei Jane Thorner Mengedoth. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie der zeitgenössischen und der alten Musik, der freien Improvisation, dem Lied- und Oratorienrepertoire und der rumänischen Volksmusik, welche sie seit ihrer frühen Kindheit begleitet. Sie tritt in festen sowie in wechselnden Formationen regelmässig in Performancprojekten, Konzerten und im Musiktheater auf.

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