von Brigitte Elsner-Heller, 08.07.2021
«Die Heimat wohnt nicht in einer Lederhose»
Das Kreuzlinger See-Burgtheater beschäftigt sich in seiner Sommerproduktion „Die Schweizermacher“ mit der Frage, was den Schweizer oder die Schweizerin wohl ausmacht oder ausmachen sollte. Das Musical, basierend auf dem gleichnamigen Kinoerfolg der Siebzigerjahre, bedient sich dazu der ironischen Distanzierung – mit allen Risiken und potenziellen Nebenwirkungen. Premiere ist am 15. Juli. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Die Schweiz ist ein Land mitten in Europa, neutral und eigenständig. Die Schweiz, wie sie das See-Burgtheater für die Bühne entworfen hat, ist aber auch ein Wohnblock aus grauem Beton, in dem nicht nur gewohnt, sondern auch verwaltet und nach Gesinnung überprüft wird.
Die am Ufer des Bodensees errichtete Drehbühne (Damian Hitz) fällt immerhin mit zwölf Tonnen ins Gewicht und repräsentiert ganz nebenbei auch die Tretmühle, in der Menschen sich im Alltag befinden. So sieht es Leopold Huber, der Regie führt.
Spass an der Gesellschaftskritik
Wie stets hat Huber den gesellschaftlichen Kontext und ein gerüttelt Mass an Geschichte mit im Gepäck, wenn er ein Stück auf die Bühne bringt. Bei allem Spass, der das Musical befeuert, ist der kritische Seitenhieb nie weit.
Schliesslich geht es bei der Bühnenadaption von Rolf Lyssys Film aus der Feder von Paul Steinmann und mit den Kompositionen von Markus Schönholzer um die Einbürgerungspraxis der Schweiz.
Video: Trailer zum Film „Die Schweizermacher“
Der Film von 1978 war dann auch als Reaktion auf die Schwarzenbach-Initiative von Anfang der Siebzigerjahre zu verstehen, als es um die vermeintliche „Überfremdung von Volk und Heimat“ ging (sie wurden nur relativ knapp abgelehnt).
„Wir dürfen den Heimatbegriff nicht den Rechten überlassen.“
Leopold Huber, Regisseur
Wenn nun der Einbürgerungsbeamte Max Bodmer (Christoph Wettstein) mit Hilfe des jungen Kollegen Moritz Fischer (Adrian Burri) neue Aspiranten auf den Schweizer Pass eingehend unter die Lupe nimmt, fallen auch martialische Sätze wie „Mit Frauen kann man nicht kommunizieren“. Derart „totalitär und chauvinistisch“ wie in den Siebzigerjahren ginge es heute nicht mehr zu, meint Wettstein.
Mit dem Blick zurück ist durchaus daran zu erinnern, dass auch Schweizer Frauen erst 1971 das Wahl- und Stimmrecht auf Bundesebene erhielten. Besonders unrühmlich bekanntlich der Kanton Appenzell Innerrhoden, der erst 1990 durch Entscheid des Bundesgerichts Frauen die politische Gleichberechtigung einräumen musste.
Wie weit darf Ironie gehen?
Vielleicht ist es einfacher, erscheint auch „lustiger“, Probleme der Einwanderer auf die Bühne zu bringen. Zumal man ja so tun kann, als sei das alles nur in grauen Urzeiten so gewesen.
Leopold Huber weiss um die Risiken, die bei der heiteren Umsetzung des 2010 in Zürich uraufgeführten Erfolgsmusicals mitschwingen. „Beim (Einbürgerungsbeamten) Bodmer kann uns passieren, dass wir Kritik von unserer Seite bekommen und Zustimmung von der anderen“, sagt Leopold Huber.
Video: 10 vor 10 Beitrag über «Die Schweizermacher» als Musical
Ironie sei aber auf der Bühne eher praktikabel als etwa im Journalismus: „Auf der Bühne darf man alles“, ist er überzeugt.
Adrian Burri, der als Bodmers Gehilfe Moritz Fischer am Ende aus dem Kontrollsystem aussteigt, sieht das ähnlich. Die Bühne könne über visuelle Mittel die ironische Überzeichnung viel deutlicher kenntlich machen. Das Stück sei aber durchaus kontrovers und als Musical nicht nur der leichten Muse verpflichtet.
Die Schweizer Heimat
Auch Johanna Köster, die eine einbürgerungswillige Deutsche spielt, die mit ihrem ebenfalls deutschen Mann (Rüdiger Hauffe) täglich die Schweizer Fahne hisst, hat sich offenbar während der Probenarbeit öfter gefragt, wie weit Ironie gehen dürfe und wo der Spass aufhöre. Es ist durchzuhören, dass sie einige kritische Anmerkungen eingebracht hat, auch wenn sie ihre Rolle als Superschweizerin in spe „megagern“ hat.
Maria Rebecca Sautter, die zusammen mit Giuseppe Spina das italienische Ehepaar Grimolli auf die Bühne bringt, formuliert es in anderen Worten und doch in der Sache ähnlich: „Am besten ist der Humor, wenn man lachen möchte aber gleichzeitig weiss, man sollte es nicht.“
Und dann steht da immer noch die Sache mit der Heimat im Raum, mit diesem widerspenstigen Begriff zwischen wohliger Geborgenheit und gefährlicher Engstirnigkeit. „Die Heimat wohnt nicht in einer Lederhose“, formuliert Leopold Huber kreativ, um die politische Folgerung daraus gleich deutlich nachzuschieben: „Wir dürfen den Heimatbegriff nicht den Rechten überlassen.“
Die eigene Familiengeschichte mit dabei
Es ist getrost davon auszugehen, dass das See-Burgtheater ein kurzweiliges und spritziges Stück Theater auf seine Sommerbühne bringt. Und doch gibt es in der wie immer munter sich präsentierenden Truppe auch eigene Erfahrungen mit der Schweizer Mentalität, die sie alle längst als eigene angenommen haben.
Franca Basoli, die im Stück eine spionierende und denunzierende Nachbarin spielt, hat als Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters Ausgrenzung erlebt. „Ich war immer die Komische als Kind. Mutter war als Deutsche die bessere Ausländerin. Heute hat es sich gedreht, heute werden die Italiener als lockerer angesehen.“ Sie ergänzt: „Ich habe erlebt, was ich spiele.“
„Der Grimolli aus dem Film war für mich ein Eins-zu-eins-Abbild meiner Kindheit.“
Giuseppe Spina, Schauspieler (Bild: Brigitte Elsner-Heller)
Auch Giuseppe Spina bringt seine Erinnerungen mit. Er ist im Thurgau als Kind italienischer Eltern aufgewachsen, die zunächst nach Italien zurückgehen wollten. „Der Grimolli aus dem Film war für mich ein Eins-zu-eins-Abbild meiner Kindheit. Wir haben in einer italienischen Enklave gewohnt, und ich weiss, dass meine Mutter Angst hatte.“
Natürlich darf die Musik nicht fehlen
Eine spannende Geschichte verspricht das zu werden, unterfüttert mit Musik von Balladen bis hin zu Disco, Swing, Blues und „wahnsinnig schönen Chorsätzen“, wie Leopold Huber sagt. Als er allerdings noch „martialische Heimatgesänge“ erwähnt, interveniert Philippe Frey dann doch, der für die musikalische Leitung verantwortlich ist.
Er habe einfach nur Freude an der Zusammenarbeit mit den singenden Schauspielern und der aus fünf Musikern bestehenden Live-Band. Premiere ist bei hoffentlich gutem Wetter am 15. Juli. Dann werden wir sehen. Und natürlich hören.
Termin: Premiere von „Die Schweizermacher“ des See-Burgtheater ist am 15. Juli, 20.30 Uhr. Gespielt wird danach mehrmals in der Woche (insgesamt 20 Vorstellungen) bis zum 11. August. Alle Aufführungstermine und Infos zur Ticketreservation gibt es auch bei uns in der Agenda.
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