von Inka Grabowsky, 20.05.2019
Aus den Tiefen des Bodensees
Das 1864 vor Bottighofen versunkene Dampfschiff «Jura» gilt als das älteste, vollständig erhaltene Wrack seiner Art. Eine neue Publikation erzählt jetzt die ganze Geschichte.
Als der Thurgau vor 15 Jahren die Jura auf dem Seegrund vor Bottighofen unter Schutz stellte, nahm eine Forschungsreise ihren Anfang, die nun mit der Publikation des Berichts unter dem Titel «Das Dampfschiff Jura. Zeitzeuge und Tauchziel im Bodensee» ein Ende fand. Der Kantonsarchäologe Hansjörg Brem war bei der Vernissage des Buches im Seemuseum Kreuzlingen sichtlich zufrieden. «Wir können stolz darauf sein, dass wir im Thurgau eines der besterhaltenen Wracks eines Dampfschiffs haben, und dass wir es rechtzeitig haben schützen können.» «Seit 2004 ist vieles gelungen», meinte auch Regierungsrätin Monika Knill. «Die Jura wird besser und zerstörungsfreier betaucht. Viele Freiwillige – auch aus Deutschland – haben sich für sie eingesetzt und haben ihre Schätze und Erlebnisse für das Buch zur Verfügung gestellt. Nun hat unser Denkmal seinen eigenen Steckbrief.»
Nicht nur für ein Fachpublikum geschrieben
Ende 2014 hatte der Kanton die Jura zum Unterwasser-Industriedenkmal erklärt. Die Historikerin Nina Schläfli bekam darauf den Auftrag, das Wrack und den Stand der Forschung zu dokumentieren. 2016 recherchierte und inventarisierte sie rund ein halbes Jahr, bis ihr rund hundert Seiten starker Bericht fertig war. Er bildet jetzt den Kern des Buches, gekürzt um einige Listen, erweitert mit Beiträgen von Hansjörg Brem, Otto Egloff, Matthias Eisenmann, Claudius Graf-Schelling, Alexandra M. Rückert, Ursula A. Steinhauser, Claudio Waeffler und Marcel Ruckstuhl. «Anders als der Bericht wendet sich das Buch nun nicht nur an ein Fachpublikum, sondern vor allem an Taucherinnen und Taucher sowie Dampferfreunde“, sagt Schläfli. Ursula Steinhauser, Leiterin des Museums und selbst Archäologin, freut sich: «Wir holen Geschichten an die Oberfläche. Und die technischen, tragischen und auch lustigen Geschichten über die Jura sind jetzt alle in diesem Buch vereint.» Es sei ein natürliches Anliegen eines Museums, Kulturgüter für alle zugänglich zu machen. «Dank vieler Helfer und Experten ist jetzt die Jura auch über Wasser sichtbar», sagt Hansjörg Brem.
Unglück von damals ist ein Glück für die Historiker heute
Die Jura war 1864 nach einer Kollision mit einem anderen Schiff vor Bottighofen gesunken. Drei Menschen kamen damals ums Leben. «Die Jura wurde nur leicht beschädigt, trotzdem wurde sie damals aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht gehoben, um Einzelteile zu verwerten», erklärt Nina Schläfli. «Sie wartete also geschützt durch Dunkelheit und Kälte auf ihre Erforschung. Und so ist sie heute das älteste vollständig erhaltene Wrack eines Glattdeck-Schaufelraddampfers.»
Anhand der Jura lässt sich die Schweizer Industriegeschichte nachvollziehen. Gebaut wurde sie bei Escher Wyss. Das Unternehmen hatte als Baumwollspinnerei begonnen, dann aber bald seine eigenen Textil- und Dampfmaschinen entwickelt. «1835 wollte das Unternehmen diversifizieren und stieg in den Dampfschiffbau ein», referiert Schläfli. «Doch die Schweiz ist ja nicht gerade eine Seefahrernation- es gab keine Schiffbautradition. Also brauchte es einen Technologie-Transfer: Britische, französische und deutsche Fachkräfte kamen in die Schweiz und brachten ihr Wissen mit.“ Das Geschäft war durchaus lukrativ. Die Jura trägt die stolze Produktionsnummer 61. Gleichzeitig ist ihre Geschichte auch die Geschichte des Niedergangs der Schweizer Schifffahrt. Sie wurde nämlich 1861 auf ihrem Einsatzgebiet auf dem Neuenburgersee ausgemustert und über Umwege an den Bodensee verkauft, weil die neuen Eisenbahnlinien Güter und Menschen billiger, schneller und bequemer transportierten. „Die Schweizer Schiffbauer mussten sich neue Märkte im Ausland suchen. Die Jura erzählt also auch, wie die Schweiz zur Exportnation wurde.“
Taucher als Helfer und Zielgruppe
Rund achtzig Interessenten hatten sich im neugestalteten Gewölbekeller des Seemuseums eingefunden, darunter einige Dampfschiffinteressenten und viele Taucher, die als einzige die Jura mit eigenen Augen sehen können. Die Zusammenarbeit mit den Sportlern während der vergangenen Jahre sei überaus fruchtbar gewesen, betont Hansjörg Brem. Gemeinsam mit der Sporttauchverbänden von allen Bodensee-Anrainern und der Wasserschutzpolizei hat das Amt für Archäologie Schutzmassnahmen erarbeitet, so dass die Jura nicht weiter unter dem Tauchtourismus leidet. Das Wrack war seit seiner Wiederentdeckung 1953 von Tauchern geradezu geplündert worden. Immerhin: Symbolträchtige Gegenstände wie der Schriftzug des Namens und die Schiffsglocke sind im Seemuseum zu sehen. „Vielleicht rückt ja eines Tages jemand das Steuerrad heraus und stellt es mit roter Schleife vor dem Museum ab“, hofft Ursula Steinhauser.
„Das Dampfschiff Jura. Zeitzeuge und Tauchziel im Bodensee“, herausgegeben vom Amt für Archäologie, 143 Seiten mit vielen Fotos. Zu kaufen für 25 Franken im Buchhandel, im Seemuseum oder im Museum für Archäologie.
Von Inka Grabowsky
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