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Aufbruch ins Neuland

Aufbruch ins Neuland
Bringt das Saurer Museum Arbon ins digitale Zeitalter: Der Museumsleiter Hans-Ruedi Baer. | © Michael Lünstroth

Wissenserhalt und Besuchernähe: Das Saurer Museum Arbon zeigt gerade beispielhaft, wie viele Chancen in der Digitalisierung für Museen liegen.

Es gibt zwei Entwicklungen, mit denen gerade viele Museen zu kämpfen haben. Entwicklung eins: Die Menschen, die Erfahrungs-Wissen haben, werden immer älter. Dieses Wissen droht verloren zu gehen. Das betrifft nicht nur, aber doch besonders Technikmuseen, die das Knowhow rund um alte Maschinen bewahren wollen. Entwicklung zwei: Die BesucherInnen sind heute andere als noch vor 20 Jahren. Viele Dinge, gerade in historischen oder technischen Museen, kennen sie nicht mehr aus ihrem Alltag. Deshalb braucht es eine neue Form der Wissensvermittlung.

Wie eine Antwort auf beide Entwicklungen lauten könnte, zeigt jetzt das ehrenamtlich geführte Saurer Museum Arbon. Digitalisierung ist das Schlüsselwort bei zwei bemerkenswerten Projekten, die die Zukunft des Museums sichern sollen. Bereits seit 2017 gibt es den „Wissens-Radar“: Mit Hilfe von Videoclips und digitalisierten Daten soll das interne Wissen über Fahrzeuge und Textilmaschinen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Neu dazu kommt nun der so genannte „Wissens-Marktplatz“ mit dem das im Museum vorhandene Wissen BesucherInnen, Schulen und allen anderen Interessierten zugänglich gemacht werden soll.

Mit der Apollo 11 landete 1969 auch ein Stück Saurer auf dem Mond: Die Aufnäher der Astronauten-Anzüge vieler Apollo-Missionen wurden von Saurer hergestellt. Bild: Michael Lünstroth

Ein Ziel: Wissen speichern und reproduzieren können

Betrieben wird das Museum vom Verein Oldtimer Club Saurer. In dessen Statuten ist als Ziel formuliert, die technischen Errungenschaften der letzten 150 Jahre zu sammeln, zu erhalten, zu zeigen und zu erklären. Dafür zuständig ist eine Freiwilligengruppe von mehr als 70 MitarbeiterInnen, die grösstenteils über 60 Jahre alt sind. Die Erkenntnis der Museumsmacher daraus: Um die Saurer-Kultur auch in 20 oder 50 Jahren weitergeben zu können, muss sich das Museum verändern. „Neben den Objekten, die aufzubewahren, zu konservieren, und zu pflegen sind, muss das Wissen als Voraussetzung für das Verstehen, Begreifen und Weitergeben erfasst, gespeichert und reproduziert werden können“, ist Ruedi Baer, Leiter des Saurer-Museums, überzeugt.

Dabei ging es ihm einerseits darum vorhandene Pläne und Handbücher zu digitalisieren und sie jederzeit in einer zentralen Datenbank abrufbar zu machen. Aber eben auch um Erklärvideos, die zeigen, wie man bestimmte Geräte bedienen oder reparieren kann. „Wenn der Webmaschinen-Operateur wissen will, wie er die Bandwebmaschine 24B ölen muss, dann findet er ein Videoclip dazu. Um das zu finden, muss er nur wissen, welche Inventarnummer die Bandwebmaschine hat und dann wird ihm der entsprechende Clip aus unserer Datenbank angezeigt“, erklärt Baer. Bis jetzt sind knapp die Hälfte der geplanten 300 Lehrvideos gedreht und bearbeitet. Das Projekt läuft weiter und wird privat über den chinesischen Eigentümer der heutigen Saurer Gruppe finanziert. „Xueping Pan gefällt offenbar, was wir machen und er hat uns mit 100’000 Franken unterstützt“, sagt Baer.

Bilderstrecke: Einblicke in das Saurer Museum

BesucherInnen bekommen Erklär-Videos aufs eigene Handy

Der Museumschef wusste aber auch, dass das nur eine Seite des Projektes sein kann. Damit wird das Wissen nach innen gesichert, aber die BesucherInnen bemerken davon nur indirekt etwas. Deshalb war schnell klar, es müsste noch ein ergänzendes Projekt geben, das sich an die Öffentlichkeit richtet. Mit dem „Wissens-Marktplatz“ soll genau das geschehen und die Inhalte des Museums für verschiedene Zielgruppen aufbereitet werden.

So soll auch ein bisheriger Mangel des Museums behoben werden: Geöffnet ist es an sieben Tagen in der Woche, aber nicht immer ist auch ein MitarbeiterIn vor Ort, um Maschinen zu erklären. Mittels QR-Code soll es ab Juli 2021 möglich sein, Zusatzinfos zu den Ausstellungsobjekten wie Fotos, Filme oder Pläne mit dem eigenen Handy abzurufen. In den nächsten Monaten sollen diese Videos produziert werden, die sich von den Clips für die Museums-MitarbeiterInnen deutlich unterscheiden. „BesucherInnen interessiert etwas anderes als unsere Mitarbeiter, die an Maschinen herumschrauben müssen. Das muss man auch ganz anders inszenieren“, findet Baer.

„Man ist erstaunt, wie wenig sich die Museen mit diesem zentralen Aspekt der Zukunftssicherung beschäftigen.“

Ruedi Baer, Leiter Saurer Museum Arbon

In erster Line sollen die Videos also im Museum genutzt werden, um das Erlebnis vor Ort zu steigern. „Der Ort hier bleibt wichtig. Zum Erlebnis technischer Kultur gehört zum Beispiel auch das Gefühl und der Geruch in dieser Halle hier“, sagt Baer im Gespräch mit thurgaukultur.ch im Depot des Museums. Die BesucherInnen können sich vor Ort über WLAN mit einem Passwort in das System einwählen und bekommen so ohne App, direkt über den eigenen Browser, Zugang zu allen für sie interessanten Daten und Videos. Aber auch eine leichte Öffnung nach aussen ist angedacht: Einzelne Formate will das Museum auch für die Öffentlichkeitsarbeit über die eigene Website oder Social-Media nutzen, um so noch stärker auf sich aufmerksam zu machen.

Ruedi Baer, von Haus aus Informatiker und Experte für IT-Sicherheit, ist der Antreiber hinter den Ideen. Seit seiner Pensionierung hat er sich zum engagierten Museumsmacher fortgebildet. Die Digitalisierungs-Projekte hat er in einem dreiwöchigen Kurs zur Museumspraxis entwickelt. In einer 35-seitigen Abschlussarbeit hatte er 2018 die wesentlichen Ideen schon skizziert. Was ihn bei der Recherche besonders gewundert hat: „Man ist erstaunt, wie wenig sich die Museen mit diesem zentralen Aspekt der Zukunftssicherung beschäftigen. Es gibt überall Apps für die Besucher, es gibt fast überall eine Archivierungs-Lösung und eine getrennte Inventarisierungen, es gibt auch Video-Stationen für die Besucher. Aber eine durchgängige Lösung, bei der konsequent sämtliche gesammelten Daten in einer durchstrukturierten zentralen Datenbank leicht zugänglich abgelegt sind, haben wir nirgends angetroffen.“

Klassiker: Ein Saurer aus dem Jahr 1917. Bild: Michael Lünstroth

Auch der Kanton hat mittlerweile das Potenzial erkannt

Herzstück des Projekts ist die Software „collectr“. Sie wird schon von vielen kleinen und mittleren Museen als Sammlungs- und Inventarisierungssoftware genutzt. Für das Saurer Museum Arbon soll sie nun so erweitert werden, dass nicht nur Museumsleute damit arbeiten, sondern auch Museumsbesucher spielerisch und intuitiv damit umgehen können. „Die zwei wichtigsten Vorteile des collectr aus unserer Sicht sind: Alles ist an einem Ort zentral gebündelt und das System erlaubt Schnittstellen zu anderen Museen. Auf diese Weise kann ein Wissensverbund geschaffen werden, der einzigartig ist“, ist Baer überzeugt.

Das hat man inzwischen auch beim Kanton erkannt: 50’000 Franken hat das Saurer Museum im Mai aus dem Lotteriefonds erhalten. Und: Auch die kantonalen Museen sollen künftig mit collectr arbeiten. Ein Schritt, der die Zusammenarbeit der Museen zukünftig erleichtern soll.

Die Öffnungszeiten

Saurer Museum am See, täglich von 10 bis 18 Uhr; Eintritt: 8 Franken. Ticketpreise im Überblick gibt es auf der Website des Museums

Saurer Museum Depot, täglich von 10 bis 18 Uhr; Eintritt: 8 Franken. Alle Ticketpreise im Überblick gibt es auf der Website des Depots

 

Führungen durch Museum oder Depot kann man über Arbon Tourismus buchen: Per Telefon 071 440 13 80 oder E-Mail: info@arbontourismus.ch

Video: arttv.ch über das Saurer Museum (2018)

 

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