von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 06.02.2024
Alles anders als geplant
Eigentlich sollte Michèle Minelli ab diesem Jahr die Programmleitung im Literaturhaus Thurgau übernehmen. Aber schon vor dem Start ist Minelli wieder zurückgetreten. Was ist da los? (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Bereits im Frühjahr 2023 verdichteten sich die Zeichen: Die Thurgauer Autorin Michèle Minelli werde die Programmleitung des Thurgauer Literaturhauses in Gottlieben übernehmen tuschelten die Gäste bei einem Apéro nach einer Lesung in Frauenfeld.
Es schien eine gute Wahl: Minelli hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur als Autorin, sondern auch als Literaturvermittlerin und Schreibcoach in eigenen Workshops einen Namen gemacht. Sie gilt als fleissig, vielseitig interessiert und offen für neue Formen der Literaturvermittlung. Umso erstaunlicher, dass, nachdem die Personalie durchgesickert war, monatelang keine offizielle Bestätigung oder Ernennung vom Gottlieber Literaturhaus folgte.
Den Grund dafür konnte man dann Anfang dieses Jahres in einer Mail aus dem Literaturhaus, vormals Bodmanhaus, herauslesen. Das neue Jahresprogramm, so hiess es dort, sei zwar von Michèle Minelli kuratiert worden, aber die interimistische Programmleitung liege 2024 bei Walter Rügert (früherer Pressesprecher der Stadt Konstanz und schon lange aktiv im Literaturhaus) und dem Stiftungsratspräsidenten Lorenz Zubler.
Eingriffe in die Kompetenz der Programmleitung?
Anruf bei Michèle Minelli: Was ist da schief gelaufen? „Ach“, sagt die Autorin. So sei das nun mal manchmal im Leben, manche Dinge passten dann eben doch nicht so gut zusammen, wie es zunächst schien. „Als ich im vergangenen Jahr gefragt wurde, ob ich die Programmleitung übernehmen wolle, habe ich das sehr gerne zugesagt, weil es mir eine spannende Aufgabe schien. Das Problem war: Nach meiner Zusage und nachdem ich bereits mit der programmatischen Arbeit begonnen hatte wurden das Pflichtenheft und die Kompetenzen für die Programmleitung geändert“, erklärt Minelli am Telefon.
Stiftungsrat und Geschäftsstelle hätten mehr mitreden wollen bei Programm und Kommunikation. „Damit wäre ich nicht mehr so frei gewesen in meiner Arbeit, es schränkte mich zu sehr ein. Mein Eindruck war damals, dass ich unter diesen Bedingungen vieles von dem, was ich mir vorgenommen hatte, nicht mehr hätte machen können.“ Daraufhin habe sie sich entschieden, ihre Zusage wieder zurückzuziehen. Nicht im Groll, wie sie betont, sie bleibe dem Literaturhaus weiter treu als Besucherin, „aber so legitim es war vom Stiftungsrat die Bedingungen zu ändern, so legitim fand ich es dann auch für mich zu sagen, dass es so für mich nicht mehr passt.“
Oder lediglich kosmetische Korrekturen an den Zuständigkeiten?
Dabei liest sich das, was Minelli nun vorlegt, als spannendes Programm. In den ersten Monaten des Jahres kommen unter anderem Nora Gomringer (22. Februar), Björn Bicker (7. März), Ulrike Anna Bleier (14. März), Theres Essmann (25. April) sowie Lika Nüssli und Rina Jost mit ihren preisgekrönten Graphic Novels „Starkes Ding“ und „Weg“ (27. März). „Mein Ziel war es, Bücher und Autor:innen einzuladen, die mich umgehauen haben, weil sie ganz konsequent ihr Thema verfolgt haben und inhaltlich oder formal etwas gewagt haben“, erklärt Minelli ihre Auswahl.
Neben der genauen Auswahl der Literat:innen wollte sie zudem das Programm insgesamt weiter entwicklen und dabei auch das Publikum stärker einbeziehen. Weg vom Podiumsgespräch hin zu mehr Teilhabe und einem gemeinsamen Gespräch über Literatur: „Das hätte ich gerne ausprobiert“, sagt die Autorin gegenüber thurgaukultur.ch
Das daraus nun nichts wird, bedauert auch Lorenz Zubler, Stiftungsratspräsident der Bodmanstiftung. „Das Programm ist wirklich toll. Schade, dass Missverständnisse am Ende zu einer unterschiedlichen Vorstellung der Zusammenarbeit geführt haben“, sagt Zubler im Gespräch mit thurgaukultur.ch Aus seiner Sicht habe sich gar nicht so viel an den Zuständigkeiten und Kompetenzen der Programmleitung geändert, über Details wollte er aber nicht reden. „Manchmal funktioniert es nicht so, wie man es sich wünscht“, sagt Zubler nur.
Neue Programmleitung soll Ende Februar gewählt werden
Bis August stehe das von Michèle Minelli zusammengestellte Programm fest, dies werde jetzt auch genauso veranstaltet. Für die Zeit danach spreche er sich mit seinem Kollegen Walter Rügert über das weitere Programm ab. Ab 2025 soll dann die Interimsleitung wieder enden und eine neue Programmleitung die Arbeit aufnehmen. „Wir haben bereits ein paar Ideen im Kopf, wer das sein könnte. Voraussichtlich bei der nächsten Sitzung des Stiftungsrats Ende Februar werden wir uns auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin verständigen“, sagt Lorenz Zubler.
Die oder der Auserwählte werde dann für drei Jahre die programmatische Leitung des Literaturhauses übernehmen. Nach drei Jahren endet die Amtszeit automatisch, der Stiftungsrat habe dies bewusst so schon vor Jahren gesetzt, um unterschiedliche Handschriften und verschiedene Stimmen im Programm sichtbar zu machen, so Zubler weiter.
Ein Film und drei neue Romane: Minelli ist gut im Geschäft
Auch für Michèle Minelli geht das Leben weiter: Im Mai und im Herbst erscheinen „zwei kleine neue Romane“ von ihr, im Herbst kommt ein auf Minellis Roman „Die Verlorene“ beruhender Film in die Schweizer Kinos und im Februar 2025 veröffentlicht sie schliesslich einen neuen Jugendroman. Auch die Gedanken zum Programm im Literaturhaus seien nicht verloren. „Ich hatte das Programm auf drei Jahre geplant. Allenfalls setze ich einige Ideen daraus jetzt mit anderen Partnern um. Aber das ist noch nicht endgültig entschieden“, sagt Minelli.
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