von Brigitta Hochuli, 02.12.2011
„Blick“ ist empört!

Brigitta Hochuli
Die Feier des Thurgauer Nationalratspräsidenten Hansjörg Walter koste 290'000 Franken und werde durch den Kanton aus dem Lotteriefonds bezahlt, schreibt der „Blick“ und frägt, empört: „Warum das?“
Der Lotteriefonds diene der Finanzierung innovativer Kulturprojekte. Normalerweise werde zeitgenössische Kunst professionller Kulturschaffender aus dem Lotteriefonds finanziert. „Auch im Thurgau!“, erklärt der „Blick“. Die Frage sei, „wie definiert man Kultur?“.
Ja, liebe Leserin, lieber Leser, wie definiert man Kultur? Vielleicht, indem man zuvor die Grundlagen klärt?
Wer fördert bei uns „projektbezogen das professionelle zeitgenössische Kunstschaffen“? – Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau.
Und wer unterstützt kulturelle, soziokulturelle und soziale Projekte? Der Lotteriefonds des Kantons Thurgau.
Versteht man das Fest für Hansjörg Walter als „soziokulturelles Projekt“, dann ist der Griff in die Kasse des Lotteriefonds also durchaus korrekt. Womit ich bei meinem Lieblingsthema bin: Soziokulturelle Projekte, an denen die halbe Schweizer Politprominenz teilnimmt, sollten aus der Kasse des Amtes für Wirtschaft und Arbeit (AWA) bezahlt werden. Denn sie dienen – wie die aktuelle Plakatoffensive mit dem Schönheitskönig – dem ökonomisch verwertbaren IMAGE und nicht primär der Kultur oder dem sozialen Aspekt in seiner hilfsbetonten Variante.
***
13 Kommentare
Alex Bänninger | 05.12.2011, 15.10 Uhr
Sehen wir doch die Lotteriefonds-Finanzierung des Wahlfestes für den Nationalratspräsidenten positiv: Hansjörg Walter steht für die politische Kultur. Und weil wir uns immer wünschen, dass die Politik auf die Kultur zugeht, darf es doch auch einmal umgekehrt sein. Ein Wermutstropfen allerdings trübt das schöne soziokulturelle Projekt: die Prominenz und das Volk feiern an getrennten Orten und üben sich in der berührungsfreien Demokratie.
Katharina Alder | 06.12.2011, 14.48 Uhr
Für einmal muss ich dem Blick applaudieren, dass er dieses Thema auf den Tisch bringt. Umso trauriger, dass es bei uns im Kanton fallen gelassen wird.
Es scheint sich niemand dafür zu interessieren, dabei ist das Ganze an Absurdität kaum zu überbieten. Ein SVP-Nationalrat kriegt aus dem (frei zitiert nach SVP-Manier) “Gutmensch-Multikulti-Künstler-Wischiwaschi”-Finanzierungspool seine Präsidentenfeier geschüfelet. Abgesehen davon, dass sich jeder normale Bürger mit einem Jahreseinkommen von deutlich unter dem verjubelten Betrag ziemlich veräppelt vorkommen muss. Wofür zur Hölle braucht man so viel Geld?
Daniel Badraun | 07.12.2011, 22.13 Uhr
290’000.- Franken für eine Wahlfeier? Nicht schlecht, Herr Walter. Nicht schlecht, lieber Thurgau.
Der Lotteriefonds als Selbstbedienungsladen, als Jekamitreffpunkt! Die Summe verpufft an einem Tag, die Gäste satt und angeheitert, der Nutzen gleich NULL.
Wenn man bedenkt, wie viele Konzerte, Theaterprojekte, Ausstellungen oder Bücher mit dieser Summe hätten unterstützt werden können, wie viel professionelles Kulturschaffen längerfristig Realität hätte werden können, so darf die Faust ruhig geballt werden. Wenn man sich dann noch die geschliffenen Reden der Damen und Herren Grossräte in der Spardebatte vorstellt, die dem Volk nun vorbildlich zeigen wollen, wie haushälterisch man mit den Mitteln umgehen muss, so bleibt eine grosse Leere und Bitterkeit.
Dieter Langhart | 12.12.2011, 12.59 Uhr
Aufgefallen (TZ vom 12.12.2011)
Kunst kommt von nehmen können
Hansjörg Walter ist Nationalratspräsident und vielleicht bald Bundesrat. Seine Feier in Wängi hat sich der Kanton viel kosten lassen: fast 300 000 Franken aus dem Lotteriefonds. Das hat den „Blick“ gestört, die TZ nicht. „Der Lotteriefonds des Kantons Thurgau unterstützt kulturelle, soziokulturelle und soziale Projekte“, sagt das Kulturkonzept Das ist Definitions- und Auslegungssache. Thurgaukultur.ch griff den Ball in einem Blog auf und meinte, solche Feiern müssten aus der Wirtschaftsschatulle finanziert werden. Die Kommentare waren besänftigend bis bitter. Warten wir ab, woher der Kanton das Geld nimmt für eine etwaige zweite Feier. Auch da wird gewiss gesungen und musiziert. (dl)
Sascha Erni | 13.12.2011, 09.05 Uhr
Ich muss zugeben, dass mich sowohl die Form der Finanzierung als auch der Umfang irritieren. Die Gelder des Lotterie-Fonds sind zweckgebunden; dass man eine Image-Veranstaltung als passend einstuft empfinde ich als grenzwertig. Der Umfang von fast 300’000 Franken für eine Feier ist angesichts der Höhe ausgelobter Stipendien und Preisgelder für Kulturschaffende nur schwer nachvollziehbar.
Ich bin enttäuscht von der Berichterstattung der TZ, die laute Empörung des Blicks ist allerdings auch nicht sonderlich konstruktiv.
Dieter Langhart | 14.12.2011, 11.38 Uhr
Immerhin: der Kanton kann sich jetzt eine zweite Feier schenken.
Brigitta Hochuli | 14.12.2011, 13.08 Uhr
14.12.2011, 10.30 Uhr. Hansjörg Walter steht nicht mehr zur Verfügung. Ein zweites Fest hätte ich ihm und dem Thurgau gegönnt. Die Diskussion über die Finanzierung bleibt offen. Es wird wieder Gelegenheiten geben.
Bruno Oetterli Hb., Dozwil | 16.12.2011, 17.48 Uhr
Ehre, wem Ehre gebührt, nichts dagegen. Aber: Man verdankt es dem «Blick am Abend» vom 2. Dezember (Bericht von Karin Müller), dass man erfahren darf, wie grosszügig der Kanton Thurgau die Jubelfeier für den Nationalratspräsidenten Hansjörg Walter in Wängi dotierte: mit 290’000 oder 300’000 Franken? Der genaue Betrag tut wenig zur Sache. Wichtig: Endlich setzt sich das neue Prinzip der thurgauischen Kulturförderung durch: Förderung der Leuchttürme! Und dieser allseits geschätzte Politiker leuchtet schliesslich bis nach Bern und von dort aus in alle Landesteile und sogar ins Ausland hinaus.
Es hätte mich schon interessiert, aus welchem Kässeli der Kanton das Geld für die Feier eines thurgauischen Bundesrats genommen hätte. Anständige Feierlichkeiten wären unter einer halben Million doch gar nicht zu machen gewesen. Auf wessen Kosten?
Alle jene Farbenmischer, Schreiberlinge, Poetae minores, Buchgestalter, Tonsetzer und Träger subkultureller (?) Dorfkultur begreifen jetzt, dass ihre häufige Nichtberücksichtigung durch den Lotteriefonds halt ihrer ungenügenden Strahlkraft zuzuschreiben ist. Mit Nobodys kann man für den Kanton keine Werbung machen. Wahrlich, die Gratisbewirtung von über 400 geladenen Gästen aus Partei, Politik und Wirtschaft, von den 4200 Einwohnern Wängis nicht zu reden, war ein singuläres «innovatives Kulturprojekt»!
Wie immer: Der Zweck heiligt die Mittel und das Vorgehen. Denn selbstverständlich dient das alles dem öffentlichen Interesse. Nicht so das oft lebenslange Bemühen thurgauischer Künstler, deren Bestrebungen von der Frauenfelder Expertokratie nicht selten als «nicht in öffentlichem Interesse» oder als «künstlerisch wenig wertvoll» abqualifiziert werden. Es war schon immer so: Was kulturell wertvoll ist, wird oben gesagt.
Benedikt | 16.12.2011, 18.50 Uhr
Manchmal ist Kultur das Zeichen ihrer Zeit … und sich zu feiern, ist schliesslich genuiner Bestandteil der Politik, oder nicht?
Daniel Badraun | 17.12.2011, 01.53 Uhr
Die TZ hat heute nachgelegt. Herzlichen Dank. Abgerechnet ist das Fest also noch nicht. Man wird sehen. Auf die leidige ‘Leuchtturmdiskussion’, lieber Bruno Oetterli, kann ich gut verzichten, mir passt eine Kulturförderung, die in die Breite und Tiefe zielt gerade so gut wie eine, die sich in schwindelerregende Höhen wagt.
Und sowohl beim Leuchtturm wie auch bei Hansjörg Walter darf gefragt werden, wie viel die Bewohner des Umlandes von der Leuchtturmspitze sehen. Aber vielleicht ist das nun auch zu kleinkrämerisch gedacht.
Brigitta Hochuli | 23.12.2011, 11.54 Uhr
Die Regierung hat ihren Entscheid “präzisiert”. Nur noch ein Drittel der Kosten für das Fest von Nationalratspräsident Hansjörg Walter wird nun dem Lotteriefonds entnommen. Aber auch diese Massnahme wird auf Kritik stossen…
Dieter Langhart | 23.12.2011, 16.02 Uhr
Kanton Thurgau (TZ vom 23.12.2011/wid)
Vor allem Steuergelder für Walter-Feier
Der Regierungsrat reagiert auf die Kritik der Kulturszene: Die Wahlfeier für Nationalratspräsident Hansjörg Walter bezahlt der Kanton zu zwei Dritteln aus Staatsmitteln. Nur ein Drittel wird aus dem Lotteriefonds finanziert. Das bringt neue Kritik.
Noch flattern die Rechnungen in die Staatskanzlei. Wie viel die Feiern in Bern und im Thurgau für die Wahl des neuen Nationalratspräsidenten Hansjörg Walter gekostet haben, ist noch nicht bekannt. Budgetiert sind dafür maximal 290?000 Franken. Inzwischen ist aber immerhin klar, aus welchen Töpfen genau das Geld kommt. Der Regierungsrat hat gestern präzisiert, dass nur ein Drittel des Betrags dem Lotteriefonds entnommen wird. Zwei Drittel zahlt die Staatskasse – also der Steuerzahler.
Damit tritt die Regierung der Kritik von Kulturschaffenden entgegen. Die Befürchtung, dass ein Grossteil der Kosten aus dem Lotteriefonds finanziert werden könnte, hatte bei ihnen für böses Blut gesorgt. Zweck des Fonds ist nämlich die Unterstützung kultureller, gemeinnütziger oder humanitärer Tätigkeiten. Ein Fest für die Oberen auf dem Buckel der Kulturschaffenden sei das gewesen, war darum der Tenor in der Szene (TZ vom 16. Dezember).
Kritik in Entscheid eingeflossen
Von Anfang an sei geplant gewesen, die Kosten für die Feier zwischen Staatskasse und Lotteriefonds aufzuteilen, sagte gestern die zuständige Regierungsrätin Monika Knill auf Anfrage. «Die kritischen Rückmeldungen aus Kulturkreisen sind in den Entscheid eingeflossen», räumte sie aber ein.
Erst nach den Feierlichkeiten habe sich bestimmen lassen, wie hoch der kulturell-gemeinnützige Anteil gewesen ist und was reine Repräsentation war, sagte Knill. Das erste bezahlt der Lotteriefonds, das zweite der Kanton aus den allgemeinen Staatsmitteln. Zum kulturell-gemeinnützigen Teil der Feiern zählt Knill die Darbietungen, aber auch die Verpflegung der anwesenden Bevölkerung. Auf Franken und Rappen genau lasse sich die Aufteilung aber nicht machen.
Ganz zum Verstummen gebracht hat der Regierungsrat die Kritik mit seinem Entscheid allerdings nicht. «Die Regierung ist zwei-Drittel-einsichtig», sagt der Thurgauer Kulturpublizist Alex Bänninger. Der Regierungsrat habe die Chance verpasst, aus einem Fehler eine Geste zu machen, indem er die ganze Feier aus Staatsmitteln bezahlt. Bänninger hofft nun, dass im Gegenzug die Kulturschaffenden auf mehr Grosszügigkeit bei den Lotteriefonds-Geldern hoffen können.
Finanzpolitiker unzufrieden
Der Regierungsrat brachte nicht nur die bisherigen Kritiker nicht zum Verstummen, sondern rief auch noch neue auf den Plan. Zwar hat eine Mehrheit in der Geschäftsprüfungs- und Finanzkommission des Grossen Rats grünes Licht für das Vorgehen gegeben. Nicht einverstanden ist aber zum Beispiel FDP-Kantonsrat Richard Nägeli: «Es ist falsch, wenn die Regierung wegen ein bisschen Wirbel kippt.» Man hätte die ganze Feier aus dem Lotteriefonds bezahlen sollen, sagt Nägeli – so wie es der Kanton in früheren Fällen auch schon gemacht habe.
Heinz Hafner | 06.01.2012, 20.57 Uhr
Ich bin mit dem Blick NICHT einverstanden; denn “Wer hat, dem wird gegeben …”. Allerdings: Hat nicht auch Herr Hildebrand? Und weshalb musste er das mühsam Erwirtschaftete dann wieder weggeben?

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