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von Brigitta Hochuli, 16.02.2011

"C'est la vie"

Silvia Oberhänsli | © Filmausschnitt

Die Hinterthurgauer Fotografin Silvia Oberhänsli zeigt im Kloster Fischingen 21 ungeschönte Lebensgeschichten von Menschen, die nicht der Norm entsprechen.

Brigitta Hochuli

„Sehr emotional - Bilder, die zu Tränen rühren - danke!“- Im Gästebuch zur Ausstellung von Silvia Oberhänsli im Bildungshaus des Klosters Fischingen reiht sich Kommentar an Kommentar. Zur Vernissage am 9. Februar kamen 170 Besucher. Ein schöneres Geschenk hätten sie der Fotografin nicht machen können: Die dreifache Mutter feierte an diesem Tag ihren 50. Geburtstag.

Die Schwarzweiss-Fotografien sind auf drei Ebenen aufgebaut: den Hintergrund, die Person und ein beschriebenes Blatt Papier. Sie zeigen eine Gehörlose im lärmigen Strassenverkehr, Mutter und Tochter, die sich nach 40 Jahren wiedergefunden haben, die Schwester von Silvia Oberhänsli am Ort ihres Autounfalls, einen schwulen Vater oder den querschnittgelähmten ehemaligen Skirennfahrer Silvano Beltrametti. Alle 21 Porträtierten haben auf Papier einen für sie lebenswichtigen Satz formuliert. Eine schwerst Behinderte wünscht sich eine „Edhelsteinkete“, eine alte Dame „hätte gern Kinder gehabt“, eine schöne Frau zeigt stolz ihre neue Weiblichkeit, nachdem ihr der Krebs „meine Echten Brüste genommen“ hat. „Ich habe das Altersheim verlassen und nochmals eine Eigene Wohnung genommen“, teilt ein alter Mann dem Betrachter mit. „Durch den Unfall haben sich für mich neue Türen geöffnet“, lautet der Satz von Beltrametti. Er sitzt vor einem geschlossenen Skiraum.

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Silvia Oberhänslis Bilder sind weder gerahmt noch hinter Glas zu sehen, sondern auf Fahnenstoff berührbar. „Zwischen Betrachter und Bild soll keine Schranke entstehen“, erklärt sie bei einem Augenschein im klösterlichen Kreuzgang. Der Offenheit der gezeigten Menschen und dem vertrauensvollen Zugang der Fotografin zu deren Lebensgeschichten entspricht auch der Titel der Ausstellung. Nicht wie ursprünglich geplant heisst er „Schicksalsfotografie“, sondern - mit einer Prise Humor und einem grossen Löffel voller Lebensweisheit -: „C‘est la vie“.

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Ist Silvia Oberhänsli eine Künstlerin? „Es isch eifach Kunscht, wo me verschtoht“, sagt sie und ist glücklich damit. Sie hat mit ihren Bildern Geschichten erzählt, die berühren sollen. Es sind dabei schöne Beziehungen entstanden, zum Teil über viele Monate aufgebaut, oft in nur fünf Minuten fotografiert. Manchmal staunte sie selber über das Resultat. „Ich habe versucht, das Innerste dieser Menschen nach Aussen zu kehren, ohne dabei ihre Gefühle zu verletzen.“ Das ist Silvia Oberhänsli gelungen.

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Person

Silvia Oberhänsli ist am 9. Februar 1961 geboren und im st. gallischen Bronschhofen aufgewachsen. Nach der obligatorischen Schulzeit und einem Welschlandaufenthalt absolvierte sie eine Lehre als medizinische Masseurin und Bademeisterin. Später schloss sie eine Zusatzausbildung zur eidgenössisch diplomierten Podologin ab. Im Alter von erst 23 Jahren wagte sie den Schritt in die Selbständigkeit und eröffnete die eigene Fusspflege- und Massagepraxis. Als 1986 die erste Tochter geboren wurde, reduzierte sie die berufliche Tätigkeit. 1988 und 1991 folgten eine weitere Tochter und ein Sohn.

„Schon in jungen Jahren gehörte meine Leidenschaft der Fotografie“, schreibt Silvia Oberhänsli in ihrem Lebenslauf. Dies führte im Jahr 1997 zum Beitritt in den Photoclub Münchwilen und zu Photosuisse. Sie besuchte Kurse und spezialisierte sich auf die Schwarzweiss-Fotografie. Die intensive Auseinandersetzung mit der digitalen Fotografie führte 2007 zum Entschluss, die professionelle Ausbildung an der CAP Fotoschule in Zürich anzugehen. Im Sommer 2008 bestand sie die Prüfungen mit Erfolg. Seit dem Abschluss arbeitet sie als Auftragsfotografin in den Sparten People, Industrie und Architektur. Gleichzeitig startete sie das Projekt „C‘est la vie“.

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  • Kunst

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