von Anabel Roque Rodríguez, 29.03.2018
Wenn dem Alltäglichen ein Zauber innewohnt
Zwei Welten in einer: Die Fotografin Simone Kappeler und der Filmemacher Mika Taanila treffen in einer neuen Ausstellung der Galerie widmertheodoridis aufeinander
Die Fotografien der Thurgauer Künstlerin Simone Kappeler lassen eine Welt erscheinen, die wir mit blossem Auge so nicht wahrnehmen würden. Sie beweisst in ihren auratischen Werken, dass das Medium Fotografie viel mehr kann, als nur abzubilden und, dass jedes Bild eine durch den Fotografen subjektiv komponierte Bildwirklichkeit darstellt. "Meine Vision von Fotografie ist nicht, ein eins-zu-eins Bild der Wirklichkeit zu machen, sondern ein bisschen davon abzurücken, um so das Sehen neu zu ermöglichen. Es geht darum, etwas festzuhalten und dem Strom der Zeit zu entreissen."
In der Doppelausstellung der beiden Künstler Simone Kappeler und Mika Taanila werden in der Galerie WidmerTheodoridis in Eschlikon zwei künstlerische Handschriften ausgestellt, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten und doch Gemeinsamkeiten aufweisen. In der Ausstellung «Fleur» präsentiert Simone Kappeler verschiedene Werke, die experimentell die Grenzen der analogen Fotografie erweitern. In ihren neuen Cyanotypien und den Nachtbildern von ihrem Garten gibt sie dabei einen Einblick in ihr Schaffen, das sich zwischen Experiment, glücklicher Fügung und einer exzellenten Beherrschung des fotografischen Handwerks aufspannt.
Der richtige Reifegrad
Charakteristisch für das Schaffen von Simone Kappeler sind Kameras unterschiedlicher Qualität in Kombination mit dem Experimentieren am Filmmaterial. Sie lässt Polaroids altern und scannt diese ein, wenn sie den richtigen Reifegrad haben; lässt Filme ablaufen, um zu sehen, wie sich die Eigenschaften verändern; experimentiert damit, ihre Filme in unterschiedlichen Chemikalien zu entwickeln; oder lässt sich auf glückliche Fügungen ein, wenn ein vermeintlich ausgelaufenes Polaroid, doch noch als Goldregen eingesetzt werden kann. Wie einen lebendigen Organismus beschreibt die Künstlerin ihr Verhältnis zur Fotografie „Es gibt für alles die richtige Zeit. Wenn es zu früh oder zu spät ist es nicht der richtige Moment. Manche Dinge müssen reifen.“ Ihre Bilder reflektieren dieses spezielle Verhältnis zur Zeit, erscheinen mal ausserhalb jeder Zeit und mal in direktem Verhältnis zu einem fast schon spirituellen Verhältnis zur Ewigkeit.
Weisser Pfau. Bild: Simone Kappeler
Zur Ausstellungseröffnung in der Galerie gab es eine etwa einstündige Führung des Galeristen Jordanis Theodoridis zusammen mit der Künstlerin. Im Untergeschoss sind ihre eingescannt und vergrösserten Polaroids zu sehen. Auffällig ist das schwarze Papier, das die Abzüge umgibt. Es handelt sich dabei um analoges Fotopapier, „das wertvollste Papier der Fotografie“ wie die Künstlerin erklärt. Für gewöhnlich wird dieses beim Entwickeln der Bilder weggeschnitten, aber sie hat den Entwickler darum gebeten es stehen zu lassen. Immer wieder während des Künstlergespräches fällt auf, dass die Künstlerin sich treiben lässt, dem künstlerischen Prozess vertraut und gerne Neues ausprobiert.
Erinnerung an Zwischenwelten
Um die mystische Aura ihrer Bilder zu beschreiben, die besonders in ihren Werken der Nachtgärten an zauberhafte Zwischenwelten erinnern, zitiert der Galerist den Maler William Blake „There are things known, and things unknown, and in between are Doors.“ Dieses Zitat beschreibt sehr gut das „Dazwischen“ ihrer Fotografien. Während die Qualität ihrer Bilder malerische Züge aufweist und sensibel eine Stimmung schafft, liegen den Werken technische Prozesse und Experimente zu Grunde: Gestaltung und Technik gehen immer wieder aufs Neue ein Wagnis ein. Man fragt sich als Betrachter unweigerlich, wie das Bild eigentlich entstanden ist. So erzählt sie im Künstlergespräch, wie ihre Aufnahmen der Nachtgärten mit einer Digitalkamera mit Restlichtverstärker entstanden sind und sie anschliessend bei der Entwicklung der Bilder mit Fremdchemikalien experimentierte. Es benötigt also einen Prozess bis das Mystische zu sehen ist.
Ihre neueste Werkgruppe besteht aus Cyanotypien, die sie letzten Sommer in Südfrankreich entwickelt hat und auf dem Pflanzen zu sehen sind. Bei dieser historischen fotografischen Technik wird das lichtempfindliche Papier in Chemikalien gelegt – ein fast schon alchemistischer Prozess, wie die Künstlerin berichtet, bei dem jeder Künstler ein etwas unterschiedliches Mischungsverhältnis nutzt – sowie getrocknet und anschliessend belichtet. Der Schattenwurf des jeweiligen Gegenstandes, zeigt sich als weisse oder hellere Stelle auf dem fotosensitiven Papier und lässt somit das eigentliche Bild entstehen. Das Verfahren erfordert ein hohes Mass an handwerklichem Geschick und ist eine Kombination aus richtiger Belichtungszeit, Sonnenstand, Lichtintensität und lichtempfindlicher Schicht. Dabei gelingt natürlich nicht jedes Blatt, erzählt Simone Kappeler, von den 440 Versuchen hielten ihrem kritischen Auge gerade einmal etwa 44 stand.
Fotografie von Simone Kappeler. Gräser mit Spinnennestern. Bild: Anabel Roque Rodriguez
Kontraste zur filmischen Welt von Mika Taanila
Während im Neubau der Galerie die Fotografien von Simone Kappeler ausgestellt werden, wird es ganz im programmatischen Sinne der Galeristen im ehemaligen Stall im Nachbargebäude noch experimenteller. Hier stellt der finnische Filmemacher Mika Taanila seine Arbeiten aus und führt den Betrachter an die Grenzen der filmischen Erfahrung. Der Künstler konnte seine Arbeiten bereits in international bedeutenden Gruppenausstellungen wie der dOCUMENTA (2012), Shanghai biennale (2006) oder Berlin Biennale (2004) zeigen und stellte letztes Jahr in der Venedig Biennale im Nordischen Pavillon aus.
Gleich im Untergeschoss der Ausstellung begegnet uns die Interpretation des Kultfilmes „The Man Who Fell to Earth“ (1976) mit David Bowie in der Hauptrolle. In seiner künstlerischen Version des Filmes, entledigt sich Mika Taanila der gesamten narrativen Ebene, alle Menschen und Handlungen sind entfernt und der Film ist auf kompakte 8 Minuten gekürzt, zudem wird der Film verkehrt herum auf dem Kopf und rückwärts abgespielt. Konsequenterweise ändert er auch den Titel in "The Earth Who Fell to Man". Eine befremdliche Präsentation, die den Betrachter etwas irritiert zurücklässt und damit der Intention des Künstlers folgt. Die Werke des Finnen bilden eine Art Collage, um über den Menschen in der Postmoderne nachzudenken. Themen wie die Orientierungslosigkeit, die Faszination an Technik und dem Fortschritt, Zukunftsvisionen, aber auch das Verhältnis des Menschen in der Welt spielen dabei eine wesentliche Rolle in seinen künstlerischen Arbeiten.
Verbindende Elemente
Die Werke der beiden Künstler erscheinen, wie eingangs erwähnt auf den ersten Blick völlig unterschiedlich und doch lassen sich verbindende Elemente feststellen. Beide teilen einen ähnlichen Blick auf die Komposition von Wirklichkeit und verwehren sich vielmehr einer Realität, die nur einen Zugang ohne künstlerische Interpretationen erlaubt. Wie Simone Kappeler, experimentiert auch Mika Taanila mit seinem Medium, filmt ohne Kamera, sucht sich historisches Material und fühlt sich an den Aussengrenzen des filmischen Mediums wohl. Für den Künstler hat das Medium Film nicht nur mit dem sichtbaren Endprodukt zu tun, sondern ist viel mehr auch mit dem technischen Bewusstsein verbunden, so wie bei „Optical Sound“ (2005) bei dem ihn der Lärm von Nadeldruckern zu einer Art Filmmusik inspiriert. Das Ergebnis ist nicht immer leicht verdaulich für den Betrachter, aber oft sind es die Arbeiten, die sich im ersten Moment verschliessen und mit denen man sich länger auseinandersetzen muss, jene die einem noch lange im Kopf bleiben. Eine Ausstellung, deren Besuch sich lohnt.
Termine: Die Ausstellungen sind noch bis zum 28. April in der Galere WidmerTheodoridis in Eschlikon zu sehen. Am Ostersamstag 31. März präsentiert die Galerie um 18 Uhr den Film „Tectonic Plate“ (ca. 74 Minuten) in der Galerie auf Grossleinwand. Anmeldung erwünscht: mail@0010.ch
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