Seite vorlesen

von Anabel Roque Rodríguez, 15.12.2017

Den Kopf öffnen

Den Kopf öffnen
In einer Ausstellung in der Galerie Kirchgasse zeigt der Swiss-Art-Award-Preisträger Cedric Eisenring neue Arbeiten. | © Leo Lences

Wird ein Künstler mit einem Preis gewürdigt ist dies eine Wertschätzung seiner Arbeit und steigert seine Sichtbarkeit. Für den Züricher Künstler Cédric Eisenring war 2017 ein preisgekröntes Jahr. Mit der Auszeichnung des Swiss Art Award und dem Manor Kunstpreis, der ihm im Januar 2018 eine Einzelausstellung im Aargauer Kunsthaus ermöglicht, ist seine konstante und intelligente künstlerische Praxis ausgezeichnet worden. Nun hat er eine Ausstellung in der Galerie Kirchgasse in Steckborn eröffnet, die neue Arbeiten zeigt. Eine gute Gelegenheit für einen Besuch.

Von Anabel Roque Rodriguez

Betritt man die Galerie in der namensgebenden Kirchgasse fällt auf, dass sich der Galerieraum völlig verändert hat. Aus dem vormals grossen quadratischen Raum ist mit Hilfe von neuen Wänden eine Verkleinerung vorgenommen worden. In den Wänden sind Arbeiten eingelassen, die mit ihrem farbigen Leuchten unweigerlich – vielleicht auch durch die Nähe zum sakralen Bau hervorgerufen - erstmal an Kirchenfenster erinnern. Diese Objekte, die auf den ersten Blick wie Bilder an den Wänden aussehen, entpuppen sich als Türen, die man öffnen und durch die man hindurchgehen kann, um zu weiteren schmalen Zwischenräumen zu gelangen. Hier zeigt sich Cédric Eisenrings Fähigkeit mit Raum zu spielen, ihn sich anzueignen und zu verändern, damit er neu entdeckt werden kann. In seiner raumgreifenden Intervention nimmt er den Galerieraum auseinander und baut ihn für seine Bedürfnisse wieder neu zusammen, fügt ihm Erzählstränge hinzu und zeigt das Kunst sich nicht immer an der Realität abarbeiten muss.

Räumliche Collagen erzählen Geschichten

Die Malerei, die sich Schicht um Schicht auf dem gehärteten Epoxidharz der Türen befindet, erscheint erst abstrakt, folgt man aber der Form und der Umrisslinie an der Wand erkennt man, dass es sich um einen Kopf handelt. Als Inspirationsquelle seiner Themen liegen immer wieder Märchen, Geschichten sowie Comics zugrunde. Bei den Köpfen im Konkreten der Comic „Lock and Key“. Kaum hat der Künstler selbst die Referenz ausgesprochen erwidert Cédric gleich „Die konkrete Vorlage ist unwichtig“. In der Tat abstrahiert er den malerischen Prozess so stark, dass man sich sehr konzentrieren muss, das Figurative zu erkennen. Ihm geht es ausserdem nicht um die konkrete Referenz, sondern er nutzt diese wie Bausteine für seine eigene Welt – baut eine Art räumliche Collage daraus. Die Köpfe werden zu einer Metapher, die den Besucher beim Öffnen und Hindurchgehen in eine tiefere Bedeutungsebene führen – in die Phantasiewelt im Kopf des Künstlers, wenn man so möchte. Je grösser die Bereitschaft ist, sich auf die Ausstellung und ihre Geschichten einzulassen, desto mehr entdeckt man. Es gibt immer wieder Überraschungsmomente. Geht man durch die Kopftüre hindurch, ist der Blick plötzlich frei zu einem Pfosten des alten Fachwerkhauses aus dem 16. Jahrhundert – für einen kurzen Augenblick treffen sich die Gegenwart der Ausstellung und das Historische des alten Hauses und werden neu inszeniert.

Spiel mit dem Raum: Cedric Eisenrings Kunst korrespondiert auch mit den alten Balken der Galerie KirchgasseSpiel mit dem Raum: Cedric Eisenrings Kunst korrespondiert auch mit den alten Balken der Galerie Kirchgasse. Bild: Leo Lencses

Das  Erzählerische ist ein wichtiger Punkt in den Arbeiten des Künstlers: Er möchte Architektur, Materialien und Geschichten zu neuen Welten verbinden. Ein Eindruck, der sich subtil durchzieht und bereits bei dem Blick auf die Einladungskarte beginnt. In Spiralform steht dort rätselhaft geschrieben: „Denn das – so scheint es – ist das Leben der körperlosen Geschöpfe jener Welt, die ein Schatten unserer Welt ist. Ewig liegen sie auf der Lauer nach einem Weg in einen sterblichen Körper – um sich in ihn zu stürzen – als Figuren, als Wahnwitziggebilde, als leidenschaftliche Begierden und tolle, seltsame Lüste, selig in dem Körper, den sie erwischt haben.“ Es handelt sich hier um einen Auszug aus dem Kapitel „Der gestohlene Köper“ aus „Der gestohlene Bazillus und andere Geschichten“ von Herbert George Wells. Dieser gilt als Pionier der Science-Fiction-Literatur, ein Genre, das dafür bekannt ist eigene Welten zu schaffen und Experimente zu wagen.

Herausfordernd, aber lohnend

Man muss sich als Besucher auf Ausstellungen wie die von Cédric Eisenring einlassen, weil es Kunst ist, die in sich ruht und nicht auf äussere Umstände reagiert. Sie schult die Beobachtungsfähigkeit; lässt den Betrachter aktiv werden durch Momente des Zeigens und Verbergens und spielt damit, dass man als Betrachter selbst Teil einer Erzählung wird. Es handelt sich hier um keine Ausstellung, bei der man sich nur auf seinen Sehsinn verlassen kann, sondern die Ausstellung ist gerade deswegen aufregend, weil man den Dialog zwischen Materialien, Raum und der Phantasiewelt aktiv erleben kann. In Zeiten in denen Kunst häufig auf politische Diskurse reagiert, ist die Ausstellung von Cédric Eisenring ein fokussierte Blick in die Innenwelt der Kunst, wo Räume und das Phantastische sich treffen und uns Einblick in den Kopf des Künstlers gewähren.

Cédric Eisenring (*1983, lebt und arbeitet in Zürich) absolvierte 2014 seinen Master in Fine Arts an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Die Ausstellung in der Galerie Kirchgasse wurde von Leo Lencses kuratiert und ist noch bis zum 18. Januar 2018 zu sehen. Knapp eine Woche später eröffnet er am 26. Januar 2018 seine Einzelausstellung im Aargauer Kunsthaus.

Der Künstler himself: Cedric Eisenring

Der Künstler himself: Cedric Eisenring. Bild: Bundesamt für Kultur

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Kunst

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kritik

Werbung

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“

Wie ist es im Kanton für junge Musiker:innen? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen!

Was bedeutet es heute Künstler:in zu sein?

In unserer Serie «Mein Leben als Künstler:in» geben dir acht Thurgauer Kulturschaffende vielfältige Einblicke!

Eine verschleierte Königin

Einblicke ins Leben der Künstlerin Eva Wipf: Hier geht's zu unserer Besprechung der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau.

«Kultur trifft Politik» N°I

Weg, von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Bei der ersten Ausgabe am Mittwoch, 27. November geht es um das Thema "Räume".

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

#Kultursplitter im Oktober/November

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Kulturplatz-Einträge

Kulturorte, Veranstaltende

Kirchgasse

8266 Steckborn

Ähnliche Beiträge

Kunst

Was wirklich zählt

Johannes Diem, Erwin Schatzmann, Rudolf Baumgartner und Willi Hartung erzählen ihre eigene Schöpfungsgeschichte. Im Museum Kunst + Wissen entführen sie uns in fantastische Welten. mehr

Kunst

Die magische Grenze

Der Dokumentarfilmer Friedrich Kappeler hat sein Leben lang auch fotografiert, diese Bilder aber kaum je ausgestellt. Jetzt öffnet das Buch «Im tiefen Thurgau» Einblick in sein Bilduniversum. mehr

Kunst

Kleider schreiben Geschichten

Die Künstlerin Andrea Vogel bespielt in diesem Jahr das Sommeratelier in Weinfelden. Sie sucht dabei nach der textilen DNA der Stadt. mehr