von Isabel Schenk, 19.06.2024
Zurück in die Zukunft
Wie viel Vergangenheit steckt in der Zukunft? Das ist eine von vielen Fragen, die Pablo Walser in seiner neuen Ausstellung im Shed des Frauenfelder Eisenwerk stellt. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
In der Shed-Halle im Eisenwerk hat Pablo Walser Zukunftsideen ausgestellt. Den Titel «Remember the Future» will er dabei nicht als widersprüchlich begreifen, denn die Zukunft beginne ja nicht erst morgen oder in zehn Jahren, sondern eigentlich schon gestern. Schliesslich formen unsere Entscheidungen die Zukunft.
Die alte Industriehalle im Eisenwerk bildet einen schlichten Gegensatz zu den von Walser angeordneten Zukunftsvisionen und bringt gleichzeitig die historische Dimension in die Ausstellung ein. In der Mitte steht eine geodätische Kuppel, gebildet aus langen Bambusstangen und blauer Folie. Die Bauweise schaute sich Walser von Richard Buckminster Fuller, dem US-amerikanischen Architekt und Erfinder dieser architektonischen Form, ab.
Pablo Walser (1989*) ist bildender Künstler und studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. In seinen Werken versucht er kollektives Bewusstsein sichtbar zu machen und nutzt dazu ganz verschiedene Materialitäten und Medien wie Videos, Gemälde, Comics oder Fundstücke. 2019 erhielt er für seine Arbeit den Adolf Dietrich Förderpreis und stellte im Anschluss im Kunstraum Kreuzlingen aus.
Eine Vision aus Südamerika
In der Kuppel, dem eigentlichen Cockpit der Erde, befinden sich weisse Stühle mit roten Polstern. Sie erinnern an ein zweites historisches Vorbild, nämlich den Kontrollraum des Cybersyn-Projekt in Chile anfangs der 1970er-Jahre. Mittels Computertechnik sollten die unter Salvador Allende verstaatlichten Betriebe planwirtschaftlich, gerecht und effizient verwaltet werden.
Hierzu wurde der Kybernetiker (Kybernetik: Lehre von der Steuerung von technischen oder natürlich Systemen) Stafford Beer hinzugezogen. Im Falle von Chile sollten per Fernschreibern die Daten der staatlichen Unternehmen in die Hauptstadt übermitteln werden, so dass auf Basis der Informationen strategische Entscheidungen gefällt werden konnten. Dieses Informationssystem wird teilweise mit dem heutigen Internet verglichen und war damit in den 1970er-Jahren absolut zukunftsweisend.
Ein Ameisenvolk zu Gast
Zukunft wird häufig als technischer Fortschritt begriffen, was aber macht die Technik mit der Gesellschaft oder dem einzelnen Menschen? Eine Gesellschaft hat Walser mitgebracht. Über Schläuche krabbeln die einzelnen Individuen zwischen den Exponaten hin und her – seien es Lego-Gebäude, dem Schaltraum en miniature oder Erdhäufen in Plexiglas-Kuben: Ameisen.
Ab und an bricht auch mal eine aus und erkundet den Hallenboden, wird dann von Walser aber wieder ins eigentliche Habitat zurückgebracht. So verpasst die kleine Ameise ihre mechanische grosse Schwester, eine nachgebaute, technische Ameise, die auch ein paar Schritte gehen kann.
Dass dieses Geschöpf Maschine und nicht Ameise, erscheint in diesem Fall klar, verschwimmt aber in Zeiten der technischen Modifikation von Lebewesen immer mehr. Transhumanismus nennt sich eine philosophische Strömung, welche die Fähigkeiten der Menschen durch technische Hilfe steigern will und damit das Ziel, einen Übermenschen zu erschaffen, verfolgt.
Die Grenzen des Menschen
Walser lässt auch diese philosophischen Stimmen einfliessen, beispielsweise über die Einspielung eines Interviews mit Janina Loh, einer jungen Philosophin und Vertreterin des kritischen Posthumanismus. Dieser fragt nach den Grenzen des Menschen, danach, ob es überhaupt wesentliche Merkmale gibt, die den Menschen zum Menschen machen. Diese Denkrichtung überlegt auch, was passiert, wenn die Definition des Menschen auf einmal schwammig wird: Wird man durch Technik dann mehr oder weniger zum Menschen?
Das Interview, das in einer fernen Zukunft erst geführt wird, fokussiert auf die Abkehr vom anthropozentrischen Weltbild des Heute. Zukünftig, so die Utopie wird nicht mehr der Mensch als Zentrum allen seins und aller Existenz begriffen, auf den Tiere wie Pflanzen in ihrem Sein (unfreiwillig) ausgerichtet sein müssen.
Viel mehr wird die Utopie einer polyamoren Lebensweise mit einem partizipativen Zusammenleben mit Tieren wie Pflanzen erdacht. Ändert sich in gängigen Science-Fiction-Erzählungen häufig vor allem die Technik, weniger die Gesellschaft, so hat diese Zukunftsvision ihr Augenmerk doch vor allem auf den gesellschaftlichen Fortschritt gelegt.
Eine Einladung zu Entdeckungen
Die Ausstellung besticht durch die Vielfalt an Farben, Materialien und Medien. Wer das Abstrakte liebt, wird mit den Comics an der Wand ebenso glücklich sein, wie mit den Gemälden als Transporteure fast dadaistischer anmutenden Sprüche.
Die unterschiedlichen Materialien und die Komposition der Materialien laden zum Entdecken ein, ebenso wie die Möglichkeit, in der Ausstellung selbst kreativ zu werden. Besonders die in der Mitte der Kuppel aufgehängte Stadt bietet für Gross und Klein unzählige Details, aber auch optische Effekte, in deren Betrachtung es zu versinken lohnt.
Von Isabel Schenk
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