22.03.2024
Wie wir die Museumskrise lösen können
Die Ausbaupläne bei den kantonalen Museen sind gescheitert. Wie geht es jetzt weiter? Eine klare Fokussierung wäre ein Anfang. Ein Aufruf zur Debatte von Kurt Schmid. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Die positive Nachricht zur Lage der Thurgauer Museen ist: Sie sind nicht gefährdet. Die negative: Ihre Ausbaupläne sind gescheitert.
Seit 2007 wird im Kanton Thurgau über die kantonalen Museen diskutiert. 2009 wurde eine Steuergruppe eingesetzt. Ab 2015 wurde vier Jahre lang an einem Museumskonzept gearbeitet, welches 2019 publiziert wurde. Und mit dem Museum Werk II sollten die kantonalen sechs Museen 2028 ihre grosse Bühne bekommen. Daraus wird nichts. Mit dem Entscheid des Regierungsrates, die Eröffnung auf 2037 zu verschieben, wird der Ausbauplan Makulatur. Und das sind die Gründe.
Gute Absichten - nicht vorhandene Finanzen
Was ab 2009 angedacht und dann geplant wurde, wäre ein substantieller Ausbau der Museumssituation im Kanton gewesen. Im Museum Werk II hätten nicht nur die Koordinationsbestrebungen ihren Ort gefunden. Sie hätten auch die erforderlichen Mittel dafür erhalten.
Aber genau diese Mittel werden laut Bericht von thurgaukultur künftig fehlen: „Es fehlen gut 200 Millionen im Haushalt. Auf diese Situation mussten wir reagieren. Wir haben alle Projekte auf das Notwendigste geprüft und danach priorisiert“, sagte Diezi an einer Medienkonferenz in Arbon. Aufgeschoben sei aber nicht aufgehoben: „Trotz der Finanzlage sind wir nach wie vor von dem Projekt überzeugt und wollen es unbedingt realisieren“, so Diezi. Man müsse es nur zeitlich etwas nach hinten schieben.
Kurt Schmid wurde 1949 geboren und ist in Arbon aufgewachsen. Er kam 1980 nach dem Studium der Pädagogischen Psychologie, Kunstgeschichte und Philosophie sowie wissenschaftlicher Tätigkeit wieder in den Thurgau zurück. Seminarlehrer und Dozent für Medienbildung und Philosophie an der Pädagogischen Hochschule des Thurgau (PHTG). Schmid war Mitinitiant der Ausstellung Kunstgrenze 1984, der Kulturstiftung 1991 sowie des Kunstraums Kreuzlingen 1993. In seiner Vita stehen auch Studien zu Adolf Dietrich und die Fotografie (1994) sowie über Aby Warburg im Kreuzlinger Bellevue (2015). Betreibt an der Hauptstrasse 26 in Kreuzlingen den Kulturclub LOKAL.
Zeitlich etwas nach hinten verschieben? Nach bis heute andauernder, konkret 17 Jahren Planung noch 13 Jahre drauf bis 2037? Einmal abgesehen davon, wie viele Planungsstunden und Planungsgelder in dieser Zeit aufgewendet wurden. Mit der neuerlichen Aufschiebung droht nun der Absturz. So eine lange Bank gibt es nirgendwo. Mehr noch: Der Zeitpunkt 2037 trifft das Museumskonzept Werk II im Kern. Denn das neue Konzept sieht nicht ein Weiter im Denselben sondern eine mehr als wünschenswerte Neukonzeption eines Museumsbetriebs vor.
Ein Themenhaus zu für 2037 nicht voraussagbaren Problemen
In Arbon soll Neues und Einmaliges entstehen. Dazu zählen zukunftsweisende Ausstellungsformen, publikums- und öffentlichkeitswirksame Veranstaltungsreihen und neue Erlebnisräume. Labors eröffnen vertiefte Kooperationsmöglichkeiten mit Anspruchsgruppen aus Wirtschaft, Wissenschaft. Sie begleiten Themenwelten mit hohem Aktualitätsbezug. Zudem sollen geeignete Drittnutzungen den Standort „Museum Werk II“ noch attraktiver machen.
Diesem attraktiven Leitsatz aus dem soeben veröffentlichten Bericht „Themenhaus Museum Werk II“ des Kantons wird wohl niemand widersprechen. Auch die beispielhaft aufgeführten, teils interdisziplinär anzugehenden Themen würden viele unterschreiben. Es sind dies laut Bericht: Arbon. Das Zeitalter der Brennstoffe / Wasser. Der Kampf ums Lebenselixier / Krieg und KI-Drohne / Grosi. Warum wir immer älter werden wollen / Am Limit. Migration, Flucht und Grenzerfahrungen / Cyborg. Wettlauf Mensch gegen Maschine.
Mittendrin in den Themen unserer Zeit
Kein ernstzunehmender Mensch von heute würde behaupten, die 2037 zu erwartende Problemlage bereits heute formulieren zu können. Aber die meisten würden es wohl begrüssen, diese Themen anzugehen. Und zwar sofort. Doch genau dies kann nun nicht stattfinden. Das ist umso fraglicher, weil es in der heutigen gesellschaftlichen Debatte nicht um Kultur, sondern um militärische Aufrüstung zum Zwecke der Verteidigung oder die Lösung drängender Umweltprobleme geht. Dazu kommt eine medientechnologisch generierte Umverteilung der Informationen und damit der Erwerbschancen sowie demokratiegefährdende Propagandamöglichkeiten. Und nicht zuletzt geht es aktuell um eine generelle Zukunftsverdrossenheit, welche Kindheit und Jugend angreift.
Angesichts dieses Katalogs kann man nur wundern, dass es sich beim Grounding des Museumskonzepts beziehungsweise der Umsetzung des Themenhauses Werk zwei „nur“ um eine Aufschiebung handle. Nein! Diese Aufschiebung trifft den Nerv.
Die stets wiederkehrende Geringschätzung der Kultur
Was dabei besonders sauer aufstösst, ist der Umstand, dass zuerst und wieder einmal die Kultur drankommt. Wäre es die Agrikultur, würde dies keinesfalls unwidersprochen hingenommen. Aber anders als letztere verfügt die Kulturszene über keine wirkmächtige, vernetzte und hartnäckige Lobby. Kultur, so scheint es, kann man aufschieben. Ist dem so, weil sie in der Freizeit stattfindet und eine Zutat zum Alltag ist?
Das Themenhaus, beziehungsweise dessen Konzept, sieht dies anders. Insoweit Kultur die Befindlichkeit der Menschen tangiert und sich mit den aktuellen Lebensproblemen befasst, ist sie sinnstiftend. Genau so, wie die Landwirtschaft existenzsichernd ist. Wer dies verkennt, verkennt wohl Grundsätzliches. Denn man kann nicht erst eine Staatsverdrossenheit, eine Religionskrise und ein Desinteresse am Gemeinwohl konstatieren, um dann den Kopf in den Sand zu stecken.
Es gehört zu den grundlegenden Aufgaben des Staates, die identitätsstiftenden und kulturell sinnvollen Aktivitäten zu fördern, weil das Gegenteil zu grenzenlosem Individualismus und Unterhaltungs-Nonsens führt. Zugegeben. Im Thurgau sind sehr viele Personen kulturell engagiert und aktiv. Es besteht keine Malaise. Aber ein deutliches und dringliches Prioritätenproblem besteht beim Kanton.
Wie geht es jetzt weiter?
Nun ist es ja nicht so, dass alles verloren wäre. Der Kanton hat die Stickereihalle gekauft und es ist auch vorgesehen, rund eine Million Franken in den Bau zu investieren, damit dort temporäre Aktivitäten stattfinden können. Der Anfang soll noch in diesem Jahr mit der Beteiligung am Heimspiel, der interkantonalen Kunstausstellung, stattfinden. Es darf jetzt also mitgemacht beziehungsweise improvisiert werden. Das Grounding des Museumskonzepts und mit ihm des Themenhauses Museum Werk II mag zwar ein Fiasko hinterlassen. Es eröffnet jedoch neue Perspektiven, welche valable Alternativen bieten. Sie seien hiermit zur Diskussion gestellt.
1. Rollende Planung statt Masterplan!
Mehr und weitere regionale und interdisziplinäre Heimspiele! Statt weiterhin viel Geld in Masterplanung zu stecken, kann jährlich eine Million in den Themenbetrieb Werk II investiert werden und zwar in professionelle Leitung, Infrastruktur und Betrieb.
2. Klarer Verzicht auf den Ausbau des Kunstmuseums und des Napoleonmuseums!
Allein mit einer solchen Massnahme können rund 20 Millionen sowieso nicht vorhandener Mittel abgeschrieben werden. Nicht davon tangiert sind die dringend notwendigen Sanierungsmassnahmen. Und erste Priorität bekommt die bottom-up-Realisierung des Themenhauses Museum Werk II (siehe Punkt 4) inklusive Sponsoring. Soviel Mut zu einer Entscheidung sollte man aufbringen!
3. Anfassen der angestauten Gelder des Lotteriefonds!
Es ist geradezu grotesk, dass derselbe Kanton den Sparhobel genau dort ansetzt, wo er die grössten Reserven hat. Im Lotteriefonds schlummern 52 zweckgebundene Millionen. Es braucht eine Strategie, diese Gelder juristisch konform und politisch verträglich zu aktivieren.
4. Bottom-up statt Top-Down!
Interessanterweise wird im Bericht zum Themenhaus Museum Werk II von Kooperationen mit den lokalen Kulturinstitutionen wie dem Presswerk, der Kunsthalle, dem Saurer-Museum, dem Stadtmuseum und so weiter gesprochen. Man findet allerdings kein Wort darüber, wie diese Kooperation geschehen soll, wie auch tunlichst jedes Wort über eine Führungsstruktur vermieden wird. Dabei zeigen das Möhl-Museum, das Saurer-Museum und andere durchaus, wie Themenorientierung attraktiv gestaltet werden kann. Wie sähe es denn mit einer mehrteiligen Organisationsstruktur aus, welche dieses Potenzial einbindet?
Wo gibt es übrigens im Kanton eine zweite Ortschaft, welche mit den Pfahlbauten, das Römerkastell und das frühe Mittelalter mit Gallus, Konradin dem letzten Stauffer, der Leinenprotoindustrie und dann Industrie über eine lückenlose Kontinuität und essentielle Spuren in situ verfügt? Dieses Potenzial zu fahren, statt es wie im Bericht als sekundär zu qualifizieren, ist mehr als angezeigt. Übrigens auch touristisch. Ein bereits fertig eingerichtetes Jugendstil-Wohnmuseum steht mit dem Haus Max Burkhardt obendrein zur Verfügung.
5. Entkoppelung von den sechs kantonalen Museen!
Was als zweiter Teil des historischen Museums angedacht wurde, entwickelte sich zum interdisziplinären Themenhaus, propagiert als Bühne sämtlicher kantonalen Museen. Nun bleibt von diesem Konstrukt die Hypothek, alle diese Museen zusammenzuraufen. Dabei haben sie mit ihren Infrastrukturproblemen mehr als genug zu tun. Und kooperieren möchten sie sowieso.
Über das behauptete Know-how für einen und dann noch gemeinsamen Themenbetrieb verfügen sie aber bereits aus Gründen der fehlenden personellen Ressourcen nicht. Das Festhalten an einer gemeinsamen Trägerschaft und dies noch befrachtet mit einer komplizierten Führungsstruktur hat wesentlich zum Grounding des Projekts beigetragen. Entschlankung und Professionalisierung eines eigenständigen Betriebes wäre eine valable und realistischere Perspektive und Alternative.
6. Taten statt Worte!
Der Worte sind genug gewechselt,
lasst mich auch endlich Taten sehen!
Indes ihr Komplimente drechselt,
kann etwas Nützliches geschehen.
Goethe, Faust
Die Museumseröffnung rückt in weite Ferne: Ursprünglich sollte das neue Historische Museum in Arbon 2028 eröffnen. Weil der Staatshaushalt klamm ist, hat der Regierungsrat das Projekt verschoben - auf 2037.
Schlechte Nachrichten für die Museen: Drei kantonale Museen müssen vorerst auf die dringend benötigten Erweiterungen verzichten: Der Kanton streicht die Sanierungs- und Optimierungspläne auf das Nötigste zusammen.
Themendossiers: Alle Beiträge rund um die Entwicklungen beim Kunstmuseum und dem Historischen Museum aus den vergangenen 15 Jahren gibt es in den Themendossiers Kunstmuseum und Historisches Museum.
Kommt vor in diesen Ressorts
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Kommt vor in diesen Interessen
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- Gesellschaft
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