von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 01.12.2022
Fast wie im Film
Eine Wiederentdeckung: Die surrealen Bilderwelten der aus Konstanz stammenden Künstlerin Cornelia Simon-Bach erschrecken und verzücken zugleich. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Brennende Häuser, stürzende Engel, blutende Bäuche. Daneben Regenbögen, Erlöserfiguren und Landschaften, die ans Schlaraffenland erinnern. Das Werk der 1941 in Konstanz und 2018 in Wien gestorbenen Künstlerin Cornelia Simon-Bach steckt voller Gegensätze.
Zum Beispiel in einer unbetitelten, aus dem Jahr 1976 stammenden Arbeit. Man sieht Menschen im Labyrinth, darunter ein dampfender Zug von dem man keiner weiss, wohin er fährt, stürzende Engel, Puppenfiguren, die aus den Fenstern brennender Hochhäuser in die Tiefe springen und daneben beinahe paradiesische Landschaften mit Regenbogen, intakter Natur und rosa leuchtenden Bergen.
Ein sehr persönlicher Passionsweg
Davor eine Frauenfigur mit nackten Schultern, die vor ihrem Körper eine Art Scangerät trägt, das den Blick in ihr verkabeltes Inneres ermöglicht. Über ihr leuchtende Kreise mit neun Christusfiguren. Es wirkt so, als stellte Simon-Bach hier so etwas wie ihren ganz persönlichen Passionsweg vom Leid zur Erlösung dar.
Die Konstanzer Wessenberg-Galerie zeigt nun in einer Einzelausstellung das Werk der eigenwilligen Künstlerin, die in den 1970er Jahren auch im Zürcher Kunstsalon Wolfsberg zu sehen war. „Eine Entdeckung“, schreibt Barbara Stark, Leiterin des städtischen Kunstmuseums, im Katalog zur Ausstellung „In den Träumen wohnen“.
Cornelia Simon-Bach zeichnete bereits als Kind viel, nach dem Abitur wollte sie Künstlerin werden. Sie schreibt sich 1961 an der Wiener Kunstakademie ein in der Klasse für Bühnenbildnerei ein. Nur ein Jahr später kehrt sie zurück nach Konstanz und besucht die kurz zuvor gegründete Bodensee-Kunstschule. Ihr Studium wird sie nie abschliessen. Sie bleibt Autodidaktin.
„Im Grunde genommen begeistert mich die Natur, Landschaft, der Wandel der Jahreszeiten, der Flug der Vögel etc. mehr als formale Probleme der Kunst.“
Cornelia Simon-Bach, in ihrem Tagebuch am 5. Oktober 1969 (Foto aus dem Ausstellungskatalog)
Eine Haltung, die Ausstellungskuratorin Barbara Stark auch in den Tagebüchern der Künstlern wieder gefunden hat. Dort schrieb Simon-Bach 1969: „Wir lesen über formale Probleme in der Skulptur ein Buch. Ich bin nicht richtig interessiert daran. Im Grunde genommen begeistert mich die Natur, Landschaft, der Wandel der Jahreszeiten, der Flug der Vögel etc. mehr als formale Probleme der Kunst.“
Die Natur inspiriert sie in ihrer Arbeit, ebenso dienen ihr Träume bei der Motivsuche. Träume, die das Wirkliche mit dem Fantastischen verbinden. Ab Mitte der Siebziger Jahren werden es dann zunehmend Albträume.
Blutende Wunden, Ungeheuer mit blutverschmierten Zähnen, abgetrennte Arme und Augäpfel zwischen Fingern. Dazwischen ein Paar in einem Ruderboot, das zu kentern droht. Während der Mann über dem Wasser thront, droht die Frau unterzugehen. „Ein existenziell erschütterndes Erlebnis“, habe diese motivische Wende ausgelöst, ist Barbara Stark überzeugt.
Die Arbeiten werden immer dystopischer
Eine erlittene Fehlgeburt habe diese Frau, die sich so sehr Kinder wünschte, nachhaltig verstört. Es gebe ein halbes Dutzend Gemälde, „in denen sie sich mit dem eigenen Ich und der Konstruktion der Weiblichkeit auseinandersetzte“, sagt die Konstanzer Galerieleiterin. Neben dem eigenen biographischen Bezug thematisierte sie in diesen Werken auch tradierte Rollenbilder und die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern.
In dieser Phase werden ihre Arbeiten auch dystopischer. Vögel picken am Bauch einer Frauenfigur, Irrgärten werden immer auswegloser, es wimmelt nur so von seltsamen, mit Zahnrädern oder Batterien angetriebenen, technischen Apparaturen wie sie auch in heutigen Streaming-Serien wie „Dark“ oder „1899“ auftauchen. Das Verzweifeln an der Welt wird spürbar.
Fast ein Wiedersehen mit Nolan, Lynch und den Wachowskis
Überhaupt zeigen sich Simon-Bachs Bilderwelten erstaunlich cinemaesk. Abenteuerliche Szenerien mit brennenden Engeln auf fliegenden Brücken könnten aus dem Kopf von Christopher Nolan stammen. Ein absurdes Abendessen eines Paares in Gegenwart eines überdimensionierten bunten Vogels in einem Käfig erinnert an die unheimliche Absurdität eines David Lynch. Ein an ein grösseres Röhrensystem angeschlossener menschlicher Körper bringt Bilder aus der „Matrix“ der Wachowski-Brüder zurück.
Ebenso die vielen Kabel, die Menschen mit sonderbaren technischen Geräten verbinden. Und was es mit den verschwörerisch wirkenden Geheimgesellschaften auf sich hat, die sich in einigen ihrer Werke findet, bleibt gleichfalls rätselhaft.
Die Hoffnung bleibt bis zum Schluss
Trotz all des erlittenen Leids - hoffnungslos werden die Bilder von Cornelia Simon-Bach nie. Ein bisschen Zuversicht findet sich immer irgendwo. Diese Dichte in ihrer Arbeit erreicht die Künstlerin in späteren Phasen nicht mehr. Nach einer Ausstellung in Basel 1986 schliesst sie mit der phantastisch-realistischen Malerei ab und wendet sich abstrakten Motiven zu.
Der ganz grosse Durchbruch als Künstlerin blieb Cornelia Simon-Bach versagt. „Die Bilder dieser malenden Mystikerin fanden keine Beachtung in einer Zeit, in welcher der schnelllebige Kunstmarkt vermehrt auf oberflächliche Sensationen setzte“, schreibt Barbara Stark in ihrem Ausstellungskatalog. Um so besser, dass man die Künstlerin jetzt neu entdecken kann. Noch bis zum 8. Januar in der Konstanzer Wessenberg-Galerie.
Video: Galerieleiterin Barbara Stark über die Ausstellung
Die Ausstellung
Cornelia Simon-Bach (1941 - 2018). In den Träumen wohnen. Zu sehen bis zum 8. Januar 2023 in der Städtischen Wessenberg-Galerie in Konstanz. Geöffnet: Dienstag-Freitag: 10-18 Uhr
Samstag, Sonn- und Feiertag: 10-17 Uhr. Eintrittspreise: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro; Gruppen ab 10 Personen: jeweils 3 Euro; Schulklassen frei.
Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen:
Dr. Barbara Stark (Hrsg.)
Cornelia Simon-Bach. In den Träumen wohnen
68 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-929768-50-3
15 Euro
Bestellungen sind hier möglich.
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