von Brigitte Elsner-Heller, 04.02.2019
Was noch zu sagen wäre
Die deutsche Autorin Franziska Schramm und der Schweizer Kontrabassist Marc Jenny traten mit ihrem Programm „alles leuchtet, alles gewittert“ im Konstanzer K9 auf. Stimmt schon: So hätten wir auch vieles gern gesagt.
Die Bühne des Kulturzentrums K9 in Konstanz ist nicht gross, und das passte zu diesem Abend, bei dem sich Künstler und Publikum von Beginn an nahe waren. Auch deshalb, weil Fransziska Schramm, die Autorin, und Marc Jenny, der Kontrabassist, nicht den Eindruck erwecken, jenen gewissen Abstand zu pflegen, mit dem sich Künstler gern anbetungswürdig machen.
Am Anfang ist die Stille, in die Marc Jenny die ersten Töne des Abends einsickern lässt – und es braucht nicht viel Zeit, um dem Kontrabass eine wunderbare Rolle als Soloinstrument zuzuweisen. Wobei „solo“ bei dem zunächst ruhig angesetzten Intro durchaus ein relativer Begriff ist: Der Schweizer Marc Jenny vervielfältigt sich oder sein Instrument durch Live-Loops. Die ersten ruhigen Akkordtöne werden zur Basslinie, auf die eine Rhythmuslinie gelegt wird, was wiederum als Basis diverser Melodie-Variationen dient. Nicht ganz so neu in der Musik, aber doch eine Technik, die vielleicht so viele Möglichkeiten bietet wie ein Schachspiel. Und Marc Jenny nutzt zusätzlich die unterschiedlichen Arten, Klänge an oder mit einem Kontrabass zu erzeugen. Da wird geklopft, gezupft, die Saiten werden schliesslich warm mit dem Bogen gestrichen, nur um gleich ein „Bitte nur nicht zu lieblich!“ schrabend nachzuschieben.
„Eigeninitiative“ eines Schlagstocks am Kontrabass. Bild: Brigitte Elsner-Heller
Text ist auch Klang
Ein schönes Konzert schon mal. Aber der Abend gehört ja auch Franziska Schramm. Die kommt nun auf die Bühne gehüpft, mit einem glockenhellen „Juhuu!“ auf den Lippen, das an ein braves Mädchen denken lässt. In der Tat macht die Autorin, die gleich ihre klaren Texte in einer ebenso klaren Stimme vortragen wird, zunächst den Eindruck einer wohlerzogenen Germanistin. Genau wie Marc Jenny mit seiner Musik, ist sie tatsächlich nicht auf die lauten Töne aus – was jedoch nicht bedeutet, dass die beiden gefälligen Mainstream pflegen. Im Gegenteil: Sie treten den Beweis an, dass man gerade ohne Narzissmus und Grossmäuligkeit etwas zu sagen hat. Kennengelernt beziehungsweise „gefunden“, wie Franziska Schramm sagt, haben sie sich über ein Theaterprojekt. Erfahrung bringen beide mit, die studierte Germanistin ist seit zwanzig Jahren im Poetry Slam zu Hause, der studierte Musiker in der Ostschweiz kein Unbekannter.
Nicht alles machen sie gemeinsam auf der Bühne, den Einstieg aber wohl. Ein Gedicht übers Tanzen kündigt Schramm an – dazu braucht es natürlich Töne. Der Text erzählt von der Fröhlichkeit vergangener Tage, der Ausgelassenheit einer Zeit, in der der Alltag noch keinen Tribut forderte, Freundschaften unbeschwert und Orte nah waren. Die Melancholie des verflossenen „Gestern“ fängt Franziska Schramm allerdings am Ende wieder ein: „Freundschaft bleibt“. Zum Text über die Not, nach einem Studium einen Job finden zu müssen, der ein Auskommen ermöglicht, schweigt der Kontrabass. Dafür hat Schramms Figur beim Anruf bei der Arbeitsagentur aber auch Gott persönlich am Telefon. Unbeirrt fährt Schramm in ihrer ruhigen, leicht rhythmisierten Sprache fort, bis Gott aufgegeben hat.
Kontrabass et cetera
Dafür wird Marc Jenny nun mit seiner Kontrabass-Performance ein unbeirrbarer kleiner Bühnengott, der sein Instrument klackern lässt, einen Trommelstock durch die Saiten fädelt, schliesslich das Instrument so in Schräglage versetzt, dass ein Trommelschlegel darauf geräuschvoll hin und her rollen kann. Dann kommt der Bogen wieder ins Spiel, bringt die Saiten zum quietschen, bis der letzte Hauch, der dem Kontrabass entstammt, wie ein letzter Atemzug klingt.
Angebracht mag das sein, denn Franziska Schramm zeigt nun in ihren Texten die kalte Härte, die sich im Alltag – nicht nur Jugendlicher, dort aber wohl gerade besonders – immer mehr antreffen lässt. Da steht sie nun, die gepflegte Franziska Schramm, vor einem Glitzervorhang, der bislang golden flackerte, nun aber blaues Licht reflektiert. Die Geschichte von Robert, dem „Vollspast“, der in die Klasse kommt, wegen der Inklusion. Und den Nico an die Hand nehmen soll. „Was dann passiert ist, dafür kann ich nichts“, wird Nico noch sagen. Nachdem Robert Opfer einer Misshandlung geworden ist. Nico ist zum Täter geworden – aus Angst, Opfer zu werden. Die Gewalt, sie ist überall.
Kalt und unerbittlich fällt Franziska Schramms Geschichte von Nico und Robert aus: Mobbing als „Selbstschutz“. Bild: Brigitte Elsner-Heller
Aber es gibt sie auch, die vielen Zwischentöne, die Versuche, etwas neu oder besser zu machen. Auf der Bühne des K9 herrscht an diesem Abend eine gute Stimmung dafür, denn Franziska Schramm und Marc Jenny sind ein passendes Duo für ein solches Anliegen. „Gib mir Zeit“ bittet zum Abschluss Schramms „Cowboyfrau“. Ob auch Zeit sein wird für eine Wiederholung des Zusammenspiels, wird sich zeigen. Zunächst ist Marc Jenny weiter auf Bühnen der Ostschweiz aktiv, und Franziska Schramm ist am 27. März beim Grandmaster Poetry Slam im Konstanzer Kulturladen zu hören.
Info
Franziska Schramm lebt und arbeitet in Konstanz und wurde für ihre Texte bereits mehrfach ausgezeichnet.
Der in Zürich lebende Marc Jenny studierte Music and Art Performance und pflegt die Verbindung von Musik mit Literatur, Poetry Slam, Theater, Film, Performance und Tanz.
www.marcjenny.com
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