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von Ute Klein, 05.10.2023

Was Musik und Malerei verbindet

Was Musik und Malerei verbindet
Die Musiker Christoph Luchsinger und André Meier im Atelier von Ute Klein bei der Reihe Störkultur in Amriswil. | © Ute Klein

Mein Leben als Künstler:in (17): Die Malerin Ute Klein über ihren Kipp-Stil und was der Zufall mit ihrer Kunst zu tun hat. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Letzten Winter haben die zwei Musiker Christoph Luchsinger und André Meier im Rahmen der Störkulturreihe Amriswils bei mir im Atelier ein Konzert gegeben. Die beiden Bläser haben in meinem Arbeitsraum und auf mein Arbeiten reagierend ein Programm entwickelt, haben eigens komponiert und konzipiert, haben hier geprobt und dann aufgeführt, wobei beim letzten Stück meine Kaffeemaschine und mein Malen Ausgangspunkte ihres faszinierenden Trompetenspiels waren. Das war nicht nur fürs Publikum spannend, das war auch für mich ein grosses Geschenk. 

Ich arbeite mit dem Zufall innerhalb klar gesetzter Rahmenbedingungen und genau das haben sie in der Auswahl ihrer Stücke aufgenommen und akustisch erlebbar gemacht.

Dadurch, dass da etwas hörbar war inmitten von Sichtbarem, etwas, das sich in Teilen im Moment entwickelte und auch daher in die Werkstatt passte und dass zwischendurch kurze eingängige Hör-Einstiege gegeben wurden, entstand etwas sehr stimmiges.

Wie zwei Musiker meinen künstlerischen Prozess vertonten

Ich habe vor dem letzten Stück im grossen Malraum gezeigt, wie ich meine Farben mische und verdünne und dann auf eine der am Boden liegenden Leinwände leere und diese kippe, so dass das Fliessen der Farbe das Bild malt, dieses Kippen vielleicht nochmal wiederhole oder die Richtung des Kippens ändere und dann die verflossene Farbe vom Auffangpapier wieder zurück in mein Farbgefäss leere.

Genau dieses Prozedere hatten die Musiker zuvor mit speziellen Mikrofonen aufgenommen und das bildete dann zusammen mit der Aufnahme meiner Kaffeemaschine, ein Sound, der mich durch den Arbeitsalltag begleitet, den Ausgangspunkt ihres Trompetenspiels.

Das Publikum sah und hörte also erst mein Kippen im Malraum, umgeben von fertigen grossen Bildern in derselben Machart und nahm dann Platz. Dann hörten wir zusammen die Bandaufnahmen, sahen und hörten und bestaunten darauf die auch technisch faszinierende Nachahmung auf den Trompeten(!) und die Weiterentwicklung im Zusammenspiel von Musikern und Aufnahme.

 

Die Musiker Christoph Luchsinger und André Meier im Atelier von Ute Klein bei der Reihe Störkultur in Amriswil. Bild: zVg

Eine Faszination am Fliessen

Schon beim Aufnehmen waren mir die Ohren und damit eine andere Wahrnehmungsebene aufgegangen und beim Üben, sofern ich mithören durfte, hörte ich im 'eigenen' Geräuschkosmos immer wieder Neues.

Solch eine Aufmerksamkeitsveränderung und -steigerung gepaart mit der Faszination an der Verschiebung, dass diese Geräusche plötzlich aus Trompeten kommen, sich im Zusammenspiel verändern, sind ganz nahe an meiner Faszination am Fliessen und mit dem Fliessen oder dem Zufall im Raum reagierend zu malen und doch ganz eigen und anders. 

Das Hinhören auf meine Geräusche, auf ein ansonsten unwichtig erachtetes Nebengeschehen, es geht mir ja sonst um das, was auf der Leinwand geschieht beim Kippen oder um den Kaffee, ist spannend und anregend auch sonst öfter auf die Nebenprodukte zu achten. Spannend war auch welche Vertrautheit/Heimat diese Geräusche erzeugen.

Wie ich zum Kippen kam

Auf das Kippen kam ich durch Zufall. Ich hatte einen Kunst am Bau Wettbewerb nicht gewonnen, so dass ich meinen Vorschlag nicht umsetzen konnte. (In Kolumne 3 erwähnte ich diese Auswirkung eines nicht gewonnenen Kunst am Bau Wettbewerbes)  

Einen Teil meines Vorhabens konnte ich aber nicht loslassen, so sehr, dass ich eine Umsetzung erfinden musste. Mein Ausweg war in vielem 'gebastelt', aber er hat mich immer weitergeführt. 

Ich habe den Umweg über mein Malen gewählt und mir die grossen Wände, die ich brauchte durch mehrere Leinwände ersetzt, wobei mir dann das Bewusstsein, dass Leinwände keine Wände sind, sondern beweglich, den entscheidenden Kick gab. Der Prozess führte an den Rändern zu neuen Fragen und wachsendem Wissen und anderen Umsetzungen, die wiederum neue Fragen aufbrachten.

Nichts Festes, aber auch nicht beliebig

Zufälliges genau anzuschauen, finde ich spannend, weil Zufälliges vermeintlich kein Grundgerüst hat, man eigentlich nicht weiss, wie es weitergeht, es irgendwie nichts ist. 

Und doch zeigt sich durch die Assoziationen beim Anblick von Geflossenem wie unendlich vieles durch Zufallsprozesse entsteht, und dass wir es sehr wohl einordnen/lesen, allerdings sehr unterschiedlich: von Zellstrukturen, kleinen Blutgerinnseln bis zu riesig grossem wie Wolkenformationen oder Vorgängen im Weltall oder zu illustrierten abstrakten Prozessen wie Krankheitsausbreitungen oder Bitcointransaktionen.

Fliessendes oder zufälliges ist also nichts Bestimmtes und nichts Festes, aber es ist nicht beliebig.

Viele Gestaltungsmöglichkeiten beim Kippen

Wenn ich kippend male, so wähle ich das Format, wähle, ob ich mit Acryl oder Ölfarben auf flexibles Papier oder gespannte Leinwand kippe, wähle wie und ob ich grundiere und wie ich kippe. All dies hat grossen Einfluss darauf, wie die Farben fliessen, ob sie zerfliessende Ränder haben werden oder klare Grenzen haben, ob sie gradlinig fliessen oder zerrissene Läufe ergeben, ob sich Flächen bilden oder nur Läufe.

Ganz zu schweigen von den Farben, den unterschiedlichen Pigmenten und Malmitteln, die ich verwende. Und danach wähle ich, wie und wie lange ich trocknen lasse und was ich überkippe und ob mit transparenten oder deckenden Schichten.

Ich habe also, wie wenn ich mit Pinseln arbeiten würde, sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten, aber die Naturkräfte wie Schwer-, Ko- und Adhäsionskräfte (und viele mehr) arbeiten erkennbar mit, was jenseits von schön oder nichtschön oder 'errinnert mich an' oder von der Bildkomposition her Wichtiges zur Bildaussage beiträgt. 

Wie Kunst Menschen Neues schenken kann

Für eine Wandmalerei übertrage ich einen bestimmten Farbfluss oder -fleck vergrössert, dessen Bewegung mir in diesem Raum wichtig scheint, male mit Pinseln eine zuvor geflossene und ausgewählte Form vergrössert ab: ein sehr ähnliches Vorgehen wie das der zwei Musiker, auch wenn ich mit Farben und sie mit Trompeten arbeiten und damit wieder alles anders ist. 

So ein Konzert kann sowohl (Neue) Musik Liebhaber:innen als auch jenen, die aus anderen Gründen kamen, Neues schenken, einfach so an einem Samstagnachmittag im ländlichen Oberthurgau; sämtliche Stühle besetzt, Stehräume gefüllt: Zufall.!.?.

 

 

Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»

Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.

 

Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.

 

Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.

 

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.

 

Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch 

 

Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.

 

 

 

 

 

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