von Ute Klein, 15.06.2023
«Meine Bilder wachsen langsam»
Die neue Kolumne «Mein Leben als Künstler:in» (1): Ute Klein über die Vorzüge der Malerei, Blockaden bei der Arbeit und warum sie sich selbst nicht als Künstlerin betrachtet. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Schreiben ist nicht mein Metier, ich bin Malerin: ich arbeite meist mit Farben, Formen, mit Texturen und Schichten auf Leinwand oder im Raum.
Schreiben ist für mich ein Zwischenschritt zum Ordnen meiner Gedanken und ein Kommunikationsmittel.
Seltsamer als mich mit Worten statt Farben auszudrücken, finde ich die Aufgabe: 'Mein Leben als Künstlerin'. Habe ich denn ein Leben 'als Künstlerin' und eines 'als Mutter', und eines 'als ums Klima besorgte Bürgerin', eines 'als Kunst und Diskurs interessierte Feministin' und eines 'als Krankenkassenprämienzahlerin'?
Ich bin wie ein Eisberg
Für mich gehört alles zusammen. Natürlich habe ich verschiedene Seiten, aber die schauspielere oder jobbe ich nicht 'als', sondern BIN alles zusammen mitsamt den Wechselwirkungen. Wie ein Eisberg, der auch nicht als sichtbarer Teil und als unsichtbarer Teil existiert, sondern im Meer treibt (und schmilzt).
Ich nenne mich Malerin nicht Künstlerin, da Malerei mein Handlungsausgangspunkt ist und in der Malerei die Gleichzeitigkeit sehr wichtig ist. Gleichzeitigkeit und freie, nicht gelenkte Betrachtung sind etwas Malereispezifisches. Im Gegensatz zu Musik, Film, Literatur oder Theater darf beim Schauen eines Bildes jeder anfangen, wo er möchte, darf verweilen oder mit den Augen weiterwandern, Umwege machen, Details fokussieren, das Bild im Verhältnis zum Raum sehen oder alles gleichzeitig.
Wie verschiedene Schichten ein Bild verändern
Meine Bilder sind vielschichtig. Die ersten Schichten sind manchmal kaum mehr sichtbar, aber sie gestalten mit, verändern den Lauf, die Form und das Aussehen der Farben, die viel später darüber fliessen. Manchmal werden diese untersten Schichten durch das Verdecken interessanter. Überdecke ich einen blauen Fleck teilweise mit Gelb, wird die überlagerte Form grün. Ich kann nun die blaue, gelbe und grüne Form nebeneinander sehen oder das Zustandekommen oder beides. Der Prozess des Malens ist nachvollziehbar, aber ebenso gut kann man sich in das fertige Bild vertiefen.
Das kann sofort passieren oder zeitlich weit auseinander oder zwischen den Wahrnehmungen wechselnd. Alles richtig und doch ganz unterschiedlich.
Farben formen Erinnerungen
Die Farbzusammenstellung oder die Formen können Erinnerungen wecken, zum Beispiel an Landschaften oder Wälder oder an Stimmungen.
Die auftauchenden, individuellen Erinnerungen sind dann da, jetzt, zwar nur im Kopf der betrachtenden Person, aber sie können vielleicht ihren Tag verändern, plötzlich in anderes Licht tauchen. Zeitlich längst Vergangenes oder weit Entferntes ist plötzlich im Raum, aktuell am Mitmischen. Mich interessieren diese unter- oder hintergründigen, anderen Verbindungen unseres Wahrnehmens, mir scheinen sie sehr wirksam.
Die Gleichzeitigkeit der Dinge
Gleichzeitigkeit bestimmt mich auch im Alltag. Vieles sehe und fühle ich in Zusammenhängen, die andere klar trennen. Manchmal ist das hinderlich, manchmal förderlich. Wenn sich viel Schwieriges vermischt und gegenseitig ungünstig beeinflusst, muss ich mich bewusst etwas anderem zuwenden: wenn beim Malen zu viele Farben zusammenfliessen, leuchtet nichts mehr, es gibt einen grausam grauen Schlamm.
Andererseits können wir eine Farbe allein gar nicht wirklich erkennen, Farbe nehmen wir immer im Verhältnis zu einer anderen wahr.
Was mich bei der Arbeit blockiert
Ich kann nicht malen, wenn ich den Tod meiner Hündin noch nicht verwunden habe.
Meine Hündin hat mich und meine Familie die letzten zehn Jahre begleitet. Sie war kaum an Vernissagen oder Kulturveranstaltungen dabei, dafür im Alltag, rund um die Uhr, jahrein jahraus. Sie hat mein Leben die letzten Jahre stark mitgeprägt.
Meine Bilder wachsen langsam, Routine, gelernter Umgang (Können) und Ausdauer einerseits und volle wache Aufmerksamkeit auf das momentane Geschehen andererseits sind wichtige Komponenten bei meinem Malen wie im Umgang mit Hunden.
Warum Bewegung gegen Blockaden hilft
Laufen bringt mein Denken in Gang, die Notwendigkeit bei jedem Wetter und mitten im Ausbrüten von einer Wettbewerbseingabe mit ihr spazieren zu gehen, war oft hilfreich.
Ihr Verhalten zu lesen hat mir neue Sprachen eröffnet und ihr Umgang mit unfreundlichen Hunden hat mich immer wieder verblüfft: Wie sie Streit aus dem Weg ging, wie sie Aggressive beschwichtigte in dem sie sich anfänglich klein machte, und sie dann doch zum Spiel aufforderte, auch wie sie den Unterschied zwischen wirklich Gefährlichen und Umstimmbaren erkannte (roch?), wie sie zu Ungestümen mit einem einzigen tiefen Laut Einhalt gebot: bewundernswert! Und wie viele Menschen sie mit ihrem freundlichen Wesen erfreute: phänomenal!
Freundlichkeit öffnet Räume
Solches Können im Umgang mit Artgenossen und unserer Umwelt wünsche ich mir. Freundlichkeit eröffnet neue Zugänge und ein anderes Zusammenleben, nicht um über alle Probleme hinwegzulächeln, sondern um sie anzugehen und Lösungen zu finden.
Freundlichkeit wie Farbigkeit werden oft als einfach oder kindlich angesehen, mir scheint echte Freundlichkeit wie stimmige Farbigkeit enorm wichtig und alles andere als simpel.
Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»
Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.
Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.
Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.
Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch
Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.
Von Ute Klein
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