von Brigitte Elsner-Heller, 29.01.2018
Zwei Ausstellungen, die zeigen, was ein Museum ausmacht
Zwei Ausstellungen im Kunstmuseum Thurgau dokumentieren Museumsarbeit: In „Konstellation 9. Alles fliesst“ spiegelt sich die Geschichte des Museums, während „Neue Kollektion – Die Sammlung wächst“ Ankäufe der vergangenen drei Jahre ins Licht rückt. Nicht ohne gewollte Irritationen.
Von Brigitte Elsner-Heller (Text und Bilder)
Ausstellungen können von ihren Sinnzuschreibungen erdrückt werden. Bei den zwei aktuellen Werkschauen im Kunstmuseum Thurgau ist das zum Glück nicht der Fall, denn sie erwecken zunächst nicht den Eindruck, als gehe es hier um Grundsätzliches. Wenn Museumsdirektor Markus Landert dann aber inmitten zeitgenössischer Arbeiten von der „Verhinderung einer vorzeitigen Sinnstiftung“ spricht, das Museum gar als „Ort der Sinnverweigerung" bezeichnet, wird es spannend. Dann sind die alten Fragen wieder da: Was ist ein Bild, was Malerei? Was ist eine Ausstellung, was bezweckt sie? Welche Assoziationen oder Traditionsstränge tauchen auf?
Die Ausstellung „Konstellation 9. Alles fliesst“ (zu sehen bis zum 12. August 2018) ist an den diesjährigen Themenschwerpunkt der Kartause Ittingen angekoppelt: an Wasser und Phänomene, die ihm zugeordnet werden können. Entlang der Arbeiten, die dafür aus den Beständen der Kunstsammlung des Kantons herangezogen wurden, lässt sich die Geschichte des Kunstmuseums nachverfolgen: Zunächst ging es in den 1940er Jahren nämlich darum, den Kanton auch in seinem Kunstschaffen sichtbar zu machen. Durch den Ankauf von Bildern sollten zunächst Amtsstuben angemessen ausgestattet werden. Die ältesten Exponate der Ausstellung, die in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen, spiegeln diesen Geist wider. Repräsentative Goldrahmen vervollständigen die Wirkung einer Malerei, die sich thematisch idyllischen Landschaften und dem See zuwendet. Doch der Bogen ist weit gespannt, haben sich doch die Ankäufe des Kantons mit der Eröffnung des „Kunsthauses“ in Frauenfeld (1973), dann aber vor allem mit der Eröffnung des Museums in der Kartause Ittingen (1983) mehr als zuvor auf Kunst der Gegenwart ausgerichtet und damit auf die Förderung zeitgenössischen Kunstschaffens. Gleichzeitig wuchs die Ausstellungstätigkeit. Aus einem Museum für regionale „Thurgauer Kunst“, in dessen Zentrum Adolf Dietrich stand, wurde eine Institution, die sich mit internationalen Entwicklungen auseinandersetzt.
Willi Oertig (geb. 1947), Beim Stauwehr Kradolf, 17. Oktober 1999, Öl auf Leinwand
Thema Wasser
Das Thema Wasser bietet die Möglichkeit, Arbeiten aus den Beständen vergleichsweise zwanglos aneinanderzureihen. So löst man sich bald aus der Zone der Goldrahmen und ist bei Werken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angekommen, die noch der Malerei zugeordnet sind – von Reminiszenzen an die klassische Moderne bis hin zum gegenstandslosen Konstruktivismus. Dekorative abstrahierte Landschaftsimpressionen von Richard Tisserand stehen etwa neben einem Acrylbild von Willi Oertig, der zwar die konkrete Darstellung eines Stauwehrs suggeriert, jedoch vor allem in satten Farbflächen schwelgt. Text als Bild präsentiert dann Joseph Kosuth mit einer bildlichen Präsentation lexikalischer Einträge etwa zu „wa.ter“ oder „ice“. Von Kosuth und Muda Mathis' grossformatiger Fotoserie „Erstkommunikanten“ von 1998 flankiert, lässt Roman Signer schliesslich seine Tropfmaschine einzelne Wassertropfen in ein Plexiglasbecken mit Glühbirne tropfen. Die Lichtreflexionen der sich ausbreitenden ringförmigen Wellen erzeugen nur noch ein flüchtiges Bild auf der Rückwand eines aus Spanplatten gebauten Raumes („Tropf“, 1985).
Die zweite Ausstellung im Kunstmuseum thematisiert viel direkter künstlerische Mittel und präsentiert damit auch eine Übersicht über aktuelle künstlerische Positionen. Bei „Neue Kollektion – Die Sammlung wächst“ (zu sehen bis 22. April 2018) handelt es sich um neue Ankäufe der vergangenen drei Jahre. In der Regel sind das Arbeiten noch lebender Künstler, für die sich die Ankaufskommission (Katharina Ammann, Alex Hanimann und Hans Jörg Höhener) entschieden hat. Zu sehen sind nun Werke von Max Ammann, Esther van der Bie, Matthias Bosshard, Charles Bötschi, Florian Germann, Urs Graf, Dieter Hall, huber.huber (Reto und Markus Huber), Sarah Hugentobler, Cécile Hummel, Ray Hegelbach, Simone Kappeler, Herbert Kopainig, Christian Lippuner, Sonja Lippuner, Franziska Messner-Rast, Meszmer/Müller (Alex Meszmer/Reto Müller), Heike Müller, Willi Oertig, Andri Stadler, Meinrad Schade, Kerstin Schiesser, Berhard Schiesser, Karin Schwarzbek, Conrad Steiner sowie steffenschöni (Karl Steffen/Heidi Schöni). Auffallend ist, dass heute Künstler nicht mehr nur als Einzelpersönlichkeiten zu sehen sind, sondern auch als Paar oder Gruppe auftreten können.
Mediendiskurs als roter Faden
„Die Werke sollten sich gegenseitig bereichern“, sagt Markus Landert über das Ausstellungskonzept. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist angesichts der Fülle des ausgestellten Materials jedoch eine veritable Aufgabe. Im langgezogenen Flurbereich, von dem die vier separaten Ausstellungsräume mit ihren je eigenen Motivwelten abgehen, ist ein Mediendiskurs angelegt, der im Wesentlichen von der Fotografie bestimmt wird. Den Einstieg gibt Franziska Messner-Rast mit Porträts von Künstlern und Schriftstellern, auf deren Werke man teilweise auch in der Ausstellung stösst. Dass diese „klassische“ fotografische Aufgabe in ihrer zurückhaltenden Inszenierung in Schwarzweiss bis heute „funktioniert“, lässt sich auch daran erkennen, dass ihre Fotografien zusätzlich auch in den Themenräumen ihren Platz finden. Während die künstlerische Fotografie von Simone Kappeler eher kleinformatig auf Atmosphärisches zielt, setzt Herbert Kopainig in einer grossformatig ausladenden Serie Fantasiewelten farblich in Szene. Meinrad Schade scheint dagegen ein Vertreter der klassischen Reportagefotografie zu sein. Seine „Ansichten“ sind vielgestaltig, stammen aus verschiedenen Teilen der Welt und sparen auch Kriegsgeschehen nicht aus. Aber Vorsicht: Meinrad Schade arbeitet mit Ambivalenzen. So ist das Foto, das einen Verwundeten mit abgetrenntem Bein zeigt, eine blosse Inszenierung mit Schauspieler. „Er dokumentiert die Scheinhaftigkeit von Fotografie – deshalb hängt er im Museum“, sagt Markus Landert.
Sarah Hugentobler (geb. 1981), Trainerin, 2015, Farbfotografie auf Alu
Was ist Realität?
Dann aber Sarah Hugentobler, die im Video mit Wahrnehmung und Wirklichkeit spielt. Sie entwirft ein cleanes Szenario in Weiss, das sich in einzelne Kammern aufspaltet, in dem sich eine Figur bewegt – bis sich alles wieder in sich verschliesst („Astronaut“, 2015). Matthias Bosshart, eine Generation älter, arbeitet direkt gegenüber noch mit klassischen 35mm-Filmstreifen, die er ornamental zu einer Collage fügt. Genüsslich surreal titelt er seine Arbeit gleich noch mit einem ausufernden Text: „Nachdem Jean-Luc Godard seinen Film „Le mépris“ beendet hatte, sandte er Fritz Lang von Metropolis nach Persepolis, wo ihm vor den Toren der zerstörten Stadt Abbas Kiarostami ein Kaleidoskop schenkte“ (2013).
Damit gleich einen Sprung zu steffenschöni (Karl Steffen/Heidi Schöni) in separatem Raum. Aufgereiht finden sich hier Materialien, die zu einem installativen Medienprojekt angefertigt worden waren und nun so gebündelt doch ein wenig an Aussagekraft eingebüsst haben. „Kunst funktioniert heute oft situationsbezogen“, sagt Landert in Bezug auf dieses Phänomen. Zur „Situation“ im Kunstmuseum zählen nun weitere Arbeiten anderer Künstler, die vor allem nach strukturellen und farblichen Gesichtspunkten ergänzt wurden.
Wie ändern sich die Bildbezüge?
Wie sich Bildbezüge ändern, wie dabei vorhandene Bilder neu genutzt werden, ist etwa bei den Arbeiten von Christian Lippuner (geboren 1947) und dem jüngeren Ray Hegelbach zu sehen, die nebeneinander hängen. Während Lippuner in seiner grossformatigen Collage auf Zeitungsartikel der NZZ zurückgreift und in Bildausschnitten Otto Dix oder den Struwwelpeter zitiert, fusst Hegelbachs Kunst eher auf dem Comic, auch wenn bei ihm noch eine Mona Lisa auftaucht. Auch Esther van der Bie geht von der Collage aus, hat dabei aber offenbar einen anderen Ansatz. Wenn sie auf original japanische Drucke aufbaut, ist dies eine Auseinandersetzung darüber, wie mit „fremder Kultur“ umgegangen werden kann. Dient „Fremdes“ am Ende nur dazu, sich selbst aufzuwerten? Künstler des 20. Jahrhunderts haben die Begegnung allerdings oft gesucht, haben versucht, das Fremde zum Eigenen zu machen.
Dass Malerei zunächst einmal Farbe auf einer Fläche ist, dafür steht etwa Kerstin Schiesser. Wer darin Landschaften sehen möchte – bitte. Eine ganze Reihe von Bildern des kürzlich verstorbenen Max Ammann sind in einem eigenen Raum versammelt, und angeschlossen ist auch ein weiterer Raum mit Bildern von Adolf Dietrich – einzig aus dem Grund, dass durch die eben zu Ende gegangenen Dietrich-Ausstellung weitere Arbeiten von ihm dem Museum überlassen wurden. Doch zurück zur – geordneten – Vielfalt der Gegenwart. Denn gleich im ersten Raum schöpft die Ausstellung hier aus dem Vollen: Während mit Charles Bötschi (1958-2008) ein Vertreter traditioneller geometrischer Malerei zugegen ist und dabei den Raum mit seinem Farbspiel von gebrochenen Farben prägt, greift ihm gegenüber das Künstlerduo huber.huber mit einem ausufernden Panorama aus. „Prozess des Verschwindens“ (2016) ist ein Hinterglasprint, der von einem Farbverlauf in Schwarzweiss lebt – und damit von der Tatsache, dass das Spiegelbild des Betrachters beim Abschreiten langsam verlischt. Und nochmals huber.huber mit „Regenbogensteinen“: Steinen, die durch den Überzug von Effektlacken ihrer Natürlichkeit beraubt sind.
huber.huber – Reto Huber & Markus Huber (geb. 1975), O.T. (Regenbogensteine), 2016, Flussstein mit Effektlack lackiert; im Hintergrund: Charles Bötschi (1958-2008), Ohne Titel, undatiert, Acryl
Ist das ein Spiel mit der Kunst? Wenn man will, kann man Sonja Lippuners Bodenplastik „games island“ (2017) als Antwort heranziehen. Oder das Bodenobjekt von Florian Germann, das an einen Brunnen erinnern könnte. Aber muss er das? Hier geht es einmal mehr um die Frage, wie wir wahrnehmen. Und hier hatte Markus Landert auch diese schönen Sätze gesagt von der „Verhinderung einer vorzeitigen Sinnstiftung“ sowie dem „Museum als Ort der Sinnverweigerung“. Was nicht nur erhellend ist, sondern einfach auch Spass macht.
Sonja Lippuner (geb. 1987), games island II, 2017, Mdf, Karton, Kalkstein, Dispersionsfarbe, Acryllack
Weiterlesen: Mehr zum kompletten Jahresprogramm des Kunstmuseums gibt es hier: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3463/
Weitere Bilder zu Konstellation 9. Alles fliesst:
Alexandre Calame (1810-1864), Cours de l´Aar/Bei der Handeck, 1851, Öl auf Leinwand
Richard Tisserand (geb. 1948), Ohne Titel, März 1976, Öl auf Leinwand
Weitere Bilder zu „Neue Kollektion – Die Sammlung wächst“:
Franziska Messner-Rast (geb. 1951), Willi Oertig, undatiert, Schwarzweissfotografie
Herbert Kopainig (geb. 1952), Terra incognita, 2016, 8 Originalprints hinter Glas, Alu Dibond, Print Block 3, STORYwundersam Edition, WALDHAUS, Panoptische Weltreiseberichte
huber.huber – Reto Huber & Markus Huber (geb. 1975), Prozess des Verschwindens, 2016, Hinterglasprint auf Industrieglas
Heike Müller (geb. 1970), Familiarity2, 2016, Öl auf Leinwand
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